Kölner Pfarrer Frings sieht im Altern Vorzüge

"Spiritualität bekommt größere Tragweite"

Körperliche und seelische Gesundheit können schwinden, Freunde und Familie gehen. Älterwerden macht vielen Angst. Doch es hat auch seine Vorzüge, weiß Pfarrer Thomas Frings. Er hat ein Buch über Altern und Spiritualität geschrieben.

Eine ältere Person betet mithilfe eines Rosenkranzes / © Ravil Sayfullin (shutterstock)
Eine ältere Person betet mithilfe eines Rosenkranzes / © Ravil Sayfullin ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Warum haben Sie sich denn so auf das Altwerden gefreut? 

Thomas Frings (Pfarrer und Buchautor): Jeder will alt werden, aber keiner möchte früh sterben – und das Leben ist nun einmal mit Altwerden verbunden. Also eigentlich will jeder alt werden. Das Problem ist nur: Keiner will alt sein. 

Thomas Frings (privat)

DOMRADIO.DE: Wie kommen Sie darauf, dass jeder alt werden will? 

Frings: Zumindest will jeder lange leben – keiner möchte kurz leben. Das wollen Sie auch, wenn Sie sagen, dass Sie 26 Jahre alt bleiben wollen. Das kann ich zwar verstehen, aber das würde ja auch bedeuten, keinen Raum für Entwicklungen zu lassen.

DOMRADIO.DE: Welches Alter, wenn Sie so auf Ihr Leben zurückschauen, war denn für Sie das schönste? 

Frings: Ich bin tatsächlich einer derjenigen, die sagen: Es war immer die Zeit gut, die gerade dran war. Die Pubertät war vielleicht gerade nicht die allerschönste Zeit – und vom Äußeren her betrachtet war auch die Schule für mich keine schöne Zeit. 

Thomas Frings

"Der letzte Schultag ist bis heute für mich einer der schönsten Tage meines Lebens gewesen."

Ich bin beispielsweise auch einmal sitzengeblieben: Es war dementsprechend also nicht G8 oder G9, sondern G10 bei mir. Ich war 14 Jahre in der Schule und der letzte Schultag ist bis heute für mich einer der schönsten Tage meines Lebens gewesen. 

DOMRADIO.DE: Der älteste Mensch in der Bibel, Methusalem, wurde 969 Jahre alt. Heute liegt die Lebenserwartung in Deutschland bei etwa 80, je nachdem, ob Mann oder Frau. Worauf kommt es denn beim Altern an? 

Frings: Auf deutliches Wahrnehmen: nicht negieren, nicht leugnen, dass man älter wird und auch auf die Vorteile achten. Nicht nur die Pubertät ist für viele Menschen keine schöne Zeit gewesen – dasselbe gilt für 40 Dienstjahre. 

Blicken Sie, so wie Sie jetzt auf ihre gegenwärtige Phase schauen, auch auf die nächsten Abschnitte Ihres Lebens. Fragen Sie sich, was das Gute an den nächsten Phasen ist. Diese haben eben auch etwas Gutes – und das gilt es zu entdecken.

In Japan gibt es sogar einen eigenen öffentlichen Feiertag zu Ehren älterer Mitbürger, der jedes Jahr Ende September begangen wird.jpg / © umaruchan4678 (shutterstock)
In Japan gibt es sogar einen eigenen öffentlichen Feiertag zu Ehren älterer Mitbürger, der jedes Jahr Ende September begangen wird.jpg / © umaruchan4678 ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Bei uns gilt so eine Art Jugendwahn, in Asien hingegen hohen Respekt vor dem Alter und der Lebenserfahrung. Auch in der Bibel spricht man von einer "Krone der Weisheit". Müssen wir vielleicht hier im Westen unseren Umgang mit dem Älterwerden überdenken? 

Frings: Auf jeden Fall. Da sage ich ganz klar: Ja, das müssen wir überdenken – und die Alten müssen damit anfangen, denn die Alten diskriminieren sich selbst an vielen Stellen. 

Wie oft habe ich schon mit 60 den Satz "Sie sind ja noch jung" gehört. Dabei bin ich schon ein Großonkel, das heißt, ich könnte sogar ein Großvater sein. 

Wenn jetzt die alten Leute einem sagen, dass man jung ist, hört man förmlich raus, welche Angst sie davor haben, selbst als Alte bezeichnet zu werden. Das Alter hat nicht nur Vorteile, es hat auch Nachteile – aber es hat nicht nur Nachteile. 

DOMRADIO.DE: Was ist für Sie der schönste Vorzug am Altwerden? 

Frings: Dass die Spiritualität eine größere Tragweite bekommt und, dass ich mehr Zeit habe, über die ich frei verfügen kann. Das sind zwei ganz wichtige Elemente, die ich gerade genieße. 

DOMRADIO.DE: Dieses Buch, das Sie geschrieben haben, ist auch ein spiritueller Reisebegleiter – so zumindest lautet auch der Untertitel. Gehen spirituelle Menschen mit dem Altern denn anders um als Nichtgläubige? 

Thomas Frings

"Ich glaube, dass gerade im Alter die spirituelle Säule sehr wichtig für die eigene innere Gesundheit ist."

Frings: Ich war hoch überrascht, als ich erfuhr, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO vier Säulen der Gesundheit definiert hat. Drei sind sehr einleuchtend: die soziale, die psychische und die physische Säule der Gesundheit – aber die vierte Säule ist die der Spiritualität. 

Wenn schon eine weltliche Organisation Spiritualität als Säule der Gesundheit deutet, dann ist das doch eine förmliche Einladung an alle Menschen, sich damit zu beschäftigen. 

Denn ich glaube, dass gerade im Alter, wenn die psychische und die physische – und auch die soziale, wenn die eigene Generation um einen herum verstirbt – Konstitution nachlässt, die spirituelle Säule sehr wichtig für die eigene innere Gesundheit ist.

DOMRADIO.DE: Wie genau verändert sich das denn? Man fühlt sich selber vielleicht schwächer, ist auch geistig eventuell nicht mehr so fit wie mit 26 Jahren und gegebenenfalls hat man auch schon den ein oder anderen Freund nicht mehr an der Seite, weil er schon verstorben ist. Ist das dann nicht eigentlich eher trauriger? 

Frings: Ich will Ihnen erst einmal ein bisschen Mut machen für die Zukunft. Sie sind immer noch Teil der jüngeren Generation, die schnell lernen und viele Sachen leicht aufnehmen kann – leichter als die ältere Generation. 

Als ein Vorteil beim Älterwerden gilt: Die Jüngeren sind schneller, aber die Älteren kennen die Abkürzungen. Irgendwann lässt allerdings auch das nach und die Älteren merken, dass sie selbst auf der Abkürzung nicht mehr schneller sind als die anderen. 

In einem Heckenlabyrinth kommt es Lernfähigkeit genauso an wie auf die Kenntnis von Abkürzungen / © frau.sytoff (shutterstock)
In einem Heckenlabyrinth kommt es Lernfähigkeit genauso an wie auf die Kenntnis von Abkürzungen / © frau.sytoff ( shutterstock )

Ich habe das selbst erlebt, als es bei einer Fortbildung in unserem kleinen Pastoralteam darum ging, wie man richtig mit Instagram umgeht. Da habe ich dann so viele Fremdwörter gehört, dass ich einfach nicht mehr wusste, worüber die da reden. 

Am Ende habe ich dann gesagt: Ich finde das total toll, dass ihr euch darum bemüht. Macht das! Aber ich will das auch gar nicht mehr lernen – ich will es ohnehin nicht mehr so können wie ihr. Aber es ist auch gar nicht schlimm, wenn ich es nicht mehr lerne. Sachen loszulassen, ist also sehr wichtig. 

DOMRADIO.DE: Was können denn jüngere Menschen da von Älteren lernen, die ja auf einem ganz anderen spirituellen Niveau unterwegs sind? 

Thomas Frings

"Sie können lernen loszulassen."

Frings Sie können lernen loszulassen: Dass man nicht mehr so sehr an Dingen hängt, dass man in eine Gelassenheit hineinkommt, im Wissen darum, dass am Ende meiner jetzigen Lebensphase – ich bin gerade im letzten Lebensdrittel – der Tod steht, und ich lerne, mit allen Dingen anders umzugehen. 

Wenn das der jüngeren Generation vorgemacht wird, kann sie viel davon lernen. Ein Beispiel: Ich hatte eine Tante hier in Köln wohnen, die hatte es mir vorgemacht. Als sie mit Ende 80 ihre Wohnung auflöste und ins Altenheim ging, übernahmen mein Cousin und ich den Umzug für sie. 

Da fanden wir hinter jedem einzelnen Möbelstück, Bild und anderem Gegenstand bereits den Namen desjenigen, an den sie es verschenkt hatte. 

Sie hatte zu Lebzeiten schon stets zu fragen gepflegt: "Worüber würdest du dich freuen? Such' dir mal was aus." Innerlich schien sie alles schon losgelassen zu haben.

Als wir dann ins Altenheim kamen, sagte sie uns: "Darf ich mir noch drei Sachen bei euch ausleihen?" Wir entgegneten, dass alle diese Dinge doch ihr gehören würden. 

Daraufhin erwiderte sie etwas, das mich tief beeindruckt hatte: "Nein, das gehört schon lange nicht mehr mir. Es ist mir zur Last geworden. Aber drei Sachen hätte ich gern noch: den Tisch, das Schränkchen und den Sessel. Mehr will ich nicht mehr."

Das Interview führte Tim Helssen.

Information der Redaktion: Das Buch "Endlich alt!" von Thomas Frings ist im Herder Verlag erschienen und kostet 20 Euro.

Buch über gesundes Älterwerden

Warum will jeder alt werden, aber niemand alt sein? Thomas Frings ist frisch pensioniert und hat einen Traum: "Lasst uns so alt werden, dass die nachkommenden Generationen sich nicht mehr vor dem Alter fürchten, sondern Lust aufs Älterwerden bekommen. Was wir brauchen, sind Lebemeister, keine Lehrmeister!" Für Frings birgt das letzte Lebensdrittel die Chance, alten Ballast loszulassen und neue Freiheiten zu entdecken. Bewusst gestaltet, kann diese Lebensphase so auch zu einer Zeit ganz neuer spiritueller Erfahrungen werden.

Ein älteres Paar sitzt in den Kirchenbänken der Abteikirche der Benediktinerinnenabtei Sankt Hildegard in Rüdesheim. / © Julia Steinbrecht (KNA)
Ein älteres Paar sitzt in den Kirchenbänken der Abteikirche der Benediktinerinnenabtei Sankt Hildegard in Rüdesheim. / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
DR