Lücking-Michel sieht ohne Reformen keine Handlungsfähigkeit

"Wir kriegen unser Haus nicht aufgeräumt"

Die Wallfahrtssaison in Stromberg ist in diesem Jahr wieder gestartet. An diesem Sonntag predigte Claudia Lücking-Michel, die ehemalige ZdK-Vizepräsidentin. Ihr ist die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Kirche zu groß.

Symbolbild Reformen; Eine Frau trägt eine Weste mit der Aufschrift Frauen. Macht. Zukunft. / © Harald Oppitz (KNA)
Symbolbild Reformen; Eine Frau trägt eine Weste mit der Aufschrift Frauen. Macht. Zukunft. / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie haben hier gerade Gottesdienst gefeiert und zu den Wallfahrern gesprochen. Warum war Ihnen das wichtig?

Dr. Claudia Lücking-Michel (Co-Leiterin des Forums "Macht, Partizipation und Gewaltenteilung" des Synodalen Weges und ehemalige Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)): Ich habe mich über die Einladung zur Wallfahrt gefreut, die eine wunderbare Tradition ist. Auch weil der Stromberg ein sehr schöner Ort ist.

Claudia Lücking-Michel, Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken / © Julia Steinbrecht (KNA)
Claudia Lücking-Michel, Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Außerdem habe ich mich gefreut, dass ich eingeladen wurde, um zu predigen. Heute haben wir das Evangelium vom barmherzigen Samariter gehört. Das war eine sehr schöne Gelegenheit, das Evangelium auszulegen und dabei Anliegen in den Mittelpunkt zu stellen, die mir wichtig sind.

DOMRADIO.DE: Welche Anliegen waren das denn ganz besonders?

Lücking-Michel: Ja, dieses Evangelium ist dafür wunderbar. Es zeigt uns ein deutliches Kriterium für die Kirche auf. Kirche muss den Menschen helfen, die am Wegesrand liegen. Das ist das wichtigste und fast das einzige Kriterium. Wenn wir unsere ganze Kirche daraufhin prüfen, müssen wir uns fragen: Worüber streiten wir uns noch?

Dr. Claudia Lücking-Michel, ehemalige Vizepräsidentin des ZdK

"Wenn die Frage ist, wie wir den Menschen helfen, dann brauchen wir mehr Seelsorger*innen und mehr Priester*innen."

Wenn die Frage ist, wie wir den Menschen helfen, dann brauchen wir mehr Seelsorger*innen und mehr Priester*innen. Dann müssen wir Kirche so verändern, dass diejenigen, die bereit sind, sich einzubringen und die Not zu wenden, dass auch wirklich tun können. Das sie gesehen, gewürdigt und mit Amt und Funktion eine größtmögliche Wirkung erzielen können.

DOMRADIO.DE: Wenn Sie dabei auf die Reformen schauen, die notwendig sind: Was ist Ihnen dabei das Allerwichtigste?

Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK)

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ist das höchste repräsentative Gremium des deutschen Laien-Katholizismus. Es vertritt die katholischen Laien bei der gesellschaftlichen Meinungsbildung und ist das von der Bischofskonferenz anerkannte Organ zur Koordinierung des Laienengagements in der Kirche. Allerdings melden sich immer wieder auch einige katholische Laien und Vereinigungen zu Wort, die das ZdK nicht als ihre Vertretung verstehen.

Das Kreuz des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)  / © Harald Oppitz (KNA)
Das Kreuz des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) / © Harald Oppitz ( KNA )

Lücking-Michel: Das Allerwichtigste ist mittlerweile – ehrlich gesagt, dass wir die Hoffnung nicht aufgeben und uns immer wieder gegenseitig bestätigen. Die Frohe Botschaft ist es wert, verkündigt zu werden. Deshalb ist es wert, sich für Reformen in der Kirche einzusetzen und zu engagieren. Aber so schön, wie es heute war – der Platz und die Bänke gefüllt. Leute in meinem Alter gehörten bereits zu den Jüngeren. Jüngere als ich waren fast gar nicht da.

Wir merken, dass sich etwas verändern muss. Damit unsere Botschaft wieder ankommt, müssen wir glaubhafter werden; müssen wir überzeugender im Handeln sein und endlich den Riesenabstand zwischen Anspruch und Wirklichkeit wieder ein bisschen kleiner machen.

DOMRADIO.DE: Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander. Woran machen Sie das fest? Woran hängt es?

Lücking-Michel: Es liegt viel an den Strukturen, an der Vorstellung einer – manche regen sich auf, wenn ich es sage, aber ich empfinde es so – männerbündischen Kirche, an der klerikalen Verengung und an der ganzen Aufmerksamkeit, die dafür verwendet wird, unsere eigenen Probleme zu lösen, immer um uns selbst zu kreisen, anstatt sich um die Kernaufgaben der Kirche zu kümmern.

Wir kriegen unser Haus nicht aufgeräumt. Bevor wir das nicht überzeugend vermitteln, werden wir auch nicht deutlich machen können, dass wir den Schuss gehört haben; dass wir etwas verändern wollen. Dann sind wir auch nicht glaubwürdig, wenn wir nach außen hin auftreten. Als Kirche werden wir da gebraucht, wo die Menschen – bleiben wir im Bild des heutigen Evangeliums – am Wegrand liegen. Das wissen wir alle. Wir wissen, es ist höchste Zeit. Doch wir gehören eher zu den ersten beiden. Die, die kommen, sehen und weitergehen.

DOMRADIO.DE: Sie haben gepredigt. Das Frauen predigen ist ungewöhnlich und in manchen Bistümern noch gar nicht erlaubt. Was ist das für ein Gefühl?

Lücking-Michel: Das ist ein gutes Gefühl. Ich bin froh, dass ganz klar gesagt wurde, dass es eine Predigt in der Eucharistie ist, die nach dem Evangelium gehalten wurde, wie eine Homilie.

Dr. Claudia Lücking-Michel, ehemalige Vizepräsidentin des ZdK

"In einer Kirche mitarbeiten, die Frauen gerecht wird und die vor allen Dingen dem Auftrag Jesu Christi gerecht wird."

Vom Synodalen Weg wissen wir, dass es mehr ist als ein Kampf um Worte. Es geht um ein wirkliches Zeichen, dass jeder an irgendeiner Stelle ein Glaubenszeugnis abgeben darf. Das geht auch jetzt schon und überall. Es geht darum, dass wirklich anerkannt wird, dass auch Nichtkleriker in dem Sinne Homilie halten können. Ich hoffe, dass dieser Vorschlag im Handlungstext aus dem Synodalforum beachtet und umgesetzt wird.

DOMRADIO.DE: Wo nehmen Sie die Energie für ihr jahrelanges Engagement her?

Lücking-Michel: Ja, Geduld muss man mitbringen. Das stimmt! Die Energie nehme ich aus dem Wissen, dass es wirklich um etwas geht und aus der Hoffnung, dass ich für meine Töchter und für meine Enkeltochter, die in zwei Wochen getauft wird, arbeite. Sie sollen in einer Kirche mitarbeiten, die Frauen gerecht wird und die vor allen Dingen dem Auftrag Jesu Christi gerecht wird.

Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen.

Quelle:
DR