Kölner Sozial-Pfarrer Meurer zur neuen Pisa-Studie

"Wir müssen ganz früh anfangen"

Die neueste Pisa-Studie bescheinigt deutschen Schülern im Ländervergleich nur eine durchschnittliche Lesekompetenz. Im Vergleich zur ersten Studie, bei der die Deutschen sehr schlecht abschnitten, hat sich das Ergebnis zwar leicht verbessert. Aber noch immer hat die soziale Herkunft großen Einfluss auf die schulischen Leistungen: Der Kölner Pfarrer Franz Meurer im Interview über seine "Sorgenkinder".

 (DR)

domradio.de: Pfarrer Meurer, ist das Glas nun halb voll oder halb leer für Sie?

Pfarrer Meurer: Wenn man allgemein schaut, ist es natürlich wunderbar, dass es aufwärts geht. Nur: Die Gruppe der Risikoschüler, d.h. diejenigen die mit dem Wissenstand in punkto Lesen und Mathematik von Viertklässlern ins Berufsleben kommen, die ist nur ganz gering zurückgegangen. Das sind meine Sorgenkinder, ein Fünftel aller Schülerinnen und Schüler, die bei Abschluss der Hauptschule nur die Kenntnisse wie im 4. Schuljahr haben, die Zahl wird nicht geringer. Da sind gerade mal 3% Rückgang zu verzeichnen und da müssen wir uns dringend ’drum bemühen, gerade in unseren kirchlichen Kindergärten. Das ist das Wesentliche: Wir müssen ganz früh anfangen.



domradio.de: Viele dieser Kinder und Jugendlichen leben bei Ihnen in der Gemeinde und Sie sagen: Schon in den katholischen Kindergärten muss es losgehen. Was muss genau getan werden?

Meurer: Was getan werden muss ist ganz einfach: Dem einzelnen Kind so viel Zuwendung, so viel Übung, so viel Training zukommen lassen, wie es geht. Wir haben z.B. in allen unseren vier kirchlichen Kindergärten so genannte FSJler, Freiwilliges soziales Jahr. Das sind junge Menschen, die entlasten die Erzieherinnen und Erzieher, spielen z.B. Fußball mit den Jungs. Das finden die Kinder ganz toll. Und in der Zeit können die Erzieherinnen sich intensiv um die Sprach- und Denkförderung von einzelnen Kinder kümmern. Oder: Wir haben gerade 1000 Hefte unseres Sprach- und Denktrainings "Niemand ist so schlau wie ich" auf Türkisch drucken lassen. Warum? Die türkischen Mütter haben gesagt: Wenn das auf Türkisch vorliegt, dann trainieren wir auch mit unseren Kindern. Denn: Die Gruppe der türkischstämmigen Kinder ist nach der PISA-Studie die Gruppe, die am schlechtesten mitkommt.



domradio.de: Gute Ideen für die ganz kleinen Kinder. Wie muss es dann weitergehen in der Schule?

Meurer: In der Schule kann dann aufgebaut werden. Z.B. müssen die Kinder, die wenig Förderung bekommen haben, nicht auf die Förderschule. Das heißt, wenn man früh genug anfängt, kann jedes Kind bis zum 6. Lebensjahr zwei Sprachen komplett spielend lernen, - das muss man sich mal vorstellen - und diese Förderung muss später natürlich fortgesetzt werden. Aber um es einmal auf den Punkt zu bringen: Alles was nach der Grundschulzeit geschieht, ist doppelt und dreifach so schwierig wie zuvor. Denn, das hat die PISA-Studie auch ausgerechnet, wer zur Gruppe der Risikoschüler gehört, hat nur ein 1/16 Lebens- und Berufschancen wie die Schüler der Spitzengruppe. Da sind uns die Zahlen natürlich schon sehr hilfreich, weil sie im politischen Raum deutlich machen, worum es geht. Wir als Kirchenleute müssen uns aus meiner Sicht besonders anstrengen, denn Jesus ist ja da verborgen, wo die Armen sind, und nicht da, wo die Schlauen und Reichen sind.



Interview: Susanne Becker-Huberti