Liu Xiaobo gilt als einflussreichster Bürgerrechtler in China

Nobelpreis für einen politischen Gefangenen

Der Friedensnobelpreis geht in diesem Jahr an den inhaftierten chinesischen Dissidenten Liu Xiaobo. Der 54-jährige Bürgerrechtler wird für seinen langen und gewaltfreien Kampf für die Menschenrechte in China ausgezeichnet. Zu seinen Vorbildern gehört ein deutscher Theologe.

Autor/in:
Kristin Kupfer
 (DR)

Während die Welt ihn als Empfänger des Friedensnobelpreises feiert, sitzt Liu Xiaobo in einer rund 30 Quadratmeter großen Gefängniszelle im Nordosten Chinas. An Weihnachten 2009 wurde der Literaturwissenschaftler und Publizist zu elf Jahren Haft verurteilt. Der 54-Jährige ist Hauptinitiator des Manifests "Charta 08" für Demokratie und Menschenrechte. Er gilt als einflussreichster Regimekritiker der Volksrepublik. Am Freitag wurde ihm der Friedensnobelpreis verliehen.



Vielleicht hat Liu gelesen, mit seinen fünf Zellengenossen gesprochen oder war auf dem Weg zum abendlichen, einstündigen Hofgang, als das norwegische Nobelkomitee die Entscheidung verkündete. Seine Frau Liu Xia ist überzeugt, dass er sich sehr über den Preis freuen wird, sobald er davon erfährt. Am Freitag bekam sie selbst Besuch von drei Sicherheitsleuten, die mit ihr verhandelten. Mehr dürfe sie nicht sagen, erklärte sie am Telefon.



Zum ersten Mal nach China

Der seit 1901 vergebene Friedensnobelpreis geht zum ersten Mal in seiner Geschichte nach China, sehr zum Ärger der kommunistischen Führung. Schon im Vorfeld hatte Peking das norwegische Komitee vor dieser "nicht-freundlichen" Tat und ihren Auswirkungen auf die zwischenstaatlichen Beziehungen gewarnt. Liu ist nach dem deutschen Pazifisten Carl von Ossietzky (1935) der zweite Nobelpreisträger, der seine Auszeichnung in Haft erhält.



Der chinesische Dissident wurde Ende 2009 wegen "Anstiftung zum Umsturz der Staatsmacht" verurteilt. Das Urteil nimmt Bezug auf neun seiner Schriften: Alles Aufrufe zu schrittweisen, friedlichen politischen Reformen. Doch auch seine Rolle als Mitverfasser und Koordinator der 2008, im Jahr der Olympischen Spiele in Peking, veröffentlichten "Charta 08" machten ihn in den Augen des chinesischen Regimes zum "Staatsfeind". Mehr als 11.700 Menschen in- und außerhalb Chinas haben den Aufruf für demokratischen Reformen bis dato unterzeichnet.



Bereits 1989 protestiert

Liu setzt sich seit mehr als 20 Jahren für politische Rechte und Demokratie in der Volksrepublik ein. Er veröffentlichte viele Schriften und bemüht sich um konstruktive Diskussionen. Als einer der wenigen Dissidenten wird er daher von der älteren und jüngeren Kritikergeneration gleichermaßen geschätzte. Liu gilt als Brückenbauer zwischen unterschiedlichen Kreisen und soziale Gruppen.



Am 28. Dezember 1955 in der der Provinzhauptstadt Changchun im Nordosten geboren, machte er sich zunächst als Literaturkritiker und Philosophie-Dozent einen Namen. Sein politisches Engagement rührt aus der Demokratiebewegung auf dem Tiananmen-Platz in Peking von 1989, die blutig niedergeschlagen wurde. Liu, damals Dozent, beteiligte sich am letzten Hungerstreik der Studenten.



Als treibende Kraft nennt war Liu seine Erfahrung als ein "versklavtes Individuum" während einer dreijährigen Landverschickung mit seinem Vater Anfang der 70er Jahre in der Inneren Mongolei. Im Zentrum seiner politischen Schriften steht der Gedanke, dass Demokratisierung kein revolutionärer, sondern ein langsamer und auch mühevoller Prozess einer Gesellschaft ist.



Vorbild Bonhoeffer

Dabei gelte es auch, Hass und Feindschaft zwischen Regierung und dem Volk durch Versöhnung zu überwinden. Der deutsche Theologe und NS-Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) gilt Liu als wichtiges geistiges Vorbild.



Zu Beginn der chinesischen Studentenproteste 1989 befand er sich auf einer Forschungsreise in den USA und kehrte vorzeitig nach Peking zurück. Als Dozent mischte er sich unter seine Studenten auf den Tiananmen-Platz. Als die Bewegung an Faktionskämpfen zu zerbrechen drohte, initiierte Liu mit anderen Intellektuellen den letzten Hungerstreik auf dem Tiananmen-Platz. Als die Panzer rollten, verhandelte er zusammen mit anderen Dozenten in der Nacht auf den 4. Juni mit der Militärführung über einen friedlichen Abzug der Studenten.



Für sein Engagement wurde Liu im Juni 1989 für rund 18 Monate ohne Prozess in Haft genommen. Festnahmen, Überwachung und Hausarrest im Umfeld politischer Jahrestage oder Großereignissen wie die Olympischen Spiele haben seitdem Lius Alltag bestimmt. Liu ist seit 1997 mit der Dichterin Liu Xia verheiratet. Er hat einen Sohn aus erster Ehe.