DOMRADIO.DE: Papst Franziskus ist am Ostermontag gestorben. Was hat die Nachricht in Ihnen ausgelöst?
Luisa Neubauer (Klimaaktivistin): Ich war tief betroffen und fast schon überrascht davon, wie sehr ich davon bewegt war. Es hatte vielleicht auch damit zu tun, dass ich am Ostermontag Geburtstag hatte. Ich habe auch in diesem Tag hinein diesen Verlust sehr intensiv wahrgenommen. Aber mit Papst Franziskus ist schon jemand von dieser Welt gegangen, der für uns alle etwas geleistet hat.

DOMRADIO.DE: Was verbinden Sie mit Papst Franziskus?
Luisa Neubauer: Vor allem unser Treffen vor anderthalb Jahren im Vatikan. Da hatte er mich und andere Klimaaktivisten eingeladen, angesichts seines eigenen Engagements und Einsatz für Klimagerechtigkeit und Klimaschutz. Das hat mich tief berührt und bewegt, dass es dieses Treffen gab.
Er war so warm, herzlich und tatsächlich auch humorvoll uns gegenübergetreten ist. Ansonsten verbinde ich mit Papst Franziskus allen voran seinen wirklich überragenden und beispiellosen Einsatz für die Nachhaltigkeit, für die Lebensgrundlagen mit seiner Enzyklika Laudato si und später Laudate Deum. Damit hat er wirklich einen großartigen Beitrag erbracht, von dem wir alle noch lange profitieren werden.
DOMRADIO.DE: Sie haben Franziskus mal als einen Verbündeten bezeichnet. Auch deswegen?
Luisa Neubauer: Definitiv. Beim Erhalt der Schöpfung geht es nicht darum, dass wir alle bessere Menschen werden oder dass wir alle zur selben Person werden, sondern es geht darum, dass wir Allianzen schmieden, dass wir zusammenkommen über die Generationen hinweg, über die Lebensbereiche und Lebenswelten hinweg. Papst Franziskus hat gezeigt, wie das aussehen kann, wenn man aus seiner eigenen Rolle heraus Verantwortung übernimmt. Aus seiner eigenen Rolle heraus reflektiert.
Was kann ich tun, was kann mein Beitrag sein, wie kann ich meine Stimme nutzen? Scheinbar gerade jetzt wird in der Bilanzierung seiner Zeit als Papst ein gemischtes Bild gezogen, was die Umwelt und das Klima betrifft. Mit Sicherheit kann man sagen, dass das herausragend war, was er geleistet hat. Auch indem er gezeigt hat, dass selbst in sehr aufwendigen Institutionen Wandel möglich ist und dass man sich auch aus einer solchen Machtposition heraus immer wieder ins Risiko hereinbegeben kann.
DOMRADIO.DE: Laudato Si, die Umweltentzyklika von Papst Franziskus haben sie schon angesprochen. Sie wird dieses Jahr zehn Jahre alt. Was hat diese Schrift überhaupt bewirkt?
Luisa Neubauer: Das erste Mal hat sie Millionen von Menschen berührt. Sozialer Wandel oder auch ein Wandel des Herzens kann man nicht bestellen und den kann man nicht verfolgen, wie ein Paket, was man im Internet geliefert bekommt. Man kann so etwas in die Welt setzen und dann nur erahnen, wo das überall Menschen bewegt, wie viele Menschen sich davon angesprochen und aufgerüttelt fühlen. Man muss sagen, ganz konkret hat die Veröffentlichung damals - wenige Monate nach dem das Pariser Klimaabkommen verhandelt wurde - noch einmal ganz anders gezeigt, dass konsequenter und im besten Sinne radikaler Klimaschutz mehrheitsfähig ist. Und, dass er auch ungeahnte Teile der Welt und ungeahnte Machtzentren berühren und bewegen kann.
Ich fände es allerdings naiv, Dokumentationen zu verlangen, die angebliche Wirksamkeit beweisen, so funktioniert Wandel nicht. Wir können nur gute Zeichen und die besten Botschaften ins Universum senden und darauf setzen, dass Menschen daraus etwas machen. Ich habe in meinem eigenen Umfeld erlebt. Meine Großmutter ist keine Katholikin, hat Laudato Si aber jahrelang durch die Welt getragen, weil sie sich - wie viele andere auch - so sehr davon hat angesprochen gefühlt.
DOMRADIO.DE: Sie selbst sind evangelische Christin. Was bedeutet ihnen der Papst als Mahner?
Luisa Neubauer: Darauf kann ich keine umfassende Antwort geben. Da muss ich bestimmt noch eine Weile in mich hineinspüren. Die Figur des Papstes spielt für mich keine so tragende Rolle wie Papst Franziskus und das, was er außer dieser Rolle gemacht hat. Das bewegt mich und sehr viele andere Menschen auch.
Er hat den Raum geweitet von dem, was man für möglich gehalten hat. Er hat gezeigt, wie man eine Rolle verändern und der Zeit anpassen kann. Er hat immer auch dafür geworben, sich als Kirche immer wieder in der Welt zu verorten, statt anzunehmen, dass die ganze Welt schon längst in der Kirche sei, was nicht stimmt.
In Deutschland stimmt es immer weniger. Ich und viele andere sind gespannt und auch nervös, wer ein nächster Papst sein könnte und was dann aus dieser Rolle wird. Ich würde aber sagen, auch ohne Papst Franziskus auf dieser Welt haben wir weiterhin einiges, was wir von ihm lernen können. Etwas, das bleibt und was wir fortführen können.
DOMRADIO.DE: Papst Franziskus ist ein Mahner. Einer der gerne auch die Worte an die Menschen richtet. Im Vatikanstadt , wo er ganz konkret die Macht hat, hat er durchaus auch versucht, das Land klimaneutral zu machen. Was halten Sie davon?
Luisa Neubauer: Ich bin ein großer Fan davon, dass wir Komplexität zulassen. Natürlich war nicht alles, was Papst Franziskus gemacht oder gesagt hat, so dass ich es unterschreiben würde. Darum geht es auch nicht. Viele kommentieren auch gerade, dass man an manchen Stellen durchaus hätte weitergehen müssen. Gerade in den Bereichen, wo Franziskus direkt Macht ausüben konnte. Das ist die Macht des Wortes und der Sprache und die im Vatikanstaat.
Er hat sie in der ökologischen Sache sehr nachhaltig eingesetzt. Das ist eine gute Inspiration für viele Menschen, die sich gerade fragen, was deren Rolle sein könnte in der ökologischen Transformation. Es geht nicht darum, dass wir alle das gleiche machen und alle das gleiche sagen. Es geht darum, dass wir unsere Möglichkeiten nutzen. Das zwar einerseits in der rhetorischen Intervention, wenn man das so sagen möchte, aber eben immer auch praktisch dort, wo es ganz konkret um materiellen Wandel geht, den wir so dringend brauchen.
Was es dann im besten Falle noch gibt - das hat Papst Franziskus wirklich vorgelebt - ist ein Verständnis von dem, was wir gerade in dieser Welt machen. Diesen Term, den er genutzt hat. Diesen Ausruf oder diese Art Vorwurf, den er uns gerichtet hat: Es gäbe eine Globalisierung der Gleichgültigkeit. Dieser Vorwurf sollte uns bewegen und nachdenklich machen. Im besten Fall sollte es uns aufrütteln.
DOMRADIO.DE: Was bedeutet für Sie persönlich Ihr christlicher Glaube für Ihr Klimaengagement?
Luisa Neubauer: Ich bin nicht Klimaaktivistin, weil ich Protestantin bin. Aber dass ich Protestanten bin, dass ich mich als spirituell verstehe, dass ich mich mit Fragen von Glauben und Zweifel beschäftige hilft mir dabei, einen Klimaaktivismus zu machen, der durch mein Herz und Empathie lebt; und der mich nicht ausbrennt.
DOMRADIO.DE: Was wird für Sie nach dem Tod von Franziskus bleiben?
Luisa Neubauer: Darüber habe ich viel nachgedacht in den letzten Tagen. Was bleibt, wenn eine solche Person geht? Es gibt bei solchen großen und berührenden Todesfällen die Gefahr, dass man so sehr nachtrauert und sich so sehr auf das fokussiert, was geht, dass man vergisst, was bleibt und wo es an uns liegt, Dinge fortzuführen.
Ich setze auf die vielen Katholiken in Deutschland und dieser Welt, dass sie zum Beispiel in Laudato Si weiter am Leben halten, dass sie weiter die katholische Kirche auf allen Ebenen Richtung Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit führen, dass Sie dort Wege weitergehen, die Franziskus angefangen hat zu gehen.
Ich bin mir sicher, dass von Franziskus seine Fähigkeit bleibt sich selbst ernst zu nehmen und zu verorten. Die eigene Position ernst zu nehmen und die eigene Macht für die Klimagerechtigkeit einzusetzen. Das hat Papst Franziskus vorgelebt. Das wird weit über seinen Tod hinaus ein mahnendes, aufmunterndes und ermunterndes Zeichen bleiben. Ein Zeichen, dass ihm viele Menschen aus allen denkbaren Positionen nach tun können.
Dieses Interview führte Roland Müller.