Krieg treibt Preise für Grundnahrungsmittel in die Höhe

Das Getreide wird knapp

Noch bis Freitag beraten die Agrarministerinnen und -minister aus Bund und Ländern im Rahmen ihrer Frühjahrskonferenz über die Folgen des Krieges für die Landwirtschaft und die Versorgungslage in Deutschland. Einige Fakten zum Thema.

Autor/in:
Joachim Heinz
Getreide auf einem Feld / © Dejan82 (shutterstock)

Mit dem Krieg in der Ukraine hat Russlands Präsident Wladimir Putin eine unheilvolle Kettenreaktion ausgelöst, deren Folgen die Menschheit wohl noch über einen langen Zeitraum beschäftigen werden. Neben der Bevölkerung in der Ukraine und in Russland gehören die Hungernden in der Welt zu den Opfern des Krieges.

Wohin geht die Getreideproduktion?

Egal ob Weizen, Mais, Raps oder Sonnenblume. Eine große Menge der Getreideernte weltweit ist nicht für den Menschen sondern für die Tierhaltung gedacht. Ein wachsender Anteil wird zudem unter dem Stichwort "Energiepflanze" für Biokraftstoffe genutzt und wandert somit in den Tank. Ein Beispiel zur Getreideverwendung 2020/2021 in Deutschland: Bei einem Gesamtverbrauch von 42,9 Millionen Tonnen entfielen 8,9 Prozent auf den Bereich "Energie", 20,1 Prozent auf "Nahrung" - und 58,2 Prozent auf "Futter".

Nicht zuletzt, um den klimaschädlichen CO2-Ausstoß zu verringern, soll künftig die Zahl der Tiere auf den Bauernhöfen verringert werden. Das würde die Verfügbarkeit von Getreide für die Nahrungsmittelproduktion erhöhen. Von den gesamten Treibhausgas-Emissionen Deutschlands im Jahr 2020 entfielen laut Bundeslandwirtschaftsministerium rund 8,2 Prozent auf die Landwirtschaft - und davon wiederum circa 52,6 Prozent auf die Tierhaltung.

Umstritten ist der Nutzwert von Getreide als Energiepflanzen. Die Beimischung von Rapsöl zu Kraftstoffen nennt Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Beirats von Misereor, "unfassbar ineffizient". Für eine Megawattstunde Strom brauche es ein halbes Windrad, 14 Hektar Fotovoltaik, 250 Hektar Biogasmais - oder 1.120 Hektar Raps.

Was hat der Krieg in der Ukraine mit dem Hunger in der Welt zu tun?

Auf die Ukraine und Russland entfallen laut dem Bonner Zentrum für Entwicklungsforschung ZEF allein 20 Prozent der weltweiten Weizen- und 30 Prozent der weltweiten Maisexporte. Wegen des Krieges rechnen Experten mit Ernteausfällen - worauf die Märkte schon jetzt reagieren: Getreide wird teurer.

Zugleich drohen vor allem in den ärmeren Ländern tatsächlich schon in Kürze Versorgungslücken. Die Zahl der Hungernden wird so oder so steigen, weil sie sich selbst Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten können, befürchtet ZEF-Direktor Matin Qaim.

Die Weltgemeinschaft hatte sich eigentlich zum Ziel gesetzt, bis 2030 den Hunger in der Welt zu beenden. Angesichts der Folgen von Corona, Klimawandel und dem Krieg in der Ukraine sinkt die Hoffnung, dieses Ziel zu erreichen. Derzeit gehen Schätzungen von bis zu 811 Millionen Menschen aus, die zu wenig zu essen haben.

Was plant die Bundesregierung?

Deutschland will unter anderem die laufende G7-Präsidentschaft dafür nutzen, um weiteren Preissteigerungen entgegenzuwirken. Für 2022 sollen ökologische Brachflächen für den Anbau von Futtergetreide genutzt werden dürfen. Außerdem will Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) die Bestimmungen für die tiergerechte Fütterung in der ökologischen Tierhaltung lockern, weil diese in besonderem Maße auf Importe aus der Ukraine angewiesen sind.

Ebenso wie Özdemir ruft auch Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) die Deutschen dazu auf, weniger Fleisch zu konsumieren. Wenn in Deutschland die Schweinefleischproduktion um 30 Prozent reduziert würde, wäre eine Ackerfläche von einer Million Hektar frei, etwa ein Zehntel der deutschen Ackerfläche. "Darauf könnte man fünf Millionen Tonnen Getreide anbauen", so Schulze. Auch eine Reduzierung des Mais- und Getreideanteils im Biosprit müsse erwogen werden.

Was fordern Wissenschaftler und Helfer?

Die Präsidentin von Brot für die Welt, Dagmar Pruin, fordert mehr Geld für das Welternährungsprogramm (WFP). Angesichts der steigenden Getreidepreise müsse das WFP besser ausgestattet sein, "um Länder im Nahen Osten, wie den Jemen, Libanon, Äthiopien, Südsudan und Somalia mit Nahrungsmitteln zu versorgen".

Die Misereor-Abteilungsleiterin für Afrika und den Nahen Osten, Dorothee Klüppel, weist auf die unkalkulierbaren Folgen von Nahrungsmittelengpässen hin. Die Unruhen, die während des "Arabischen Frühlings" 2010/2011 weite Teile des Nahen Ostens umgetrieben hätten, "hingen auch mit einer dramatischen Preissteigerung zusammen", so Klüppel.

Die Welthungerhilfe fordert zur Verbesserung der Lebensmittelversorgung in ärmeren Ländern einen Ausbau der dortigen Lagerkapazitäten. Es löse das Problem nicht, nur die Ernten zu steigern.

Der Präsident der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, Joachim von Braun, spricht sich unter anderem dafür aus, die Steuerung des globalen Lebensmittelsystems durch einen von den Vereinten Nationen geleiteten Ausschuss für die Stabilität der Lebensmittelsysteme zu überarbeiten und durch einen Welternährungsrat wissenschaftlich unterstützen zu lassen.

Viele Helfer und Wissenschaftler fordern überdies, die Tierbestände zu reduzieren und die Verwendung von Biokraftstoffen vorübergehend einzuschränken sowie mehr Düngemittel für Kleinbauern zur Verfügung zu stellen. Dahinter steckt das Ziel, die für die Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung stehende Getreidemenge in möglichst überschaubarer Zeit zu erhöhen.

Drohen Engpässe auch in Deutschland?

"Die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln ist in Deutschland gewährleistet", heißt es aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium. Es gebe keinen Anlass für Hamsterkäufe.

Um kurzfristig Engpässe in der Versorgung der Bevölkerung zu überbrücken führt die Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft (BLE) im Auftrag des Ministeriums seit langem schon die sogenannte Bevorratung von Lebensmitteln durch.

In der "Bundesreserve Getreide" sind demnach Weichweizen, Roggen und Hafer in Höhe von gut 700.000 Tonnen gelagert. Die "Zivile Notfallreserve" - Reis, Erbsen, Linsen und Kondensmilch - umfasst einen Bestand von gut 130.000 Tonnen. In der Regel werden die Vorräte zehn Jahre gelagert und anschließend gewälzt, das heißt im Rahmen von Ausschreibungen wieder am Markt verkauft und durch neue Ware ersetzt.

"Bisher musste noch nie auf die bevorrateten Lebensmittel zurückgegriffen werden, da es bisher in Deutschland noch zu keiner großräumigen Versorgungskrise gekommen ist, auch nicht während der Corona-Pandemie", betont eine Sprecherin des Ministeriums.

Quelle:
KNA