Sonntagnachmittag in der Kirche St. Heinrich und Kunigund im Kölner Stadtteil Nippes: Hier treffen sich die "Freunde von Carlo Acutis", eine Gruppe überwiegend Jugendlicher und junger Erwachsener, um gemeinsam zu beten, zu beichten und über ihren Glauben und die Botschaft von Carlo Acutis zu sprechen.
Es sei "inspirierend", sagt der 18-jährige Ivan, wie Acutis über den Glauben gesprochen und gebetet habe. Mit einem jungen Menschen könne er sich viel besser identifizieren, als mit Heiligen, die vor Jahrhunderten gelebt haben. "Früher bin ich nicht so oft in die Kirche gegangen, aber Carlo ist mein Vorbild und deshalb besuche ich jetzt regelmäßig die Heilige Messe."
"Er zeigt uns vor allem, dass Heiligkeit auch heute noch möglich sein kann", ergänzt José, 20 Jahre: "Er zeigt uns, wie man heute noch seinen Glauben leben kann." Er sei froh, dass es jemanden gebe, der ihm das vorgelebt habe.
Normal und zugleich außergewöhnlich
Carlo Acutis war erst 15 Jahre alt, als er im Jahr 2006 an Leukämie verstarb. Er sei "normal" und gleichzeitig außergewöhnlich gewesen, erzählt José: Ein Teenager, der Fußball und Videospiele liebte, aber zugleich fromm war, täglich die Messe besuchte und regelmäßig den Rosenkranz betete.
Er engagierte sich als Katechet in seiner Gemeinde und als Ehrenamtler in einer Suppenküche. Und er hatte ein Talent für Informatik. Als Zehnjähriger schrieb er bereits Algorithmen und gestaltete Websites, später begann er, ein Online-Verzeichnis weltweiter eucharistischer Wunder zu erstellen, was ihm den Beinamen "Influencer Gottes" einbrachte.
Seit Pfingsten gibt es den "Freundeskreis Carlo Acutis" in Köln-Nippes, hervorgegangen aus einer Taufgruppe, erklärt Kaplan Dominik Grässlin, der sie leitet. Auch Grässlin ist fasziniert: "Durch ihn strahlte der Geist Gottes und das haben die Menschen wahrgenommen. Sie haben gespürt, dass jemand anderes durch ihn wirkt. Vor allem, weil es ein Jugendlicher war, von dem man so etwas nicht erwarten würde. Er bringt frischen Wind in die Kirche."
Auf dem Weg nach Rom
Wenn Carlo Acutis an diesem Sonntag in Rom heiliggesprochen wird, dann wird auch Kaplan Grässlin mit einem Teil des Freundeskreises aus Köln dort hinreisen. Er freut sich auf die Begegnung mit anderen jungen Gläubigen: "Ich glaube, das kann eine große Stärkung sein."
Acutis wird der erste Millenial sein, der heiliggesprochen wird, doch die Entscheidung ist nicht unumstritten, denn so schnell wurde noch kaum jemand in jüngster Zeit in den Stand der Heiligen versetzt. So mancher Kritiker sieht darin den Versuch, den Teenager zu vereinnahmen, weil sich ein frommer Digital Native so gut als Identifikationsfigur für junge Menschen eignet.
"Das ist ganz ausgesprochen kompatibel für solche sehr konservativen traditionalistischen Kirchenkreise, sodass er da sicherlich auch schnell ein wenig instrumentalisiert werden kann, was es nicht weniger problematisch macht“, sagte der Pastoraltheologe Wolfgang Beck bereits nach der Seligsprechung im Interview mit DOMRADIO.DE.
Kritik an dem Kult
Auch die Verehrung sieht Beck kritisch. Seinem Wunsch entsprechend wurde Carlo Acutis in Assisi beigesetzt, weil er den Heiligen Franziskus verehrte. In der Kirche Santa Maria Maggiore liegt seit 2019 sein Leichnam aufgebahrt in einem gläsernen Sarg, bekleidet mit Sweatshirt, Jeans und Turnschuhen; eine Kamera streamt Bilder von dort über das Internet rund um die Uhr in alle Welt.
Sein Herz wird in einem Reliquiar in der Kathedrale San Rufino in Assisi verehrt. Das sei eine Frömmigkeitsform, die nicht unbedingt zeitgemäß, "ein bisschen skurril" und "aus der Zeit gefallen" sei, so Beck.
Kann ein 15-jähriger überhaupt ein Vorbild im Glauben sein? Thomas Freidel (OFM) ist davon überzeugt. Der Pilgerseelsorger in Assisi, wo der Heilige Franziskus schon seit Jahrhunderten verehrt wird, erlebt nicht nur viele junge Menschen, die zu Acutis kommen, sondern er sei auch für Eltern oder Großeltern ein Trost, wenn die eigenen Kinder und Enkel nicht mehr zum Glauben fänden, erzählt er Interview mit DOMRADIO.DE.
Beim Thema Reliquienverehrung plädiert er für mehr Gelassenheit: Diese habe in der katholischen Kirche eine lange Tradition, aber nicht jeder müsse sich davon angesprochen fühlen. "Wenn es hilft, dem Geheimnis, das wir Gott nennen, näher zu kommen, ist es doch gut“, sagt Bruder Thomas. "Und wer es nicht braucht, wem es nicht hilft, der ist in keiner Weise dazu genötigt."
Identifikationsfigur für junge Menschen
Auch Kaplan Grässlin war zunächst skeptisch: "Ohne Frage gibt es einen gewissen Hype um Carlo. Es mag Verehrungsformen geben, die manchen fremd sind, aber er war wirklich ein außergewöhnlicher Mensch", sagt er. "Und ich glaube, er kann Jugendliche motivieren und ihnen helfen, ihren Glauben heute zu leben."
Davon ist auch die 41-jährige Rani überzeugt. Sie gehört ebenfalls zum Freundeskreis von Carlo Acutis. Sie habe einen Heiligen gesucht, mit dem sich auch ihre Kinder identifizieren könnten, erzählt sie, dabei sei sie auf den jungen Italiener gestoßen. Acutis‘ Geschichte berührte sie so sehr, dass sie seine Mutter anmailte.
"Sie antwortete sehr freundlich und schickte mir ein Bild von ihm und ein Stück seiner Jeans." Die Reliquie hat jetzt ihren festen Platz auf ihrem Hausaltar. Sie ist überzeugt: "Er holt junge Menschen da ab, wo wir als Eltern irgendwann nicht mehr hinkommen."
Zur Heiligsprechung wird sie nicht nach Rom reisen, zu kompliziert und zu teuer wäre das mit drei Kindern. Aber sie wird in Gedanken und Gebeten bei ihrer Gruppe sein. José, der mitreist, ist schon voller Vorfreude: Darauf, den Papst zu sehen und andere junge Acutis-Fans zu treffen.
Dann, so hofft er, wird vielleicht auch die Kontroverse um den frommen Internet-Apostel enden: So viele Menschen können nicht irren, davon ist er überzeugt. "Und wenn er heiliggesprochen wird, dann wird er wohl auch heilig sein!"