Kirchentag im Land der Gottlosen

Ein Experiment auf Luthers Spuren

Auch wenn sie als Ursprungsort der Reformation in allen Geschichtsbüchern steht - Wittenberg ist heute eine Kleinstadt mit besonders wenigen Christen. Wie feiert man da einen Kirchentag?

Autor/in:
Dörthe Hein
Es gibt auch Taschen zum Reformationsgedenken / © Jens Büttner (dpa)
Es gibt auch Taschen zum Reformationsgedenken / © Jens Büttner ( dpa )

Der Höhepunkt des Kirchentags wird in zwei Monaten dort gefeiert, wo die Reformation vor 500 Jahren ihren Anfang nahm. Heute allerdings leben in und um Wittenberg so wenige Christen wie kaum irgendwo sonst in Deutschland: Vier von fünf Einwohnern gehören in Sachsen-Anhalt gar keiner Kirche an. Ein Erbe der DDR, in der für Religion wenig Raum blieb. Auch Berlin, wo es die meisten Programmpunkte des Kirchentags (24. bis 28. Mai) geben wird, ist nicht gerade für seinen hohen Anteil an Christen bekannt.

Wittenbergs Oberbürgermeister Torsten Zugehör (parteilos) nennt es ein Experiment und setzt darauf, dass seine Bürger mitmachen.

Abschlussgottesdienst in Wittenberg

Was heute noch jedes Kind im Geschichtsunterricht lernt: An die große Pforte der Wittenberger Schlosskirche soll der Theologe und Universitätsgelehrte Martin Luther 1517 seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel angeschlagen haben. Auch wenn das genaue Ereignis bei weitem nicht sicher feststeht: In der kleinen Stadt mit großer Geschichte wird die Reformation in diesem Jahr überdimensional gefeiert: 200.000 Menschen sollen am Sonntag nach Himmelfahrt, dem 28. Mai, nach Wittenberg kommen. Auf einer Elbwiese feiern sie den Abschlussgottesdienst des Evangelischen Kirchentags, der vorher mit mehr als 2.000 Veranstaltungen vor allem in Berlin ausgetragen wird.

Ob es gelingt, die atheistischen Ostdeutschen mit dem Kirchentag und den Reformationsfeiern zu erreichen? Der Wittenberger Stadtrat Uwe Loos von der Linken sagt: "Die Leute hier freuen sich auf die Feierlichkeiten, aber es ist nicht nur Freude da." Der kommunale Haushalt sei defizitär. Die Wittenberger haben viel Geld fließen sehen in historische Bausubstanz - andere Vorhaben würden seit Jahren geschoben. Wie viele Wittenberger nun tatsächlich mitmachen, ist noch nicht abzusehen.

Die Veranstalter werden nicht müde zu betonen, dass sie mit allen feiern. "Die Taufe ist keinerlei Voraussetzung", sagt der Sprecher des Vereins Reformationsjubiläum 2017, Christoph Vetter. Und auch Wittenbergs Stadtoberhaupt Zugehör setzt auf die Weltoffenheit der rund 45.000 Einwohner. "Viele Bürger werden aus Neugier dort hinkommen, an einen besonderen Ort mit einer besonderen Begegnung, mit einer ganz besonderen Nacht unter freiem Himmel", sagt er. In der Nacht vor dem Gottesdienst können Einheimische und Zugereiste unter freiem Himmel auf dem 19 Fußballfelder großen Gelände übernachten.

Improvisation gefragt

Die romantische Vorstellung, die Reformation dort zu feiern, wo sie einst ihren Ausgang nahm, fordert den Verantwortlichen einiges ab. "Wir haben hier kein erprobtes Festgelände wie vor zwei Jahren auf dem Cannstatter Wasen - es wird eher Wacken-mäßig", sagt Reformationssprecher Vetter. Will sagen: Es gibt nur eine Wiese. Strom, Datenleitungen, Essen, Trinken, Toiletten müssen erst hergebracht werden. Die Bundeswehr soll eine Pontonbrücke über die Elbe errichten, um die Besucher aus der Stadt auf die Wiese zu bringen.

100.000 Menschen werden voraussichtlich mit Bussen und Autos kommen, ebenso viele reisen mit Zügen in die Kleinstadt. Dafür schmeißt die Deutsche Bahn an dem Tag die regulären Fahrpläne um: Im Zehn-Minuten-Takt wird Wittenberg etwa von Berlin-Südkreuz aus angefahren. Besonders im Blick sind auch Sicherheitsfragen - am Konzept wird aber noch gefeilt.


Schlossstraße mit Schlosskirche in Wittenberg / © Martin Jehnichen (KNA)
Schlossstraße mit Schlosskirche in Wittenberg / © Martin Jehnichen ( KNA )

Wittenberger Schlosskirche / © Hendrik Schmidt (dpa)
Wittenberger Schlosskirche / © Hendrik Schmidt ( dpa )
Quelle:
dpa