Kölner Bestatter verteidigt Friedhofszwang

"Niemand hat einen Besitz an uns"

Dass Tote auf öffentlichen Friedhöfen bestattet werden, ist laut Christoph Kuckelkorn wichtig, um Trauer zu ermöglichen und dem Tod eine Öffentlichkeit zu geben. Auch, wenn er den Begriff des "Friedhofszwangs" für unangemessen hält.

Beerdigung einer Urne / © JGA (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Ein Ehepaar wollte sich vor kurzem in einer privaten Kapelle bestatten lassen. Das Gericht hat das abgelehnt. Der Ehemann hatte argumentiert, dass die Kinder weggezogen seien und sich nicht kümmern könnten.  Und so eine selbstgebaute Kapelle sei viel schöner und persönlicher als ein großes Gräberfeld. Ist das keine gute Idee?

Christoph Kuckelkorn / © Maria Schulz (privat)
Christoph Kuckelkorn / © Maria Schulz ( privat )

Christoph Kuckelkorn (Kölner Bestattungsunternehmer und Karnevalist): Eigentlich hört sich das erst mal ganz gut und auch unheimlich liberal an. Auch eine Urne zu Hause zu haben, hört sich toll an. Friedhofszwang sehe ich als einen völlig färbenden Begriff, denn das klingt schon irgendwie böse, wenn da jemand zu etwas gezwungen wird. Eigentlich muss man doch zugrunde legen, dass wir Menschen im Leben keinem gehören. Keiner hat einen Besitz an uns und nach dem Tod sollte das eigentlich genauso sein. Warum der öffentliche Friedhof da unverzichtbar ist, das liegt eigentlich auf der Hand: Es trauern ja nicht nur die Kinder, die Familie, die in der privaten Kapelle Abschied nehmen, sondern es gibt vielleicht Arbeitskollegen, es gibt Nachbarn, es gibt Freunde, den Verein, es gibt viele Menschen, die so einen Ort vielleicht besuchen wollen möchten, aber dann nicht können, weil da quasi ein Besitz ausgeübt wird.

Das Stichwort: Friedhofskultur

Die Friedhofskultur in Deutschland ist seit 2020 "immaterielles Kulturerbe". Auf Empfehlung der Deutschen Unesco-Kommission beschloss die Kultusministerkonferenz im März 2020 die Aufnahme in das bundesweite Kulturerbe-Verzeichnis.

Das immaterielle Erbe Friedhofskultur bezieht sich dabei "auf das, was Menschen auf dem Friedhof tun - trauern, erinnern und gedenken" sowie auf das Gestalten, Pflegen und Bewahren. Es sind also nicht die Friedhöfe selbst, die zum Unesco-Welterbe ernannt wurden, das wäre quasi materielles Erbe.

Friedhof im Frühling / © Harald Oppitz (KNA)
Friedhof im Frühling / © Harald Oppitz ( KNA )

Die werden quasi ausgeschlossen mit ihrer Trauer, denn die trauern ja auch. Wenn ich einen Jugendfreund habe, trauert der vielleicht manchmal intensiver als eine Familie. Und der nächste Punkt ist vielleicht noch extremer: Nehmen wir uns eine Patchworkfamilie als Beispiel. Wenn die zweite Ehefrau die Urne ihres Mannes zu Hause oder in einem privaten Bereich aufbewahrt, dann haben die Kinder aus erster Ehe überhaupt keine Trauer und somit wird es schon ganz augenscheinlich problematisch. Und deswegen ist der öffentliche Friedhof etwas ganz, ganz Wichtiges. Alleine schon deswegen, weil es auch nach dem Tod keinen Besitz am Menschen geben kann.

DOMRADIO.DE: Eine Begründung von dem Gericht war auch, dass der gesellschaftliche Wandel noch nicht so weit sei, dass man den Friedhofszwang aufheben kann. Dabei haben sich letzte Woche erst über 50 % der Erwachsenen dafür ausgesprochen, diesen Friedhofszwang für Urnenbestattungen aufzuheben. Müsste man da nicht sagen, dass man den letzten Wunsch von Verstorbenen respektieren sollte?

Kuckelkorn: Es geht ja bei dem, was wir tun, nachdem jemand gestorben ist, natürlich auch um den Wunsch des Verstorbenen. Aber wir müssen im hohen Maße auch die Bedürfnisse der Familie befriedigen.

Es geht doch darum, dass den Menschen Genüge getan wird, die mit dieser Trauer den Rest ihres Lebens verbringen müssen, die einen neuen Lebensabschnitt beginnen. Wenn dieser Lebensabschnitt gar nicht erst beginnen kann, weil die Loslösung von dem Verstorbenen gar nicht stattfindet, weil die Urne immer noch zu Hause steht, dann ist das schon problematisch.

Es liegt schon auf der Hand, dass der Trauerprozess dann nicht gut läuft. Wie will ich zum Beispiel eine neue Partnerschaft eingehen im nächsten Lebensabschnitt, wenn die Ehefrau noch in der Urne auf dem Kaminsims steht? Das kann nicht funktionieren. Es ist vielleicht ein bisschen brachial, das so auszudrücken, aber das ist schon ganz wichtig.

Christoph Kuckelkorn, Kölner Bestatter und Karnevalist

"Wir müssen im hohen Maße auch die Bedürfnisse der Familie befriedigen"

Und ich glaube, wir müssen uns einfach mehr mit den Hintergründen beschäftigen, mehr Öffentlichkeitsarbeit in dem Bereich haben und natürlich auch wie heute Gelegenheiten nutzen, Menschen zu informieren.

Denn ich mache immer wieder die Erfahrung, dass der Wunsch ganz oft an uns herangetragen wird. Wenn wir aber dann die Beweggründe auseinander legen, dann ist es meistens einfach nur, dass die Menschen nach der Einäscherung sagen: Vom Sarg zur Urne an einem Tag ist schon echt krass. Das ist sehr schnell und das wird so abstrakt. Deswegen brauchen wir irgendetwas, das wir zurückhalten wollen. Und dann ist eben das Behalten der Urne vielleicht eine Möglichkeit. Aber quasi in allen Fällen bekommen wir da auch die Kurve. Und die Menschen sind dann auch mit einem Grab sehr zufrieden.

DOMRADIO.DE: Es gibt längst auch Leute, die den Friedhofszwang umgehen, zum Beispiel in Länder reisen, wo es keinen Friedhofszwang gibt. Das kann zu regelrechtem "Urnentourismus" führen. Man kann sich zum Beispiel in den Niederlanden verbrennen lassen und die Angehörigen nehmen die Asche dann mit. Das kontrolliert doch niemand, oder?

Kuckelkorn: Das ist eigentlich in jedem Nachbarland Deutschlands möglich. Wir machen aber auch da die Erfahrung, dass die Familien sich nach zwei oder spätestens drei Jahren beim Bestatter melden und sagen: "Herr Kuckelkorn, die Urne stand jetzt ja bei uns im Garten und wir haben uns jetzt überlegt, vielleicht ist das jetzt auch mal gut. Jetzt wollen wir auch loslassen, dass wir sie dann auch beisetzen." Die Friedhofsverwaltungen machen das super mit. Wir gehen quasi nur von einer verlängerten Abschiedsfeier aus und das ist dann auch wieder legitim.

DOMRADIO.DE: Der Friedhofszwang ist ursprünglich aus hygienischen Gründen eingeführt worden. Heute geht es eher darum, den Friedhof als öffentlichen Ort der Trauer beizubehalten. Warum ist es wichtig, dass der Tod auch in der Mitte der Gesellschaft sichtbar ist?

Kuckelkorn: In Köln gibt es 60 Friedhöfe im Stadtgebiet. Das ist unglaublich viel. Jeder Stadtteil hat quasi seinen eigenen alten Friedhof noch und damit sind Leben und Tod sehr nah beieinander. Man kann mal eben nach dem Einkaufen eine Kerze aufstellen, man geht aber auch beim Einkaufen am Friedhof vorbei.

Ich finde, das ist ein tolles "Carpe diem": Man bekommt immer wieder klar gezeigt, wie verletzlich das Leben ist, wie nah der Tod uns ist. Das ist, glaube ich, ganz wichtig. Das macht das Leben ja auch reich und das gibt dem Glauben einen Sinn. Ich glaube, beides zusammen ist ein ganz wichtiger Aspekt, warum Friedhof in der Stadt stattfinden muss, warum es nah bei den Menschen sein muss und warum Tod und Leben untrennbar zusammengehören. Nur so haben wir Wert im Leben.

Christoph Kuckelkorn, Kölner Bestatter und Karnevalist

"Man bekommt immer wieder klar gezeigt, wie verletzlich das Leben ist, wie nah der Tod uns ist"

DOMRADIO.DE: Mittlerweile sind nur noch 50 Prozent aller Bestattungen kirchliche Beerdigungen. Im Jahr 2000 waren es noch über 70 Prozent. Warum ist das so?

Kuckelkorn: Wir merken, dass die Akzeptanz von Geistlichen bei der Gestaltung einer Trauerfeier immer mehr abnimmt, was aber nicht zwingend heißt, dass es keine christliche Bestattung ist. Die Institution Kirche ist hier das, was angezweifelt wird, weil auch viele natürlich nicht mehr der Kirche angehören und sich unter Umständen im hohen Alter noch dagegen entscheiden. Aber trotzdem sind die Trauerredner, die wir ansprechen, auch immer gefordert, den christlichen Grundgedanken in der Trauerfeier mit umzusetzen.

Da wird dann trotzdem ein Vaterunser gebetet, da gibt es trotzdem all die Riten, die wir auch aus kirchlichen Bestattungen kennen. Aber meistens ist dann der persönliche Kern gewünscht, eine Ansprache, die auch auf den Verstorbenen eingeht. Das ist ja beim streng rituellen Ablauf in der Liturgie gar nicht so der Fall. Da hat sich einfach auch der Anspruch der Familien so ein bisschen gewandelt. Dem tragen viele dann auch Rechnung, weil wir merken, dass viele Geistliche, wo die Seelsorge noch gut funktioniert, das eben auch so umsetzen. Da ist es auch akzeptiert, da gehört es auch dazu.

Aber es fängt ja schon schlichtweg an, einen Beratungstermin mit einem Pfarrbüro zu vereinbaren. Das kann schon sehr stressig sein, weil einfach die Verwaltungsbezirke oder die Pfarrbereiche unheimlich groß sind. Und so eine Bestattung kündigt sich eben nicht vier Wochen vorher an oder ein halbes Jahr oder ein Jahr wie eine Hochzeit, sondern die muss dann in der nächsten Woche umgesetzt werden. Das bringt alle Beteiligten oftmals an die Grenzen und das spürt man dann auch. Auch wenn wir uns immer bemühen, dass man das nicht so durch merkt. Aber spätestens beim Gespräch der Angehörigen, wenn die dann mit dem Pfarrer reden, spüren die das. Und dann sind die erst mal sehr irritiert.

DOMRADIO.DE: Mittlerweile gibt es neben der Erd- oder der Feuerbestattung ja noch ganz viele andere Bestattungsarten. Was war denn bislang der skurrilste Wunsch, den vielleicht eine Familie an Sie gerichtet hat?

Kuckelkorn: Das kann man so gar nicht sagen, denn für uns ist diese Skurrilität schon Normalität, weil wir uns sehr individuell mit den Familien unterhalten. Wir versuchen, in allen Bereichen einer Gestaltung der Trauerfeier bis hin zum Essen danach, Einladungen, Musik, Rede, Dekoration spürbar zu machen, um wen es hier geht. Weil die Menschen so unterschiedlich sind, gibt es auch immer wieder Wünsche, die außergewöhnlich sind. Oft ist auch das Umfeld auf dem Friedhof eine Strapaze. Wenn zum Beispiel eine Biker-Bestattung stattfindet, dass ganz viele Motorräder eingebunden werden müssen. Es kann aber auch sehr, sehr schön sein, eben da auch genau diesen Rückhalt, diese Stärke dieser Gemeinschaft zu spüren. Das ist ja auch wichtig.

Ich glaube, vom Sektempfang in der Trauerhalle bis zum Kölsch am Grab, haben wir alles schonmal gehabt und musikalisch gibt es auch kein Lied, das nicht irgendwie schon auf einer Beerdigung gespielt wurde. Da ist alles möglich, es muss halt nur in den Kontext passen und muss sich in das Gesamtkonzept einbetten.

Das Interview führte Elena Hong.

Quelle:
DR