Laetare

BWV 150: Nach dir, Herr, verlanget mich

Die Kantate für den heutigen Sonntag, BWV 150, „Nach dir, Herr, verlanget mich“ hat es in sich. Denn: Sie wirft gleich mehrere Fragen auf. Zum einen: Stammt sie wirklich von Johann Sebastian Bach? Wenn ja: Für welchen Sonntag des Kirchenjahres hat er sie komponiert? Und die dritte Frage: Wann war die Uraufführung?

 (DR)

 

Am heutigen Sonntag Laetare wurde die Kantate jedenfalls mit Sicherheit nicht aufgeführt, denn: In den geprägten Zeiten, also der Fastenzeit und der Adventszeit gab es keine Kirchenmusik: Dem Charakter dieser Zeit entsprechend. Dennoch passt die Kantate „Nach dir, Herr, verlanget mich“ ganz gut zum Gedanken der Fastenzeit und so müssen wir auch am heutigen Sonntag nicht auf die Kantate verzichten. Der Text spricht vom Mensch, der in Gefahr ist, aber im Vertrauen auf Gott lebt, der die Rettung bringen wird.

Zweifel an der Echtheit der Kantate bzw. der Autorschaft Bachs begründen sich darin, dass die Kantate in vielen Teilen etwas unreif wirkt. Dennoch: Die charakteristischen Züge der Bachschen Satztechnik sind zu erkennen. Es könnte sich daher auch um ein Werk eines frühen Bachschülers handeln, entstanden unter den Augen oder sogar mit Hilfe des Lehrers Johann Sebastian Bachs.

Der Text besteht aus Zitaten aus dem 25. Psalm und freier Dichtung, Choräle fehlen in dieser Kantate. Nach einem einleitenden Instrumentalvorspiel folgt der erste Chorsatz.

Der folgende dritte Satz ist eine locker gefügte, kurze Arie. Der Text entstammt freier Dichtung. Satz vier wiederum bringt eine Folge kleingliedriger, im Tempo und Rhythmus wechselnder Chorabschnitte, ähnlich dem 2. Satz. Die Anfangsworte „Leite mich“ haben den Komponisten zu bildlicher Darstellung angeregt. Eine Tonleiter steigt, beim Bass beginnend, Takt für Takt durch die vier Singstimmen und anschließend durch die beiden Violinen.

Der fünfte Satz schließlich ist ein schlichtes liedhaftes Terzett, dem sich ein Chorsatz anschließt. Die textliche Grundlage ist hier Vers 15 des 25. Psalms, in dem es heißt: „Meine Augen schauen stets auf den Herrn; denn er befreit meine Füße aus dem Netz“. Lebhafte Figuren der Instrumente bilden offenbar den ins Netz geratenen Fuß musikalisch ab.

Ein weiterer Chor beschließt die Kantate. Wenn Ihnen das Thema dieses Chorsatzes bekannt vorkommt: Johannes Brahms zum Beispiel hat dieses Thema aufgegriffen und in leichter Abwandlung dem Finale seiner 4. Symphonie zugrunde gelegt.

Die Besetzung dieser Kantate ist relativ einfach: zwei Violinen, Continuo plus Fagott. Aus den vier Singstimmen tritt nur der Sopran solistisch hervor, die drei übrigen werden im fünften Satz zum Terzett zusammengefasst, wahrscheinlich war ihre künstlerische Leistungsfähigkeit zu damaligen Zeiten begrenzt.

Wie gesagt: Ob die Kantate wirklich von Bach ist oder von einem seiner Schüler, lässt sich heute nicht mehr mit Sicherheit entscheiden. Dennoch ist sie ohne Zweifel ein gelungenes Werk.

Kantate BWV 150: „Nach dir, Herr, verlanget mich“.

Knabenchor Hannover, Collegium Vocale Gent, Leonhardt-Consort,
Leitung: Gustav Leonhardt. 

Quelle: Alfred Dürr: Die Kantaten Johann Sebastian Bachs. Bärenreiter, 1995