Kommission sieht Atomausstieg als ethische Notwendigkeit

Wer, wenn nicht wir?

Die von Bundeskanzlerin Angela Merkel eingesetzte Ethikkommission zur Energiewende sieht einen Atomausstieg innerhalb von zehn Jahren als Chance für Deutschland. "Wir sind weltweit ein Unikat", sagte der Kommissionsvorsitzende Klaus Töpfer am Montag in Berlin.

Autor/in:
Christoph Scholz
 (DR)

"Wer, wenn nicht wir, ist in der Lage dieses Gemeinschaftsprojekt zu vollziehen?" In den Worten von Matthias Kleiner schwang das Selbstbewusstsein einer Industrie- und Hochtechnologie-Nation mit, aber auch das Risiko der anstehenden "außerordentlichen Herausforderung": Der Ausstieg aus der Atomenergie binnen zehn Jahren. Der Physiker überreichte gemeinsam mit dem ehemaligen Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) als Vorsitzende der Ethikkommission "Sichere Energieversorgung" Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag die Empfehlungen des Gremiums. Die Kernbotschaft: "Die Atomkraftwerke in Deutschland sollen aus ethischen Gründen nur so lange laufen, bis ihre Leistung durch eine risikoärmere Energieversorgung ersetzt werden kann".



Die Frage einer ethischen Vertretbarkeit der Kernenergie, auf die weltweit weiterhin alle großen Industrienationen setzen, stand allerdings gar nicht mehr zur Debatte. Bei der Einberufung der Kommission durch die Kanzlerin war die Grundentscheidung schon gefällt. Es ging also nur noch um eine "Energiewende mit Augenmaß". Der ethischen Begründung widmet der Bericht fünf der 48-Seiten. Dabei betont er eingangs, dass jegliche Entscheidung über ein Ende der Nutzung der Kernenergie auf einer "Wertentscheidungen der Gesellschaft" gründet, "die technischen und ökonomischen Aspekten vorangehen".



Damit verbindet sich eine ökologische Ausrichtung der Gesellschaft.  "Aus der christlichen Tradition und der Kultur Europas resultiert eine besondere Verpflichtung des Menschen gegenüber der Natur", heißt es in dem Text. Zugleich wird auf die Verantwortung gegenüber kommenden Generationen abgehoben. Der politische Sinneswandel ist der Reaktorkatastrophe in Japan geschuldet. "Fukushima hat meine Haltung zur Kernenergie verändert", bekannte Merkel unlängst. Vor allem das Maß an Hilflosigkeit des Hochtechnologielandes Japan nach der Katastrophe habe sie persönlich zum Umdenken gebracht.



Fukushima als Maßstab der "Risikowahrnehmung"

Unter diesem Aspekt gilt Fukushima auch der Kommission als Maßstab der "Risikowahrnehmung". Wurde die Kernenergie lange Zeit als beherrschbare und nahezu unbegrenzte Energiequelle eingestuft, sieht der Bericht diese Auffassung als überholte "Zukunftsutopie" an, die heute ethisch nicht mehr zu begründen sei - "zumindest für Deutschland" - wie es einschränkend heißt.



Wie ist also mit der grundsätzlichen Möglichkeit eines Großschadenfalls und den radioaktiven Abfällen umgehen? Die Kommission sieht hier eine kategorisch ablehnende und eine relativierend abwägende Position einander gegenüber. Für die Vertreter einer kategorischen Ablehnung lässt die Gefahr keine Güterabwägung mehr zu. Zu ihnen gehören vor allem Anti-Atom-Aktivisten und Umweltschutzverbände. Töpfer nannte als weitere Vertreter den Philosophen Robert Spaemann aber auch Teile der Kirchen.



Die relativierende Risikoabwägung gehe hingegen davon aus, dass eine Großtechnik ohne Risiko nicht möglich sei und suche "möglichst rationale und faire Abwägungen". Mit dem Ausstieg aus der Kernenergie sieht der Bericht nun eine "Bücke der Verständigung" zwischen beiden Positionen, mithin die Beilegung einer Auseinandersetzung die zur "Vergiftung der gesellschaftlichen Atmosphäre" beigetragen hat.



Die Kommission selbst folgt beim Ausstieg wiederum eher einer relativierenden Risikoabwägung. Ihr widmet sie den Großteil des Berichts. Als Prüfkriterien nennt sie den Klimaschutz, die Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Finanzierbarkeit, soziale Aspekte der Kostenverteilung, Wettbewerbsfähigkeit und Forschung sowie die Abhängigkeit von Exporten. Zugleich macht sie aber unmissverständlich deutlich, dass ein derartiger Kraftakt nur als Gemeinschaftswerk zu bewerkstelligen ist.

   

Dem soll laut Vorstellungen der Kommission ein "Nationales Forum Energiewende" dienen. Denn der "kommende schwierige Prozess" ist nach Überzeugung der Kommission nur möglich, wenn er eine eigene gesamtgesellschaftliche Dynamik entwickelt und als Chance wahrgenommen wird.