Mainzer Kardinal Lehmann zum Kurs der Kirche

«Die Dinge offen und mutig angehen»

Auf ihrer Herbstvollversammlung haben die deutschen Bischöfe unter anderem einen Maßnahmenkatalog gegen sexuellen Missbrauch verabschiedet. Im Interview nimmt der Mainzer Kardinal und langjährige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann, eine erste Einordnung vor.

 (DR)

KNA: Herr Kardinal, welches Signal geht von dem Bischofstreffen im

Kampf gegen sexuellen Missbrauch aus?

Lehmann: Ganz wichtig ist, dass wir in der Debatte keinen  sogenannten "Schlussstrich" ziehen wollen, vielmehr wollen wir alles tun, um sexuellen Missbrauch durch konkrete Maßnahmen, durch Prävention zu verhindern. Das muss zugleich glaubwürdig nach allen Seiten geschehen. Wir müssen die Arbeit, die wir im Grunde täglich tun, in diesem Bereich einfach noch besser machen.



KNA: Konkrete Vorschriften sind das eine - aber reicht das aus, um verloren gegangenes Vertrauen wiederzugewinnen?

Lehmann: Es muss einen spirituellen Impuls geben, den nur wir eigentlich aus der Mitte des christlichen Glaubens machen können. Dieser Impuls muss zugleich die konkrete gesellschaftliche und politische Situation in unserem Land im Blick haben. Da müssen wir etwas zu sagen haben: etwa zu Fragen der Migration, dem Streit um Sarazzins Buch oder der Debatte um die Zukunft unserer Energieversorgung. Die Spannung zwischen spirituellem Impuls und gesellschaftlichen Herausforderungen zündet und kann uns auch nach vorne bringen. Übrigens ist dies eine wichtige Frage aus der Zeit der gemeinsamen Synode.



KNA: Wenn sich Kirche in gesellschaftliche Debatten einmischt, sagen Kritiker schnell, sie solle erst einmal vor der eigenen Haustüre kehren. Nach dem Missbrauchsskandal dürften solche Stimme lauter werden.

Lehmann: Da sind erstens Fragen, die man einfach klären kann und klären muss. Ich denke an den Diakonat der Frau. Da muss ich nicht zuerst nach der Priesterweihe der Frau fragen, wo die Schwierigkeiten enorm sind und bleiben. Dann gibt es zweitens aber auch Dinge, die muss man einfach noch mal mit Mut angehen.



KNA: Zum Beispiel?

Lehmann: Wir stellen in der Glaubenskommission der Bischofskonferenz seit längerem Überlegungen an zur Frage "Humanae vitae", Empfängnisverhütung und dergleichen. Das geht aber nur, wenn man dies in einem größeren Kontext des Umgangs mit menschlicher Sexualität ansetzt. Daran arbeiten wir schon länger und unabhängig von dem Thema des sexuellen Missbrauchs.



KNA: Ohne ein Einverständnis aus dem Vatikan wird vieles allerdings nicht umsetzbar sein.

Lehmann: Natürlich gibt es drittens Dinge, die wir nicht alleine lösen können. Wo wir das Gespräch mit Rom brauchen. Etwa die Debatte um die "viri probati", die Zulassung von Männern zum Priesteramt, die sich in Beruf und Ehe bewährt haben. Dazu gehören auch die Fragen der Stellung geschiedener Wiederverheirateter in Kirche einschließlich des Sakramentenempfangs sowie die Frage einer Zulassung nichtkatholischer Christen zur Eucharistie.



Man muss diese drei Themenblöcke auseinanderhalten, aber zugleich schauen, dass man sie mutig und offen angeht. Wobei man bei bestimmten Dingen sagen muss: Die Antworten wissen wir auch nicht ohne weiteres von vornherein. Aber es muss eine verlässliche und überzeugende Antwort sein. Dann nehmen uns die Leute dies auch ab. Selbst wenn nicht immer das herauskommt, was so auf der Straße liegt.



Interview:  Gottfried Bohl