Lumia-Stiftung bietet Hilfe - Jenny Geisteuer pflegt ihren schwerbehinderten Sohn

Leben mit Kind im Wachkoma

Den 26. April 2007 wird Jenny Geisteuer nie vergessen. Es war der Tag, an dem sie ihren Sohn verloren hat - und ihn doch geschenkt bekam. Der zweijährige Jean-Pierre wäre damals fast ertrunken. Nach einer fast viertelstündigen Wiederbelebung fand er zurück ins Leben. Sein Gehirn war jedoch so lange ohne Sauerstoffversorgung geblieben, dass Jean-Pierre ins Wachkoma fiel und in diesem Zustand blieb.

Autor/in:
Karina Scholz
 (DR)

Heute ist der Junge vier Jahre alt und muss als Schwerbehinderter von seiner 19-jährigen Mutter gepflegt werden. Hilfe bekommt sie dabei von dem ersten Regionalbüro der Lumia Stiftung in Hannover. Die deutschlandweit tätige Stiftung hat sich auf die Unterstützung von Familien mit einem Kind im Wachkoma spezialisiert.

«Es ist, als hätte ich den alten Jean-Pierre abgeben müssen und dafür ein neues Kind bekommen», sagt Jenny Geisteuer. An der Wand im Wohnzimmer ihrer Gehrdener Wohnung hängt ein Foto von dem «alten» Jean-Pierre, ein blonder Junge mit blauen Augen und Stupsnase. «Er war ganz schön frech», erinnert sich seine Mutter. Ihre Beziehung zu Jean-Pierres Vater zerbrach nach dem Unfall. Der damals 21-Jährige hatte die Aufsicht über das Kind, als der folgenschwere Unfall passierte. Das junge Paar entwickelte sich danach auseinander: Jean-Pierres Vater wurde kriminell, seine Mutter wich im Krankenhaus nicht von Jean-Pierres Seite.

Im Koma aber am leben
Jenny Geisteuer erkennt heute an kleinen Reaktionen von Pierres Körper, wie es ihm geht. Der Vierjährige liegt schlaff auf ihrem Arm, sein Mund steht offen. «Wenn er in seinen Kinderwagen muss, passt das Pierre gar nicht. Dann pulsiert die Ader auf seiner Stirn heftig», sagt Geisteuer. Am Hals hat Jean-Pierre eine große Kanüle, durch die sein Speichel abgesaugt wird. Selbstständig schlucken kann er nicht. Ernährt wird er durch eine Magensonde. «Kartoffelbrei, Spinat, Pommes, ich mache ihm das, was er früher auch gerne mochte», erzählt seine Mutter. Zum Einschlafen bekommt ihr Sohn Hörspiele vorgespielt, zurzeit die Geschichten von Spongebob.

«Stimulation für alle Sinne ist ein sehr wichtiger Bestandteil der Therapie bei Kindern im Wachkoma», erklärt der Chefarzt für Kindernervenheilkunde im Kinderkrankenhaus auf der Bult, Hans-Jürgen Christen. Geräusche, Musik, Berührungen und Gerüche seien deshalb von Bedeutung, weil das Gehirn sich auch im Wachkoma noch weiter entwickele. So bekommt auch Jean-Pierre regelmäßig Förderungen von Ergotherapeuten, Logopäden und Physiotherapeuten. «Kinder im Wachkoma muss man über Jahre hinweg beobachten, um ihren Status beurteilen zu können», sagt Christen. Ihre Lebenserwartung sei «nicht dramatisch eingeschränkt». Häufig erreichten sie das Erwachsenenalter.

Lumia-Stiftung hilft
Damit ihr Sohn die bestmögliche Förderung bekommt, greift Jenny Geisteuer auf die Hilfe der Lumia Stiftung zurück. Niedersachsens Sozialministerin Mechthild Ross-Luttmann (CDU) eröffnet das erste Regionalbüro der Stiftung in Hannover am 14. August. Sozialpädagogin Nele Holz, Angestellte der Stiftung, betreut Jenny Geisteuer etwa beim Ausfüllen der Anträge für Pflegeleistungen und erklärt, welche Fördermöglichkeiten noch ausgeschöpft werden können. Allein fühlte sich die 19-Jährige damit oft überfordert. «Ich bin froh, dass es dieses Angebot gibt», sagt sie. Auch in der Kommunikation mit Ärzten fühlt sich die junge Mutter seit der Betreuung durch die Lumia Stiftung sicherer. Deren Hilfe ist kostenlos.

Jean-Pierre soll bald einen Platz im Förderkindergarten bekommen. Geisteuer will dann eine Weiterbildung zur City-Logistikerin für Krankentransporte machen und mit ihrem Freund, den sie in der Reha-Klinik kennenlernte, zusammenziehen. Noch hat sie ihre eigene Wohnung und wird von ihrem Bruder Ronny bei der Pflege von Jean-Pierre unterstützt. «Ich bin nicht unglücklich», sagt sie über ihr Leben mit Jean-Pierre. Sie habe sich «daran gewöhnt».