Kölner Domorganist bekommt mit Matthias Wand Verstärkung

"Ich habe Ehrfurcht vor dem Raum"

Seit 1. November ist Matthias Wand neben Domorganist Winfried Bönig der zweite Organist an der Hohen Domkirche. Warum ihn die Aufgabe reizt, er Respekt vor der Akustik, aber keine Angst vor kalten Fingern hat, erzählt er im Interview.

Organist Matthias Wand ist seit dem 1. November der neue zweite Mann an der Domorgel / © Beatrice Tomasetti (DR)
Organist Matthias Wand ist seit dem 1. November der neue zweite Mann an der Domorgel / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: In den letzten Wochen konnten Sie sich bereits ein wenig mit der großen Domorgel vertraut machen, auch wenn Sie die Werktagsmessen an der Orgel in der Marienkapelle spielen. Was unterscheidet Ihren neuen Arbeitsplatz von den vorherigen? 

Matthias Wand (Seelsorgebereichsmusiker in Nippes/ Bilderstöckchen und Assistenz des Domorganisten): Den größten Unterschied macht natürlich die Domorgel selbst aus, vergleiche ich sie mit den Instrumenten, die ich bisher zur Verfügung hatte – wobei man richtigerweise ja von vier Orgeln hier im Dom sprechen muss. Auf den beiden großen Klais-Orgeln, wozu neben der Hauptorgel die Schwalbennestorgel am Nordlanghaus gehört, lässt sich ganz wunderbar Literatur spielen und in viel größerem Umfang improvisieren, als das an kleineren Orgeln möglich ist. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass man am Dom mit sehr viel mehr Menschen – Priestern, Kollegen, Küstern und Schweizern – zu tun hat, was sich in einem Seelsorgebereich in der Regel auf etwa fünf Angestellte beschränkt. Außerdem bedeuten die Live-Übertragungen des Domradios um 8 Uhr für mich eine neue Herausforderung. Da muss man die Routine doch ein wenig aufpolieren. 

Matthias Wand hat das Rennen beim Auswahlverfahren um eine Assistenz des Domorganisten gemacht / © Beatrice Tomasetti (DR)
Matthias Wand hat das Rennen beim Auswahlverfahren um eine Assistenz des Domorganisten gemacht / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Und wenn es mal nicht die Wochentagsmessen sind, sondern Sie an der großen Domorgel sitzen und diesen gewaltigen Raum unter sich haben, was ist das dann für ein Gefühl?

Wand: Klar, das ist eine ganz neue Erfahrung und zunächst einmal außerordentlich beeindruckend und überwältigend. Immer wieder sitze ich dort mit Staunen und lausche dem Klang in diesem wunderbaren Raum. Ich hatte dieses Erlebnis bislang erst einmal, nämlich als ich zu einer Dreikönigswallfahrt kurzfristig eingesprungen bin. Ein anderes Mal habe ich eine Hochzeit in der Sakramentskapelle begleitet.

DOMRADIO.DE: Gibt es denn auch so etwas wie Respekt vor einem solchen Instrument wie der Domorgel?

Wand: Absolut. Ehrfurcht gehört dazu. Aber eher vor dem Raum als vor der Orgel. Trotzdem gehört beides ja zusammen. Das sind Dimensionen, die man sonst nicht erlebt und die in dieser Form einmalig sind. Man entdeckt so viele Details bei jedem Besuch im Dom und an der Orgel, eigentlich immerzu etwas Neues. Natürlich sind die Übezeiten an der großen Orgel begrenzt, aber in den Momenten, in denen ich dort oben sitze, zeigt sich mir jedes Mal noch etwas bisher Unbeachtetes. 

DOMRADIO.DE: Muss denn selbst ein Profi wie Sie, der ein Leben lang schon Orgel spielt, noch üben?

Matthias Wand

"An diesem speziellen Instrument muss man sich vor allen Dingen mit den akustischen Verhältnissen vertraut machen. Das dauert eine Weile, bis man verstehen lernt, wie dieser Raum funktioniert."

Wand: Es gibt unter Musikern das viel zitierte Bonmot "Wer übt, fällt seinen Kollegen in den Rücken". Ich empfinde Orgelüben als eine sehr schöne und sinnvolle Beschäftigung, und die neue Situation motiviert mich sehr dazu. Ja klar, an diesem speziellen Instrument muss man sich vor allen Dingen mit den akustischen Verhältnissen vertraut machen. Das dauert eine Weile, bis man verstehen lernt, wie dieser Raum funktioniert. Das ist eine Sache für sich, die Schallwellen in dieser weitläufigen Kirche zu ergründen. 

Matthias Wand liebt es zu improvisieren / © Beatrice Tomasetti (DR)
Matthias Wand liebt es zu improvisieren / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Für seine schwierige Akustik, aber auch für die Kälte im Winter ist der Dom ja regelrecht bekannt. Wie wirkt sich das auf Ihr Orgelspiel aus?

Wand: In der Tat ist die Akustik die größte Herausforderung. Ich glaube, das braucht einfach Zeit. Es gibt allerdings eine Technik an der Domorgel, mit der man das eigene Spiel aufnehmen und dann unten im Dom abhören kann. Die Erfahrung, sich selbst hören zu können, ohne am Spieltisch zu sitzen, sondern dort zu stehen, wo sich sonst die Gemeinde aufhält, ist natürlich eine große Hilfe.

Und was die Temperaturen im Dom angeht (lacht), bin ich angesichts meiner Herkunft aus der früheren DDR ziemlich leidensfähig und geradezu kälteerprobt. Denn Heizungen gab es damals in unseren Kirchen nicht. Deshalb bin ich von Kindesbeinen an – schon als kleiner Messdiener und auch später dann als Organist – kalte Gotteshäuser gewöhnt. Das konnte soweit gehen, dass sogar der Messwein im Kelch gefroren ist. Was Eiseskälte angeht, kann mich also nichts so schnell erschüttern, kalte Finger sind da noch das kleinste Problem. Aber natürlich kann man das nur bedingt lange aushalten.

DOMRADIO.DE: Sie stammen gebürtig aus Eisenach und haben dann in Görlitz und Weimar studiert, wo Sie im Studium an der Franz Liszt-Hochschule auch Ihre Frau, eine Geigerin, kennengelernt haben. Am Erfurter Dom waren Sie Kantor…

Wand: … und leider nicht Organist. Der damalige Domorganist war trotz Ruhestands sehr darauf bedacht, dass nicht so viele Leute an "seine" Orgel kamen. Das war schmerzlich für mich, weil ich schon immer furchtbar gerne Orgel gespielt habe. Ich arbeite zwar auch gerne mit Chören, aber am liebsten, wenn ich sie am Instrument begleiten darf.

In diese Perspektivlosigkeit am Erfurter Dom mischte sich dann damals zunehmend eine große Unzufriedenheit über die politische Situation, die kurze Zeit später zum Ende der DDR führte – was ich damals aber noch nicht wissen konnte – so dass ich entschied, nach einer Konzertreise ins Rheinland, wo ich für sechs Konzerte verpflichtet war, nicht mehr nach Erfurt zurückzukehren. Das war im September/Oktober 1989, als noch niemand ahnte, dass sich wenige Wochen später die Grenze öffnen und die Mauer fallen würde. 

Als gläubige Katholiken lebten wir immer wie auf einer Insel mitten in diesem "roten" System. Irgendwie wurde man toleriert. Jedoch war das Elternhaus gegen den totalitären Staat, und in der Schule erhielten wir die kommunistische Erziehung. Dieser Spagat war für uns Kinder nicht ganz einfach. Wenn man zur Erstkommunion ging, aber nicht zur Jugendweihe, wurde man automatisch zum Außenseiter. Das war der Preis, den wir bezahlen mussten.

Blick auf die Orgelempore / © Beatrice Tomasetti (DR)
Blick auf die Orgelempore / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Ein Kirchemusikstudium war dann sicher auch nicht gerade das, was von den Parteifunktionären favorisiert wurde… 

Wand: Gott sei Dank hat der Staat der Kirche, was das Kirchenmusikstudium an Kirchenmusikschulen oder staatlichen Hochschulen anging, freie Hand gelassen. Allerdings nannte sich das Studium nicht so, sondern man studierte, wenn man Kirchenmusik mit Fächern wie künstlerisches und liturgisches Orgelspiel, liturgisches Singen, Liturgik und Chorleitung belegte, einfach "Orgel". Wahrscheinlich wäre es schwierig gewesen, ein solches Fach abzuschaffen, weil diese jahrhundertealte Tradition tief in der Gesellschaft verwurzelt war. Andererseits gab es in diesem Bereich auch willkürliche Machtdemonstrationen seitens des Staates, wie zum Beispiel 1968 die Sprengung der Leipziger Universitätskirche.

DOMRADIO.DE: Haben Sie denn bei Ihrer Ankunft in Köln sofort eine Stelle gefunden?

Wand: Professor Richard Mailänder, zuständig für die Kirchenmusiker im Erzbistum, hat mir damals die offenen Stellen genannt. So kam es, dass ich am 1. Dezember 1989 in den beiden Pfarreien St. Joseph und St. Monika in Köln-Nippes eine Anstellung fand. Und meine Frau bekam gleich eine befristete Stelle bei den ersten Geigen des Gürzenich-Orchesters, bis sie dann fest ins Wuppertaler Symphonieorchester wechselte.

DOMRADIO.DE: Ihre neue Stelle nun war als "Assistenz des Domorganisten" mit einem halben Stellenumfang und auf zwei Jahre begrenzt ausgeschrieben. Wie kommt es, dass Sie mit über 60 noch einmal eine neue berufliche Herausforderung angehen?

Matthias Wand

"Ich empfinde es als große Ehre, nun in diesem einmalig schönen und großartigen Gotteshaus die Orgel spielen zu dürfen."

Wand: Warum nicht, habe ich mir gesagt. Diese Stelle hat mich noch einmal richtig gereizt. Und dass ich von der Kommission aus mehreren Bewerbern, die zum Vorspiel eingeladen waren, ausgewählt wurde, erfüllt mich mit großer Freude und auch ein wenig Stolz. Außerdem empfinde ich es als große Ehre, nun in diesem einmalig schönen und großartigen Gotteshaus die Orgel spielen zu dürfen. Im Übrigen wird ein weiterer Kandidat die andere Hälfte dieser Stelle zum Jahresbeginn antreten.

DOMRADIO.DE: Als zusätzlicher Organist im Dom sind Sie Teil der Dommusik. Wie wurden Sie bisher vom Team willkommen geheißen?

Die Schwalbennestorgel an der nördlichen Langhauswand / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die Schwalbennestorgel an der nördlichen Langhauswand / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Wand: Ich bin von allen Menschen, denen ich hier im und am Dom in den letzten Wochen begegnet bin, sehr freundlich aufgenommen worden. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit den Chören der Dommusik, auf die Kollegen und Kolleginnen und bin schon jetzt auf die Gottesdienste und Konzerte gespannt, die wir zusammen gestalten werden. 

DOMRADIO.DE: In Ihrer Familie mit fünf Kindern, die alle Instrumente spielen, wurde immer viel Musik gemacht. Welche Bedeutung hat die Musik in Ihrem Leben? 

Wand: Sie spielt eine sehr wesentliche Rolle. Das war schon als Kind so. Das intensive Studium hat diese Liebe dann noch verstärkt. Und später haben wir in der Familie viel musiziert. Meine vier Töchter haben alle die Kölner Domsingschule besucht und waren viele Jahre im Mädchenchor am Kölner Dom. Hier schließt sich also wieder ein Kreis. Bis heute nimmt die Beschäftigung mit Musik bei mir den Großteil des Tages ein: ob ich übe, den Gottesdienst spiele oder mit anderen gemeinsam musiziere. Das ist ein wichtiger Teil meines Lebens.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.

Kölner Dommusik: Die vier Chöre am Kölner Dom

Die Kölner Dommusik besteht aus vier Chören und hat mit diesen den Auftrag die Gottesdienste an der berühmten Kölner Kathedrale, dem Kölner Dom, musikalisch auf hohem Niveau zu gestalten. Darüber hinaus ist sie als Kulturbotschafter auch außerhalb Kölns eine feste Größe.

Das Jubiläumskonzert zum 30-jährigen Bestehen des Mädchenchores fand auf den Stufen der Vierung statt. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Das Jubiläumskonzert zum 30-jährigen Bestehen des Mädchenchores fand auf den Stufen der Vierung statt. / © Beatrice Tomasetti ( DR )
Quelle:
DR