Landessynode-Präsidentin ärgert Döpfners "Ossi"-Aussage

"Das hat mich tief bestürzt"

Nach den abfälligen Aussagen von Springerchef Mathias Döpfner über "Ossis" stellt sich Frage, ob mehr auf Ostdeutschland gehört werden sollte. Darüber wird auf dem Sofa der Evangelischen und Katholischen Akademie Sachsens diskutieren.

Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE / © Kay Nietfeld (dpa)
Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE / © Kay Nietfeld ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie sieht es aktuell aus zwischen Ost und West? Was ist Ihr Eindruck als Präsidentin der Landessynode in Sachsen?

Bettina Westfeld, Präsidentin der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens. / © Matthias Rietschel (epd)
Bettina Westfeld, Präsidentin der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens. / © Matthias Rietschel ( epd )

Bettina Westfeld (Präsidentin der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens): Zuerst einmal habe ich ein großes Problem mit solchen pauschalen Zuschreibungen. Was ist denn der Osten? Was ist der Westen?

Ich habe vor wenigen Tagen ein wunderbares Buch von Artur Weigandt gelesen, das heißt "Die Verräter". Er sprach darin immer von den Kindern des Ostens. Da habe ich gedacht, er meint vielleicht auch mich damit, die ich meine Jugend und Kindheit in der ehemaligen DDR verbracht habe. Nein, er meinte sich in Ost-Kasachstan, in Uspenka. Er ist ein Russlanddeutscher und ist Anfang der 90er Jahre in die Bundesrepublik gekommen.

Bettina Westfeld (Präsidentin der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens)

"Dieser defizitäre Blick auf das, was Ost und West ist, das stört mich sehr. Aber ich will gerne dazu beitragen, dass es ein anerkennender Blick wird."

So viel zur Willkür, was man als Ost und West bezeichnet. Dieser defizitäre Blick auf das, was Ost und West ist, stört mich sehr.

Aber ich will gerne dazu beitragen, dass es ein anerkennender Blick wird. Das erreicht man am besten, indem man einzelne Menschen befragt, was sie in den Gebieten, in denen sie gewohnt haben, erlebt haben. Der Osten und der Westen sind viel diverser als man denkt.

DOMRADIO.DE: Aber gibt es denn noch die Mauer in den Köpfen oder nicht?

Westfeld: Das hängt von jedem Menschen einzeln ab, auch von der biografischen Prägung. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, deren einer Teil immer im Westen gewohnt hat. Dadurch konnten wir sie einfach mal besuchen. Aber ich habe aus dem Westen völlig verschiedene Menschen kennengelernt, die sich so von meinem Heimatkundebuch aus der Gemeinschaftskunde in der Grundschule der DDR abgehoben haben.

Darin war im Westen alles grau und schwarz und einheitlich. Ich denke, der persönliche Kontakt mit Menschen aus dem, wie man immer so schön sagt, anderen Teil Deutschlands, prägt sehr.

DOMRADIO.DE: Brauchen wir sowohl in der Gesellschaft als auch in der Kirche mehr Ostdeutsche, die ihre Perspektiven mit einbringen?

Bettina Westfeld (Präsidentin der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens)

"Ich glaube, das führt zu dieser großen Frustration, dass man sich nicht gehört fühlt."

Westfeld: Ich denke, dass jeder in der Demokratie seine Stimme dringend einbringen soll. Das ist auch die Aufgabe von Menschen in Verantwortung. Zum Beispiel bei mir als Präsidentin der Landessynode. Ich muss alles dafür tun, dass die Menschen, die in dieses Gremium gewählt sind, ihre Stimme aus den verschiedenen Kirchgemeinden einbringen können.

Ich wünsche ich mir, dass Verantwortungsträger, Parlamentspräsidenten oder auch Personen auf anderen Ebenen dafür sorgen, dass mehr Menschen aus der Gesellschaft ihre Stimmen einbringen können. Ich glaube, das führt zu dieser großen Frustration, dass man sich nicht gehört fühlt. Darum geht es in meinen Augen.

DOMRADIO.DE: Sprechen wir über Springerchef Mathias Döpfner und seine Aussagen über Ostdeutschland. In Textnachrichten schrieb er zum Beispiel, "Ossis" sind entweder Kommunisten oder Faschisten. Mit solchen Sätzen sorgte er für Schlagzeilen. Sie wurden als verstörend und entwürdigend bezeichnet. Was kritisieren Sie?

Mathias Döpfner / © Britta Pedersen (dpa)
Mathias Döpfner / © Britta Pedersen ( dpa )

Westfeld: Ich finde, er qualifiziert sich damit selbst ab. Über die Art werde ich nicht diskutieren. Aber was mich viel mehr bestürzt, ist, dass er die Presse missbrauchen wollte, um demokratische Prozesse zu beeinflussen.

Als ich diesen "Zeit"-Artikel las, habe ich gedacht, das darf doch nicht wahr sein, wie jemand seine Funktion als Verlagschef missbraucht. Das hat mich tief bestürzt. Ich habe mich an Donald Trump und sein Presseimperium erinnert gefühlt.

DOMRADIO.DE: Sie werden am kommenden Montag auf dem sogenannten "Sachsen-Sofa" der Evangelischen und Katholischen Akademie Sachsen gemeinsam mit Wolfgang Thierse und Alexandra Prinzessin zur Lippe in die Diskussion einsteigen. Was ist Ihnen dabei wichtig?

Westfeld: Mir ist wichtig, dass der Untertitel dieser Veranstaltung, der "die Hoffnungsmacher" heißt, zum Tragen kommt. Ich möchte zeigen, dass dieser persönliche Austausch über biografische Erfahrungen dazu führt, dass sich die Horizonte weiten und sich Mauern nicht hochziehen.

Wir sollten stattdessen neugierig schauen, was hast du erlebt? Warum hast du das erlebt? Das möchte ich gerne zum Klingen bringen. Natürlich ist es auch der intergenerationelle Austausch zwischen Wolfgang Thierse und mir. Er hat die Zeit der DDR zu einem ganz anderen Punkt erlebt als ich und in ganz anderen Funktionen.

Und bei Frau Prinzessin zur Lippe ist ihre Ost-West-Biografie interessant. Ich freue mich auf unseren Austausch, auf die spannenden Geschichten, die wir bringen werden und die Diskussion mit den hoffentlich vielen Menschen, die kommen.

DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich von den Kirchen? Was muss für eine Besserung in Zukunft passieren?

Westfeld: Ich denke, wir sollten zeigen, dass die Strukturprozesse, die wir im Osten schon viel angegangen sind, Erfahrungen sind, von denen unsere westlichen Geschwister lernen können. Sie können zeigen, welche Erfahrungen sie vielleicht gar nicht machen müssen und wie wir aufeinander hören können. Darin können wir durchaus noch besser werden. Aber ich stelle fest, dass sich das seit zwei, drei Jahren ändert, dass ein anderes Hören aufeinander einsetzt.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Diskriminierung von Christen in der DDR

Seit 1. Januar 2020 widmet sich ein interdisziplinäres Forschungsteam von vier Wissenschaftlichen MitarbeiterInnen unter der Leitung von Prof. Dr. Christopher Spehr am Lehrstuhl für Kirchengeschichte der wissenschaftlichen Aufarbeitung von verfolgten Christinnen und Christen in der DDR. Ziel ist es, die Unterdrückungsmechanismen und Repressionsmaßnahmen in den 1960er-Jahren am Beispiel der Bausoldaten, Totalverweigerer und Jugendlichen im Widerstand gegen die Wehrerziehung mit Schwerpunkt Thüringer Raum zu erkunden.

Männerwallfahrt zum Kläschen Hagis im Kreise Worbis (DDR) mit dem Erfurter Bischof Hugo Aufderbeck, 1980 (KNA)
Männerwallfahrt zum Kläschen Hagis im Kreise Worbis (DDR) mit dem Erfurter Bischof Hugo Aufderbeck, 1980 / ( KNA )
Quelle:
DR