Lateinamerika steht zum Jahreswechsel ganz im Zeichen der Weltfinanzkrise

Furcht vor dem Abschwung

Die Vorboten einer drohenden Rezession haben Lateinamerika erreicht. Sinkende Exportpreise, schwankende Wechselkurse und steigende Arbeitslosigkeit prägen das Wirtschaftsgeschehen. 2008 ging in Lateinamerika die seit 2003 andauernde und damit längste Wachstumsphase seit 40 Jahren zu Ende.

Autor/in:
Gerhard Dilger
 (DR)

Die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika (CEPAL) reduzierte ihre Wachstumsprognose für 2009 auf 2,5 Prozent. "Zwar ist die Region insgesamt besser gewappnet als in der Vergangenheit, vor allem jene Länder, die größere Devisenreserven haben und in den öffentlichen Sektor investiert haben", sagt CEPAL-Exekutivsekretärin Alicia Bárcena. Besonders anfällig seien aber die Länder Mittelamerikas und der Karibik, "weil sie Nettoimporteure von Lebensmitteln und Energie sind". Außerdem gehen die Geldsendungen der Migranten in den USA zurück.

Auch wenn sich die Kluft zwischen Arm und Reich in den vergangenen Jahren etwas verringert hat - nirgends ist sie größer als in Lateinamerika. 2007 stagnierte die Zahl der Armen laut CEPAL bei 184 Millionen Menschen, gut ein Drittel des Gesamtbevölkerung. Wegen der gestiegenen Lebensmittelpreise dürften mittlerweile wieder mehr Menschen in Armut und Elend leben, Tendenz steigend.

Linksruck in vielen Ländern
Politisch schlug sich die soziale Schieflage in einem Linksruck nieder: Von Nicaragua und Kuba, über Venezuela, Ecuador und Bolivien bis hin zu Brasilien, Chile, Argentinien und Paraguay - noch nie gab es so viele Länder mit Links- oder Mitte-Links-Regierungen, und alle haben sich die Stärkung des Staates in der Wirtschafts- und Sozialpolitik auf die Fahnen geschrieben.

Neu kam 2008 Fernando Lugo als Präsident von Paraguay hinzu. Der "rote Bischof" trat sein Amt im August an. Im gleichen Monat wurde Präsident Evo Morales, der indianische Ex-Gewerkschafter aus Bolivien, klar im Amt bestätigt. Im September stimmten die Ecuadorianer deutlich für eine neue Verfassung, für die sich ihr linkskatholischer Präsident Rafael Correa eingesetzt hatte.

Auch Hugo Chávez, der umstrittene "Öl-Sozialist" aus Venezuela, gewann vor einem Monat die Regionalwahlen. Nun unternimmt er erneut einen Anlauf, um sich den Machterhalt für weitere zehn Jahre zu sichern: Im Februar sollen die Venezolaner über eine Verfassungsänderung abstimmen, durch die seine erneute Wiederwahl bis
2012 ermöglicht werden soll.

Wahlen in Brasilien und El Salvador
In Brasilien bescheinigen Umfragen dem früheren Metallarbeiter und heutigen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva mit 70 Prozent eine Popularität in Rekordhöhe. Da eine erneute Wiederwahl durch die Verfassung ausgeschlossen ist, wird seine Präsidialamtsministerin Dilma Rousseff als Nachfolgekandidatin für 2010 aufgebaut.

Im März 2009 könnte sich der Linksruck in El Salvador fortsetzen: Dort hat die Linkspartei FMLN den populären Fernsehjournalisten Mauricio Funes nominiert. Nach Umfragen kann er die seit 20 Jahren regierenden Konservativen besiegen.

Selbst in Kolumbien sind die Chancen für eine Machtübernahme der demokratischen Linken gestiegen - denn die FARC-Guerilla musste 2008 die härtesten Schläge ihrer 44-jährigen Geschichte einstecken: den Tod von drei Kommandanten und vor allem die spektakuläre Befreiung der früheren Senatorin Ingrid Betancourt durch die kolumbianische Armee im Juli aus der Geiselhaft.

Das Schicksal der populären Politikerin, die sich über sechs Jahre lang in der Gewalt der Rebellen befand, lenkte das Interesse der Weltöffentlichkeit auf das Bürgerkriegsland Kolumbien. Dass Präsident Álvaro Uribe seit 2002 unangefochten regiert, habe er der FARC zu verdanken, meint Betancourt: "Kolumbien ist das einzige Land, das noch eine Guerilla hat, und deswegen befinden wir uns in der rechtsextremen Ecke."