Kleine Kulturgeschichte über "Das Heilige und das Nackte"

Darf man den Schöpfergott nackt zeigen?

Markus Hofer forscht den nackten Wahrheiten biblischer Stoffe nach und zeigt, wie sehr die Kunst zur Versinnlichung des Glaubens beigetragen hat. Hier spricht er über seine Kulturgeschichte "Das Heilige und das Nackte".

 © Marta Pons Moreta (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Heilig und nackt. Vielleicht sollte man erst mal meinen, das passt gar nicht zusammen. Ist aber nicht so, warum?

Dr. Markus Hofer (Theologe und Kunsthistoriker): In allen Religionen oder Kulturen gibt es heilige Bereiche: Tempel, Kirchen, Moscheen. Und immer sind die verbunden mit dem Versuch, diese heiligen Bereiche vom Nackten möglichst fernzuhalten, also sie quasi zu entsexualisieren. Die Sexualität, diese starke Kraft, sie ist bei uns Menschen vor allem visuell strukturiert und über die Augen sind wir wahnsinnig schnell ablenkbar. Und darum auch diese Versuche, bestimmte Bereiche davon frei zu halten. Wir kennen bei uns noch in der Kirche die Frauenbank oder die Männerbank. In den Moscheen sind die Geschlechter streng getrennt, genauso auch in den Synagogen, damit da niemand in seiner Andacht visuell irgendwie abgelenkt werden könnte.

DOMRADIO.DE: Aber sie haben festgestellt, in verschiedenen Zeitaltern gab es auch unterschiedliche Beziehungen zur Nacktheit. Starten wir mal im Mittelalter. Wie war das da mit der Nacktheit?

Hofer: Im Mittelalter finden wir kaum Nacktheit auf religiösen Bildern. Wenn in der Bibelstelle die Batseba badet und der David zuschaut, ist sie natürlich nackt, aber in aller Selbstverständlichkeit, ohne jede Vordergründigkeit. Warum? Weil im Mittelalter Nacktheit selbstverständlich war. Man war nackt, es gab keine Nachthemden, es gab keine Unterhosen. Man hat im Normalfall in einem Raum geschlafen, die Eltern und die Kinder. Nacktheit war alltäglich. Das hat man Tag für Tag gesehen. Das heißt, es gab auch kein Bedürfnis, jetzt zusätzlich noch vielleicht auf Kirchenbildern Nackte zu sehen. Nackte waren etwas völlig Normales.

DOMRADIO.DE: Das hat sich dann geändert in der Renaissance. Da hat man ja quasi in der Kunst die Nacktheit zelebriert. Warum wurde es damals dann schon besonders interessant, wenn es um die Heiligendarstellungen ging?

Hofer: Der große Bruch kommt mit dem 16. Jahrhundert, das hat begonnen mit der Syphilis, dann kamen Reformation und Gegenreformation. Und dann war Schluss mit lustig. Die Leute waren zugeschnürt und eng bekleidet. Und eine unheimlich starke Sexualmoral hat geherrscht. Und zum Beispiel dadurch, dass Luther die Ehe zu einem weltlich Ding machte, ist die Sexualmoral dann zu einer Frage der staatlichen Strafverfolgung geworden. Da hat man nicht einmal mehr beichten können, wenn irgendetwas war. Also es wurde sehr, sehr streng in der offiziellen Moral. Aber die Sexualität ist eine zu starke Kraft, als dass man sie einfach unterdrücken könnte. Und genau in dieser Zeit entsteht damit natürlich der Wunsch, das Bedürfnis nach Nacktheit. Und jetzt kommen die ganzen Nackten auch in den Heiligenbildern in den Kirchen zum Vorschein.

Deckengemälde der Sixtinischen Kapelle / © S-F (shutterstock)
Deckengemälde der Sixtinischen Kapelle / © S-F ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Michelangelo hat 24 nackte Männer gemalt, in allen möglichen Posen an der Decke der Sixtinischen Kapelle. Wie haben die Menschen damals auf seine Kunst reagiert?

Hofer: Das ist schwierig zu sagen. Es wimmelt natürlich von Figuren, wenn man da wirklich hinaufschaut. Er hatte die Decke ja versteckt, bis er fertig war. Aber sicher ist, dass Michelangelo, von dem man heute weiß, dass er homosexuell war, da oben bei diesen vielen jungen nackten Männern in allen möglichen, auch erregenden Posen, auch seine Homosexualität bearbeitet hat. Das ist eigentlich nie thematisiert worden. Vielleicht ist es manchen auch nicht richtig aufgefallen, aber bei der bekannten Haltung der katholischen Kirche zur Homosexualität hat es natürlich schon was, wenn an der Decke einer der heiligsten Kirchen der Kirche ausgerechnet dort Michelangelo seine Homosexualität bearbeitete, vielleicht sogar ein Stück bewältigt hat.

DOMRADIO.DE: Wie war die Reaktion des Papstes damals darauf?

Hofer: Es gibt darauf kaum eine Reaktion. Es gibt dann eine Reaktion auf das Jüngste Gericht, was natürlich besser sichtbar ist. Und beim Jüngsten Gericht hat man dann verlangt, nach dem gestrengen Konzil von Trient, dass dort die Nacktheit übermalt werden muss. Und da hat dann ein Schüler des Michelangelo denen Höschen gemalt. Einige hat man bei der Restauration wieder entfernt. Über die Decke ist aber kaum einmal mehr geredet worden.

DOMRADIO.DE: Einer, der da oben nackt ist, ist Gottvater mit entblößtem Hintern. Woran erkennt man ihn?

Hofer: Man sieht den Schöpfer zuerst von vorne, wie er Sonne und Mond schafft und dann fliegt er ins All davon. Und dann kommen irgendwelche kosmischen Winde und heben ihm von hinten das Gewand an und man sieht tatsächlich das nackte Hinterteil des Schöpfergottes. Wahrscheinlich eine der größten Entgleisungen in der christlichen Ikonographie: dieses nackte Hinterteil ist ziemlich genau über dem Papstaltar, also dort, wo der Papst in seiner Kapelle die Messe hält. Diese Szene ist lange tabuisiert worden.

David von Michelangelo / © Alessandro Colle (shutterstock)
David von Michelangelo / © Alessandro Colle ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Gibt es denn so was wie religiöse Pornografie?

Hofer: Also bei Bildern von Maria Magdalena im 19. Jahrhundert würde ich schon davon reden, weil dort die Nacktheit derart vordergründig wird. Da ist klar, dass das religiöse Thema nur noch quasi die Ausrede, die Legitimation ist, ein nacktes junges Mädchen in aufreizender Pose darzustellen. Also da verschwimmen dann schon die Grenzen. 

DOMRADIO.DE: Warum war Maria Magdalena immer wieder Objekt von Männerfantasien?

Hofer: Auf der einen Seite gilt sie natürlich als die Prostituierte, was aber unhistorisch ist. Diese Prostituierte im Neuen Testament hatte keinen Namen, aber das hat man dann früh schon mit der Maria Magdalena verbunden. Und dann gibt es diese mittelalterliche Legende, dass sie in einer Höhle gebüßt hat, nackt, und die Haare sind gewachsen, und sie war nur noch von ihren Haaren bedeckt. Das hat natürlich schon auch die Fantasie der Künstler angeregt. In mittelalterlichen Bildern ist sie noch komplett bedeckt. Aber im 16. Jahrhundert, da beginnt dann, wie bei Tizian, schon der Busen durchzuschimmern. Und es geht dann immer weiter bis ins 19. Jahrhundert, wo sie dann als quasi junges, knackiges Pin-up-Girl ohne lange Haare, die vieles verhüllen, in ihrer Höhle liegt. Da wird es dann völlig vordergründig.

Maria Magdalena von Tizian / © Everett Collection (shutterstock)
Maria Magdalena von Tizian / © Everett Collection ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Auch das männliche Gegenstück gibt es: Sebastian. Was hatte er, dass er immer wieder nackt dargestellt wurde? War das der Mann mit Waschbrettbauch?

Hofer: Viele der Sebastiandarstellungen sind eigentlich androgyn, eine Mischung aus männlich und weiblich. Er hängt dann an den Baum gebunden, manchmal unheimlich lasziv. Im 16. und 17. Jahrhundert wird das Lendentuch immer knapper und manchmal wartet man fast darauf, dass es herunterrutscht.

Jesus von Michelangelo (Auschnitt) / © Renata Sedmakova (shutterstock)
Jesus von Michelangelo (Auschnitt) / © Renata Sedmakova ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Wie ist es bei Jesus-Darstellungen?

Hofer: Es gibt eigentlich fast nur den Jesus von Michelangelo mit dieser Figur, so ein Idealmann. Und der war in einer Kirche in Rom aufgestellt und ist dann sehr verehrt worden von der frommen Damenwelt. Bis dann ein frommer Mönch, dem es zu viel wurde, fast durchgedreht ist, einen Hammer geholt und dem Jesus den Penis abgeschlagen hat. Seitdem hat er ein bronzenes Lendentuch, das man natürlich nicht mehr wegtun kann, weil sich darunter nichts mehr findet. Also, das muss damals in Rom schon einiges auch ausgelöst haben. Sonst ist er selten nackt.

Das Gespräch führte Dagmar Peters.

Das Heilige und das Nackte: Eine Kulturgeschichte

Das Spiel von Verhüllung und Enthüllung: Je mehr Moral beim Sex desto mehr Erotik in der Kunst Heilig ist heilig – und nackt ist nackt. Doch der Versuch, Sexualität aus der Religion und dem religiösen Erleben zu verbannen, scheitert unweigerlich. Zu stark ist die Sexualität als sich Wege bahnende Kraft. Und dabei hat das Moralisieren noch nie viel genützt, sondern macht die Sache erst interessant!

Das Heilige und das Nackte: Eine Kulturgeschichte / © Tyrolia Verlag
Das Heilige und das Nackte: Eine Kulturgeschichte / © Tyrolia Verlag
Quelle:
DR