Laut Gutachten verplempern Bund und Bahn Milliardensummen

Rasen, bummeln, Geld verschwenden

Wenige Wochen vor der geplanten Teilprivatisierung der Deutschen Bahn (DB AG) gerät die Infrastrukturpolitik von Bund und Bahn heftig in die Kritik. Ein Gutachten im Auftrag des Netzwerks Privatbahnen beschreibt folgenschwere Fehler von Bund und Bahn. Das Schienennetz sei nicht leistungsfähig genug. Milliarden an Steuergeldern würden verplempert, Wachstumschancen verschenkt. Die gegenwärtige Planungslage sei "unplausibel bis absurd". Besonders ernüchternd: Abhilfe ist nicht in Sicht.

Autor/in:
Olaf Jahn
 (DR)

Erst am Wochenende hatte der Vorsitzendes des Netzbeirats der DB AG, Wolf-Rüdiger Gorka, eine Wende in der Verkehrsplanung verlangt. Der Grund: Mit dem bisherigen Gießkannenprinzip bei Investitionen würden wichtige Vorhaben erst in 30 bis 40 Jahren abgearbeitet, zu spät, um einen Infarkt im Güterverkehr zu verhindern.

Dass Deutschland bei der Schieneninfrastruktur Nachholbedarf hat, zeigt ein Blick auf die Zahlen. Der Umschlag in Deutschlands Seehäfen boomt seit Jahren. Allein im Hamburger Hafen stieg der Containerumschlag seit dem Jahr 2000 von 4,2 Millionen TEU (20-Fuß-Standardcontainer) auf zuletzt knapp zehn Millionen. Im Jahr 2015 sollen es bereits 15 Millionen TEU sein. In den anderen Häfen boomt es ähnlich. Diese Waren und Güter müssen abgefahren werden. Auch die Transporte über die Alpen und von und nach Osteuropa legen kräftig zu. Wachstum allerorten.

"Hochgeschwindigkeitsbesoffe" Politik
Auf diesen Ansturm ist das Schienennetz, wie das Gutachten nahe legt, nicht vorbereitet. Die einzige Strecke, so Autor Gottfried Ilgmann, die unmittelbar für den Güterverkehr gebaut wurde (Maschen - Buchholz) "nimmt sich mit 22 Kilometern winzig aus" - und das Projekt liege bereits 30 Jahre zurück. Dagegen sei seit 1995 in Hochgeschwindigkeitsprojekte mit einer Gesamtlänge von rund 1400 Schienenkilometer investiert worden.

Dieser Gegensatz ist für Ilgmann, der die Bundesregierung Anfang der 90er Jahre beim Thema Bahnreform beraten hat, Ausdruck des Kernproblems: Der Hinwendung zu einer Politik, die manchmal wie "hochgeschwindigkeitsbesoffen" wirke und aus Prestigegründen und politischen Kalkulationen heraus falsche Schwerpunkte setze.

Das Ergebnis ist ernüchternd. In den 15 Jahren seit der Bahnreform sind laut Ilgmann jährlich zehn Milliarden Euro für die Sanierung der Bahn angefallen. Dazu seien aus dem Bundeshaushalt noch einmal zehn Milliarden Euro pro Jahr an Investitionen in das Netz und für die Subventionierung des Regionalverkehrs geflossen. Dieser Einsatz von Steuermitteln ist zu großen Teilen verpufft. Die Schienenauslastung sei, so Ilgmann, nur "unerfreulich dürftig" gestiegen.

Bahn will 30 Milliarden Euro investieren
Bahnsprecher Martin Walden betont, die DB AG habe die Notwendigkeit zusätzlicher Kapazitäten lange erkannt und dränge auf Investitionsmittel für Neu- und Ausbauten. Bis zum Jahr 2025 wolle die Bahn 30 Milliarden Euro investieren. Zunächst solle das Netz durch kleine Maßnahmen in Eigeninitiative und mit einem 250-Millionen Euro Sofortprogramm des Bundes optimiert werden.

Das Gutachten beschreibt detailliert etliche Fehlinvestitionen. Dazu gehört auch schon die erste Hochgeschwindigkeits-Neubaustrecke in den 90er Jahren von Hannover nach Würzburg, auf der sowohl schnelle ICEs als auch langsame Güterzüge fahren sollten. Ein teurer Mix: Weil ICE's keine engen Kurven fahren können, musste die Trasse "wie mit dem Laserstrahl" durch das Mittelgebirge gebaut werden. Weil Güterzüge nur geringe Steigungen bewältigen können, mussten Täler durch Brücken, Höhenzüge durch Einschnitte und Tunnel passierbar gemacht werden.

Fehlinvestitionen
Hinzu kamen Ausweichgleise, auf denen Güterzüge die schnellen ICEs passieren lassen sollten. Rund 50 Millionen Mark (25 Millionen Euro) Euro kostete ein Kilometer Strecke. "Damit hätte man auch Villen zu je einer Million Mark im Abstand von 20 Metern entlang der Strecke bauen können", so Ilgmann. Leider hatten die Ingenieure übersehen, dass sich Güterzüge und ICEs in Tunneln nicht begegnen dürfen. Die Luftdruckwelle der Schnellzüge bedroht sonst die Ladung der Güterzüge. Die dürfen jetzt erst fahren, wenn der letzte ICE durch ist. Ihnen bleiben sechs Stunden in der Nacht. Diese Entmischung, so Ilgmann, ist "nur eine Krücke, um den Flop zu kompensieren". Für etwa 6,5 Milliarden Euro wurde nur "ein Minimum an zusätzlicher Kapazität" für Güterzüge erreicht. Im Personenverkehr fährt auf Teilen der Strecke nur ein ICE je Stunde und Richtung.

Als Fehlinvestition gilt unter Experten auch die mit 5,1 Milliarden Euro veranschlagte Strecke zwischen Erfurt und Nürnberg. Sie wurde 1996 begonnen, dürfte aber, gemessen am bisherigen Baufortschritt, erst in 25 Jahren fertig sein. Den boomenden Güterverkehr wird sie kaum entlasten. Steigungen erreichen bis zu zwei Prozent und sind für Güterzüge kaum zu bewältigen. Auch hier werden Tunnel mit nur einer Röhre gebaut, in denen sich Güter- und Schnellzüge nicht begegnen dürfen.

Ähnlich sieht es bei anderen Projekten aus. Auf der zwei Milliarden Euro teuren Strecke von Stuttgart nach Ulm stellen Steigungen von teilweise drei Prozent ein kaum überwindbares Hindernis für den Güterverkehr da. Die zur Entlastung des Hafenhinterlandverkehrs geplante Y-Trasse zwischen Hamburg/Bremen und Hannover bringt dem Güterverkehr laut einer Studie der Leibniz-Universität Hannover keinen nennenswerten Kapazitätsgewinn. Denn auch unter freiem Himmel dürfen 300 Stundenkilometer schnelle ICE keinem Güterzug begegnen. Ähnlich wie in Tunneln, könnte die Druckwelle die Ladung vom Güterzug reißen.

Die Y-Trasse ist ein Beispiel für weitere Planungsfehler. Sie schaffe, heißt es in dem Gutachten, neue Kapazitäten zwischen den Verkehrsknoten Hamburg oder Hannover. Die Knoten selbst würden nicht gestärkt. Das Ergebnis sei ein Phänomen, das für weite Teile des Netzes gelte: "Im Fernverkehr wird abschnittsweise gerast. Der teuer erkaufte Zeitgewinn wird dann in den Knoten verbummelt oder verwartet". Einen "Stop and Run"-Effekt gibt es auch bei den Güterzügen. Um die Zeit zwischen den Personenzügen nutzen zu können, müssen die schweren Züge extrem schnell beschleunigen und dann wieder herunterbremsen, was Zeit, Energie und Material verschleißt.

"Umsteuern in der Infrastrukturplanung"
Ilgmann fordert ein Umsteuern in der Infrastrukturplanung. Auf Hochgeschwindigkeitsstrecken sollte bis auf Ausnahmen verzichtet werden. Statt dessen sollte das bestehende Netz sinnvoll ergänzt und ausgebaut, der Personen- und Güterverkehr entmischt werden. Dies sei billiger und effektiver. Doch ein solcher Ansatz sei unter der Bezeichnung "Netz 21" bereits einmal gescheitert. Mächtige Länder wie Bayern und Baden-Württemberg hätten um den Verlust von Neubaustrecken gefürchtet und entsprechenden Druck auf die Bahn ausgeübt.

Politische Deals sieht Ilgmann an der Wurzel des Übels. Immer wieder sei bei Investitionen politischem Druck nachgegeben worden. Teilweise habe die Deutsche Bahn mit dem Einsatz der Steuergelder geschachert: Im Gegenzug für lukrative Aufträge im Regionalverkehr habe sie manches Projekt in den Ländern schön gerechnet.

Auch deshalb sei eine Wende schwierig. So würden etwa Hamburg, Bremen und Niedersachsen das Streichen der Y-Trasse als Verlust von Investitionen in ihrer Region ansehen und sich energisch dagegen wehren. Von der Bahn erwartet Ilgmann keine Reformansätze. Die könnten nur vom Bund kommen. Doch auch das sieht Ilgmann eher pessimistisch: Selbst der Bund habe ineffizienten Investitionen zugestimmt, um sich im Bundesrat die Zustimmung von Ländern zu Projekten auf anderen Politikfeldern zu erkaufen.