Macht der Klimawandel die Kirchenorgeln kaputt?

"Lüften, spielen und genau hinschauen"

Der Orgelsachverständige Ansgar Wallenhorst beobachtet derzeit ein Korrosionsproblem bei einigen Kirchenorgeln. Ist das nur ein Zufall oder steckt mehr dahinter? Der Experte begibt sich auf Ursachenforschung.

 © Vladimir Batishchev (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Einen Korrosionsbefall sieht man wahrscheinlich nicht sofort, weil man sich nicht täglich jede einzelne Pfeife anschaut. Wie haben Sie das Problem an Ihrer eigenen Orgel bemerkt? 

Ansgar Wallenhorst / © Susanne Schmidt-Dominé (privat)
Ansgar Wallenhorst / © Susanne Schmidt-Dominé ( privat )

Ansgar Wallenhorst (Ratinger Kantor und Orgel-Sachverständiger): Bei uns war es ein relativ kurzfristig aufgetretener Ausfall in einem Register von 40 von 60 Tönen. Da wird man stutzig und guckt, was da los ist. 

Das war ein Zungenregister bei uns im Chorwerk, das hinter dem Hochaltar steht. Als wir uns das angeschaut haben, war relativ schnell klar, dass es ein Korrosionsprozess ist, der sich dort angesiedelt hatte. 

Dann gab es zudem in einem weiteren Register, was aus einer Zinn-Blei-Legierung ist, drei, vier, fünf total verstimmte Töne. Das kommt auch schon mal vor. 

Wenn das aber so massiv auftritt und auch bei einem Register passiert, was nicht gedackt ist, dann schaut man genauer hin. Auch da rieselten dann diese kleinen Partikel mehlig-zuckrig heraus. 

DOMRADIO.DE: Wo liegen die Gründe für diesen Korrosionsbefall? Vor einigen Jahren hat die extreme Trockenheit den Orgeln zugesetzt. In den letzten Monaten war es aber eher feucht und nass. 

Wallenhorst: Da rätseln wir auch noch. Wir Orgelsachverständige sind mit den unterschiedlichsten Firmen im Gespräch, sowohl Orgelbaufirmen als auch Zulieferfirmen. Wir werden es – so ist zumindest die Aussage von einigen Pfeifenbauern – in unserer Lebenszeit wahrscheinlich nie ganz ergründen können. 

Korrosion an einem Zungenblatt / © Ansgar Wallenhorst (privat)
Korrosion an einem Zungenblatt / © Ansgar Wallenhorst ( privat )

Fest steht aber, dass es hier um einen Prozess geht, der ähnlich wie der Schimmel mit dem feucht-wärmeren Klima zu tun hat. Der macht uns auch schon seit Jahren in den Kirchen Sorgen. Wir haben immer mehr Spitzenwerte bei den Temperaturen und auch mehr Feuchtigkeit. 

Dann kommt es zu dem Austritt von Gerbsäure/Essigsäure aus Eiche. Das ist das Entscheidende bei dieser Korrosion. Man kann ganz kurz und knapp sagen: Wo viel Eiche verbaut ist und viel Feuchtigkeit herrscht, da ist die Wahrscheinlichkeit von Korrosion erst einmal höher. 

DOMRADIO.DE: Warum ist dieses Problem jetzt besonders stark? Kirchenorgeln gibt es schon sehr lange. Gab es diese Probleme vor Jahrhunderten nicht auch schon? Oder hängt es tatsächlich mit unserem Klima oder mit unseren Kirchenräumen zusammen? 

Wallenhorst: Genau das ist die Frage, die uns jetzt beschäftigt. Ist das ein Aufflackern, was es punktuell immer mal gegeben hat? Das gab es auch bei historischen Orgeln immer mal wieder. Ein klassischer Name dafür ist "Zinnpest", also eine Zinnkorrosion, die wiederum mehr mit der Temperatur zu tun hat. 

Jetzt stellt sich die Frage, die wir genau prüfen müssen, bevor wir irgendwelche Schnellschüsse machen: Ist das nun eine Art Flächenbrand, der durch dieses feucht-wärmere Klima an den Stellen, wo Eiche verbaut wird, auf uns zukommt? Oder sind es punktuell gehäufte Zufallsbefunde? 

Ansgar Wallenhorst

"Ich versuche im Moment sowohl die Orgelbauer als auch die Kollegen zu sensibilisieren, genau hinzuschauen."

DOMRADIO.DE: Wie viele Fälle außer Ihrer eigenen Orgel sind Ihnen denn noch bekannt, wo es im Augenblick Korrosionsschäden gibt? 

Wallenhorst: Das ist unterschiedlich. Ich habe mit recht vielen Orgelbauern gesprochen und telefoniert. Es gibt Orgelbauer hier aus der Region, die mir gesagt haben, bei der Wartung sei jede zweite bis dritte Orgel befallen. 

Es gibt wieder andere aus der Region, aber auch eher im süddeutschen Raum, die sagen, dass das Problem bei ihnen nicht so häufig aufgetreten ist. Ich versuche im Moment sowohl die Orgelbauer als auch die Kollegen zu sensibilisieren, genau hinzuschauen. 

Im Unterschied zum Schimmel, den man sofort im Orgelgehäuse oder an Trakturteilen sieht, muss man da ein bisschen in die Tiefe gehen. Und nicht bei allem, was aus einer Pfeife herausbröselt, denkt man auch sofort an Bleiacetat, denn es könnte auch herabfallender Putz von der Decke oder sonst etwas sein. 

DOMRADIO.DE: Wo liegt denn das Dramatische an diesem Korrosionsprozess? Wenn man das sieht, denkt man vielleicht zunächst, man wischt das einfach mit einem Lappen weg.

Wallenhorst: Beim Schimmel haben wir eine ähnliche Dramatik gespürt. Da stellte sich auch die Frage, ob das Schimmelsporen sind, die gesundheitliche Schäden zur Folge haben. 

Bei den Vorfällen von Korrosion ist das im Prinzip eine Reaktion von Werkstoffen, von Metallen und Säureabgaben, die aus dem Holz kommen. Da kann es sein, dass diese Korrosionsschicht das Material zerstört, wenn sie tiefer eindringt. 

Das ist der Unterschied. Den Schimmel kann man vom Holz entfernen. Oder wenn er an Trakturteilen ist, dann hat man vielleicht ein paar Flecken. Wenn sich das hier aber einmal ausgebreitet hat, dann geht das wie ein Virus durch die Orgel und kann auch andere Pfeifen befallen. Das kennen wir auch von dieser sogenannten "Zinnpest". Deswegen auch dieser umgangssprachliche Begriff.

Korrosionsschäden an Orgelpfeifen / © Ansgar Wallenhorst (privat)
Korrosionsschäden an Orgelpfeifen / © Ansgar Wallenhorst ( privat )

Dann bleibt nur das Entfernen. Das geschieht nicht nur mit einem Lappen, sondern das passiert über ein Infrarotbad. Das sind Säurebäder.

Schließlich gibt es auch die Prophylaxe. Erstmal kann es aber zu einer Schädigung oder auch Vernichtung von Substanz führen. 

DOMRADIO.DE: Im schlimmsten Fall müsste man sich also eine neue Orgel anschaffen? 

Wallenhorst: Das ist sehr weit gegriffen. Aber das sind Reparaturkosten, die anteilig getragen werden. Da sind wir seitens des Erzbistums immer ein bisschen mit im Boot.

Wenn zum Beispiel ein Pfeifenfuß befallen ist, dann muss der unter Umständen abgetrennt und neu angelötet werden, wenn er eine gravierende Schädigung hat. Das sind Arbeitsstunden. Da geht es gar nicht mal mehr ums Material. Das geht schon deutlich in die Kosten. 

Ansgar Wallenhorst

"Also lüften, spielen und als Letztes wirklich genau hinschauen."

DOMRADIO.DE: Welchen Rat geben Sie denn den Kirchengemeinden und den Kirchenmusikern, um diesem Problem vorzubeugen oder um nachzuschauen, ob ihre Orgeln auch betroffen sind? 

Wallenhorst: Erstmal muss man gucken, ob man in der "Gefahrenzone" ist, also beispielsweise eine Kirche aus den 1950er-Jahren hat, die hermetisch abgeriegelt ist und eine Doppelverglasung hat.

Wir verbessern derzeit auch die Gesetzgebung, was die thermische Struktur von Gebäuden betrifft. Wenn ein Gebäude aber luftdicht abgeschlossen ist, es wenig genutzt wird und die Orgel an einem ungünstigen Ort steht, wo wenig Zugluft ist, dann ist schon einmal eine Gefährdung da. 

Das war bei uns auch so. An der einen Orgel an der Westseite war nichts, aber an der Chorseite war etwas. Man muss also erstmal schauen, ob das ein Raum ist, der von Feuchtigkeit betroffen ist. 

Punkt Zwei ist dann das Wichtigste und eigentlich auch das Schönste für einen Musiker. Man muss viel spielen. Nur so entdeckt man es. Wenn man dann merkt, dass da was ist, muss man diesen Tonausfällen oder der Verstimmung nachgehen. 

Und Punkt Drei liegt bei den Orgelbauern, bei der Pflege oder wenn man die Orgel selber stimmt. Wenn man die Zungen beistimmt, muss man genau hinschauen. Wenn eine Krücke, mit der so eine Zunge gestimmt wird, nicht mehr gut rauf und runter geht, kann das auf diesen Befall hindeuten. Man muss also lüften, spielen und als Letztes genau hinschauen. 

Das Interview führte Jan Hendrik Stens.

Quelle:
DR