Luxemburgs Erzbischof zu Kirche und Staat

"Barrieren fallen hier schneller als anderenorts"

Im Großherzogtum Luxemburg bleibt die bisherige Koalition von
Christ- und Sozialdemokraten an der Regierung. Die beiden Parteien einigten sich auf ein Koalitionsprogramm, das heute unterzeichnet werden soll. Erzbischof Fernand Franck über die Rolle der Kirche in der luxemburgischen Gesellschaft.

Autor/in:
Christoph Lennert
 (DR)

KNA: Herr Erzbischof, in den vergangenen Wochen und Monaten machte Luxemburg Schlagzeilen, weil in umstrittenen gesellschaftlichen Fragen Entscheidungen getroffen oder vorbereitet wurden, die auf Widerspruch bei der Kirche stoßen. Das Sterbehilfegesetz wurde gegen Ihren Protest verabschiedet, eine Reform der Scheidungsgesetze ist in Vorbereitung. Wie erklärt sich diese Entwicklung? Holt Luxemburg im Eilverfahren eine Entwicklung nach, die sich in anderen Staaten bereits seit Jahren abzeichnet?
Franck: Luxemburg ist und funktioniert in vielerlei Hinsicht pragmatisch - das hat Vor- und Nachteile. Ein Vorteil ist, dass man sich hier flexibel auf neue Situationen und Gegebenheiten einstellt.
Das zeigt sich etwa jetzt in der Wirtschaftskrise. Ein Nachteil:
Wertvolles, wie eben der Schutz des Lebens, kann schnell, zu schnell, über Bord geworfen werden. Dann wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet - leider! Barrieren fallen bei uns schneller als anderenorts.

KNA: Für Aufsehen und schließlich eine Verfassungsänderung sorgte die Ankündigung von Großherzog Henri, das Sterbehilfegesetz nicht in Kraft setzen zu wollen. Ist auch diese Verfassungsänderung ein Schritt zur "Normalisierung" des Großherzogtums, zur Angleichung an die Strukturen benachbarter Staaten?
Franck: Nicht unbedingt. In anderen Ländern hat der Staatschef zum Teil größere Befugnisse als es künftig für unseren Großherzog vorgesehen ist. So kann der deutsche Bundespräsident etwa seine Unterschrift unter schon vom Parlament beschlossene Gesetze verweigern und dies zurückgehen lassen. Das kann der Großherzog in Zukunft nicht mehr. Auch der französische Staatspräsident verkörpert in seinem Amt eine Machtfülle und politische Befugnisse, die ein Großherzog von Luxemburg nie hatte. Hier gibt es zwischen den Ländern - Luxemburg inbegriffen - eine Ungleichzeitigkeit, die aus der konkreten Geschichte sowie jüngeren politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen gewachsen ist.

KNA: Von außen betrachtet wirkt das Großherzogtum wie ein Land, in dem aus kirchlicher Sicht die Welt noch ziemlich in Ordnung ist. Es gibt gut besuchte Wallfahrten und Prozessionen, die Kirche nimmt sichtbar einen Platz im gesellschaftlichen Leben ein. Täuscht dieser Eindruck?
Franck: Innerhalb der Gesellschaft ist die katholische Strömung nach wie vor stark. Doch muss man feststellen, dass die Gesellschaft inzwischen in großen Teilen liberal ausgerichtet und säkularisiert ist. Aber es gibt in der Tat noch viele Formen der Volksfrömmigkeit, die sich etwa in der Muttergottes-Oktave und der Springprozession äußern. Die Kirche ist zudem stark institutionell geprägt, unter anderem durch die katholische Tageszeitung, das "Luxemburger Wort", das die höchste Auflage der Tageszeitungen im Land hat, ihre sozial-karitativen Werke und den Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen.

KNA: Wie ist es um die Mitarbeit der Laien bestellt? Wie steht es um die Zahl der praktizierenden Katholiken im Vergleich zu den Nachbarländern?
Franck: Wir haben viele engagierte Laien, die ehren-, aber auch hauptberuflich in den kirchlichen Dienststellen mitarbeiten. Doch wenige Jugendliche ergreifen zur Zeit einen kirchlichen Beruf. Auch die Mitgliederzahlen der katholischen Verbände sind stark rückläufig. Die Sonntagspraxis entspricht in etwa derjenigen in den Nachbarländern, aber das ist auch von Pfarrei zu Pfarrei sehr unterschiedlich. Ich schätze, dass zwischen 5 und 15 Prozent der Katholiken regelmäßig den Gottesdienst besuchen. Hinzu kommen noch zahlreiche sporadische Gottesdienstteilnehmer.

KNA: Und wie steht es um die Zahl der Priester?
Franck: Unter dem Priestermangel leiden wir ebenso wie die Nachbarländer. Um 1900 hatten wir rund 500 Priester, jetzt sind es noch 150, und dabei sind diejenigen im Ruhestand sogar schon mitgezählt. Wir bewegen uns auf die bald kommende Zeit hin, dass nur noch 50 Priester im aktiven Einsatz sein werden. Besser wären mehr - aber woher nehmen?