Kirchenrechtler erläutert neue Vatikan-Norm gegen Missbrauch

Präzisierung und Anpassung

Papst Franziskus hat die Vorschriften zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt in der Kirche erneuert. Dabei handelt es sich weniger um eine Verschärfung, sondern mehr um eine Anpassung geltenden Rechts. Ein Gastbeitrag von Georg Bier.

Autor/in:
Georg Bier
Kodex des kanonischen Rechts / © Julia Steinbrecht (KNA)
Kodex des kanonischen Rechts / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Am vergangenen Samstag hat Papst Franziskus Spezialnormen zum Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Kirche vorgelegt. Es handelt sich um die revidierte Fassung von Bestimmungen, die der Papst im Mai 2019 im Rahmen des Motu Proprio "Vos estis lux mundi" (Ihr seid das Licht der Welt) erlassen hatte.

In ersten Einschätzungen und Kommentierungen war von einer "Verschärfung" bisher geltender Vorschriften die Rede. Tatsächlich sind die bestehenden Normen vor allem präzisiert, in einem Punkt ergänzt und an das geltende Recht angepasst worden.

Prof. Dr. Georg Bier / © Conny Ehm (privat)
Prof. Dr. Georg Bier / © Conny Ehm ( privat )

Im Vordergrund der Regelungen von "Vos estis lux mundi" stehen nicht die Strafbarkeit und die die Bestrafung sexualisierter Gewalt. Diese Punkte sind durch das seit Dezember 2021 revidierte kirchliche Strafrecht (nicht in jeder Hinsicht zufriedenstellend und gelungen, aber weitgehend hinreichend) geregelt.

Vielmehr verfolgt der Papst mit dem Motu Proprio erklärtermaßen die Absicht, "Verfahrensweisen" einzuführen, um einschlägigen Straftaten "vorzubeugen und entgegenzuwirken". Die Normen von "Vos estis lux mundi" verpflichten alle Kleriker und die Angehörige von kanonischen Lebensverbänden, einschlägige Fälle den zuständigen Oberen zu melden, sie verpflichteten die Bischöfe, in ihren Diözesen Anlaufstellen für solche Meldungen einzurichten und diese an den Apostolischen Stuhl weiterzuleiten, sie verbieten, den meldenden Personen, mutmaßlichen Opfern oder Zeugen Schweigeverpflichtungen aufzuerlegen.

Zuständige Autoritäten, die diesen mit ihrem Amt verbundenen Pflichten nicht nachkommen, begehen eine strafbare Amtspflichtverletzung. Geregelt wird durch "Vos estis lux mundi" außerdem der Umgang mit Meldungen, in denen ein Kardinal, ein Bischof oder ein anderer kirchlicher Oberer als Täter angezeigt wird.

Revision nach Ablauf der Probezeit

Die jetzt erfolgte Revision der Normen des Motu Proprio war geboten, weil sie im Mai 2019 nur für eine dreijährige

Umgang mit Missbrauch: "Vos estis lux mundi"

Der veröffentlichte Erlass "Vos estis lux mundi" (Ihr seid das Licht der Welt) soll für einheitliche Verfahren sorgen. Die Einzelheiten:

Meldestellen: Jede Diözese muss bis Juni 2020 eine oder mehrere "leicht zugängliche" Meldestellen einrichten, denen Verdachtsfälle angezeigt werden können. 

Meldepflicht: Priester und Ordensleute sind künftig verpflichtet, Informationen über Verdachtsfälle vollständig und "unverzüglich" bei den zuständigen kirchlichen Stellen anzuzeigen. 

 (dpa)

"Probezeit" erlassen worden waren. Für die aktualisierte Fassung wurden die Erfahrungen der vergangenen Jahre ausgewertet. Eingeflossen sind außerdem Rückmeldungen von Bischofskonferenzen und Dikasterien der Römischen Kurie.

Die neugefassten Bestimmungen betreffen nicht mehr nur Kleriker, sondern auch einen – allerdings überschaubaren – Kreis von Laien, nämlich jene, die einer vom Apostolischen Stuhl anerkannten oder von ihm errichteten internationalen kirchlichen Vereinigung vorstehen.

Auch sie sind künftig von Rechts wegen verpflichtet, dem Apostolischen Stuhl Meldung zu erstatten, wenn innerhalb der Vereinigung Sexualstraftaten begangen werden, und sie verletzen ihre Amtspflichten, wenn sie die Meldung unterlassen. Werden sie selbst zu Sexualstraftätern, erstreckt sich die durch "Vos estis lux mundi" festgelegte Meldepflicht jetzt auch auf sie.

Präzisierung in einzelnen Punkten

Neben dieser Erweiterung hat Papst Franziskus die Revision der Normen vor allem genutzt, um sie in einzelnen Punkten zu präzisieren. So ist beispielsweise klargestellt, dass die Meldepflicht an den Apostolischen Stuhl selbst dann besteht, wenn der zuständige Ordinarius eine Anzeige für offensichtlich unbegründet hält – in der Vergangenheit hatten sich einzelne Bischöfe in diesen Fällen für nicht verpflichtet gehalten.

Präzise geregelt ist nun auch, welcher Bischof im Fall konkurrierender Zuständigkeiten für die Meldung an den Apostolischen Stuhl verantwortlich ist. Außerdem sind die revidierten Normen an inzwischen erfolgte Änderungen des kirchlichen Rechts angepasst worden, z. B. an das im Dezember 2021 neugefasste kirchliche Strafrecht. Im Übrigen ergeben sich keine gravierenden Veränderungen gegenüber der bisherigen Rechtslage. Präzisierungen und Anpassungen tragen aber dazu bei, der unveränderten Zielsetzung des Motu Proprio noch besser gerecht zu werden: Sexualstraftaten zu vermeiden und gegebenenfalls angemessen verfolgen zu können.

Zum Autor: Georg Bier ist Professor für Kirchenrecht an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

Quelle:
DR