Gedanken zum Freiheitsdrang und Fasten in Zeiten von Corona

Kleine Fluchten, große Träume

Je länger die coronabedingten Beschränkungen in diesem Jahr dauern, desto mehr wächst unser Widerwille. Vergessen wir, wie die Freiheit schmeckt, wenn es noch eine ganze Weile so weitergeht?

Autor/in:
Andreas Öhler
Ein Paar geht spazieren / © Jeroen Mikkers (shutterstock)
Ein Paar geht spazieren / © Jeroen Mikkers ( shutterstock )

Corona macht uns alle zu Profis des Kleingedruckten. Wer ertappt sich nicht dabei, dass er fieberhaft nach Schlupflöchern sucht, wenn Bund und Länder ihr nachgeschärftes Regelwerk zur Corona-Bekämpfung präsentieren.

In den logischen Widersprüchen, die sich notgedrungen bei zu schnell gestrickten Verordnungen ergeben, versuchen wir einen Freiraum zu finden - immer in Angst, dass sich die Schlinge weiter zuzieht. Langsam wird es eng.

Askese wirkt wie purer Hohn

Mit der anstehenden Fastenzeit treten wir zudem in eine Phase, in der wir ohnehin zum Verzicht verurteilt sind; weitere Askese wirkt da wie purer Hohn. Es gibt bisher kein Strategie-Handbuch, wie man ein solch heruntergedimmtes Leben hinkriegt. Der Mensch ist ein Bewegungstier: Stillhalten und Abwarten sind nicht Teil seiner Natur. Prominente, die auf Instagram posten, wo sie jetzt Urlaub machen können, geraten in einen mächtigen Shitstorm.

Schließlich haben sich die Winterferien bei den Normalos im fließenden Übergang mit dem Lockdown verschmolzen. Peer Kusmagk und Janni Hönscheid, Protagonisten der RTL-Kuppelshow "Adam & Eva", haben diesen Fehler gemacht und ihre Fans verärgert. Jetzt ist gerade keine gute Zeit, über Privilegien zu reden.

Gestalterischer Freiraum wichtig wie nie

Die Kunst der Stunde ist vielmehr nun, sich nicht von der Masse abzuheben - das wird als ein Akt der Entsolidarisierung gesehen. Gleichzeitig aber ist es für die eigene Psyche wichtig, einen gestalterischen Freiraum zu behaupten.

Ordnungshüter zwingen uns zu Ausflüchten, wenn sie uns bei unseren kleinen Fluchten in die Natur mit vier Personen zur Rede stellen. Das ist auf Dauer erniedrigend. Schließlich wissen sie selbst genau, wie absurd es ist, einen Waldspaziergang im Schnee, bei dem einem keine Menschenseele begegnet, zu ahnden - während sich in den Stadtparks Kleinfamilien auf Spielplätzen tummeln sollen.

"Mama-Taktik" auch zwischen Bund und Ländern

Immer mehr Bürgerinnen und Bürger dieser Republik greifen auf die alten Kindheitsmuster zurück, mit denen sie bei den Eltern gelegentliche Erfolge erzielten. Kinder sind raffiniert darin, Erzieher mit ihren verschiedenen Regelvorstellungen gegeneinander auszuspielen, indem sie immer nur das lockerste der über sie verhängten Verbote akzeptieren.

Diese "Aber die Mama hat doch erlaubt"-Taktik funktioniert auch ganz prächtig zwischen Bund und Land, den Ländern untereinander und im Hickhack zwischen Land und Kommunen.

Was bleibt vom Wort Freiheit in der Nationalhymne?

Einigkeit und Recht und Freiheit - mit diesen Zeilen beginnt bekanntlich unsere deutsche Nationalhymne. Wie bizarr, dass wir gerade unseren letzten Rest von Freiheit daraus schöpfen, dass sich die Regierungsinstanzen untereinander uneins sind und sich hieraus noch die ein oder andere Rechtslücke ergibt.

Die Filme, die wir in diesen Tagen wohl eher im Übermaß in unseren Medien konsumieren, die Bücher, die wir lesen - wenn die Figuren darin keine Maske tragen und sich frei bewegen, Spaß haben und Nähe praktizieren, mutet uns dieses Setting wie ein Illusionsraum an.

Wann kommt der Tag, an dem wir uns vor dem Bildschirm wundern, dass die handelnden Personen weder Maske tragen noch den Sicherheitsabstand einhalten? Wann empfinden finden wir überfüllte Restaurants und Cafes als störend, in denen Paare bei ihrem ersten Tete a Tete die Köpfe zusammenstecken und jemand in uns ruft: "Stop! Aufpassen! Gefahr!"?

Das kostbare Gut von Recht und Freizügigkeit

Wenn der Freiheitsdrang eine biologische Grundkonstante der menschlichen Existenz ist, müssten wir uns um unser Leben in und nach der Pandemie keine allzu großen Sorgen machen. Die anthropologische Gewohnheit wird uns dann wieder in die alten Formen zurückfallen lassen. Aber wir werden wohl länger nicht vergessen, welch kostbares Gut das Recht auf Freizügigkeit ist.

Im Grundgesetz und auf dem Papier liest es sich, als sei sie selbstverständlich gegeben, allein schon dadurch, dass sie rechtlich garantiert wird. Die Pandemie-Beschränkungen haben gezeigt, wie zerbrechlich diese vermeintliche Selbstverständlichkeit ist. Hoffen wir, dass wir diese Erkenntnis auch nach Corona nicht vergessen.


Mit Abstand und Maske: Loss mer singe för zo Hus (shutterstock)
Mit Abstand und Maske: Loss mer singe för zo Hus / ( shutterstock )
Quelle:
KNA