Polnischer Ordensmann prangert Umgang mit Missbrauchsfall an

Kirchenprozess dauerte 17 Jahre

Kirchenvertreter aus 20 Ländern haben sich in Warschau zu einer Kinderschutzkonferenz versammelt. Ein Franziskaner listet Fehler der Kirche auf - nachdem er als Jugendlicher selbst von einem Geistlichen missbraucht wurde.

Autor/in:
Oliver Hinz
Symbolbild Holzkreuz und Handschellen / © NoonVirachada (shutterstock)
Symbolbild Holzkreuz und Handschellen / © NoonVirachada ( shutterstock )

"Es geschah im Winter 1993, ein paar Wochen nach meinem 17. Geburtstag", erzählt der Franziskaner Tarsycjusz Krasucki. Bei der Aufnahme in ein katholisches Erziehungsheim in der westpolnischen Hafenstadt Stettin (Szczecin) habe ihm der Direktor befohlen, sich für eine angeblich notwendige Hygienekontrolle nackt auszuziehen. An einem späteren Abend habe ihn der Direktor, ein Priester, zu einem Gespräch gerufen und sexuell missbraucht. "Alles geschah in einer Atmosphäre der Erpressung."

Krasucki sagt das vor Dutzenden Bischöfen und anderen Vertretern der katholischen Kirche. Bei einer internationalen Kinderschutzkonferenz in Warschau soll er im Rahmen einer Gebetsstunde am Sonntagabend darüber sprechen, was er durchgemacht hat. "Ich bin hier, um ein Zeugnis abzulegen", sagt der Ordensmann und fügt hinzu, dass er nicht gern Zeuge sei. Dann schildert er, wie die Kirche in seinem Fall fast völlig versagt habe.

Urteil kam nach 17 Jahren

2004 begann die Kirche laut seinen Worten einen Strafprozess gegen den Direktor. Aber nach seiner Aussage als Zeuge habe er keinerlei Informationen mehr über das Verfahren erhalten, obwohl er nachgefragt habe. Es habe "völlige Stille" geherrscht.

Erst vor gut sechs Monaten, also 17 Jahre später, habe das Kirchengericht das Urteil über den angeklagten Geistlichen gesprochen, "aber nicht öffentlich gemacht". Er kritisiert: "Also hat die Kirche bisher immer noch nicht offiziell mein Leid und die Schuld meines Peinigers anerkannt." Keiner der drei in diesen Jahren amtierenden Stettiner Erzbischöfe habe jemals mit ihm sprechen wollen.

Änderungen gefordert

Die Einladung zu der Konferenz wertet der Franziskaner als "inoffizielle Anerkennung meines Leids". Aber könne die Kirche immer noch nicht "klar und öffentlich sagen, welches Urteil im längsten kanonischen Prozess gefallen ist? Wenn man in so einer Angelegenheit nicht in der Lage ist, offiziell die Wahrheit anzuerkennen und zu sagen, wie können wir dann glaubhaft Jesus verkünden?"

In der Kirche habe sich schon einiges geändert, räumt Krasucki ein. Doch die Geschädigten stünden "nur verbal an erster Stelle, aber nicht wirklich". Zu seinen konkreten Wünschen zählt, dass Betroffene den Status von Verfahrensbeteiligten bekommen und nicht mehr nur als Zeugen vernommen würden. Ihnen gebühre "große Fürsorge und Respekt".

Tendenz zu Vertuschung und Verharmlosung

Drastische Worte wählt bei der Konferenz auch der tschechische Theologe und Soziologe Tomas Halik: "Das Phänomen Missbrauch spielt heute eine ähnliche Rolle wie einst im späten Mittelalter das Phänomen der Skandale in Zusammenhang mit dem Ablasshandel, die die Reformation beschleunigten." Daher brauche die Kirche eine grundlegende Reform.

In postkommunistischen Ländern, so Halik, habe die Kirche eine Tendenz zu Vertuschung und Verharmlosung von sexuellem, psychologischem und spirituellem Missbrauch. Die Hauptsachen hierfür seien Klerikalismus, Triumphalismus sowie Missbrauch von Macht und Autorität.

Prävention und Aufklärungsmaßnahmen

Der Vorsitzende der Polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Stanislaw Gadecki, räumt Fehler der Kirche ein. "Man muss ehrlich gestehen, dass wir in vielerlei Hinsicht nachlässig gegenüber verwundeten Menschen in der Kirche gewesen sind", so der Posener Erzbischof.

Zugleich betont er, dass Polens Bischöfe 2013 einen Koordinator für den Schutz von Kindern und Jugendlichen berufen und ein Jahr später ein Kinderschutzzentrum gegründet hätten. Jede Diözese und Ordensgemeinschaft habe Ansprechpartner für Geschädigte. Eine kirchliche Stiftung fördere seit zwei Jahren Präventions- und Aufklärungsmaßnahmen und helfe Missbrauchsopfern.

Zahlreiche Teilnehmer bei der Kinderschutzkommission

Auf Einladung der Päpstlichen Kinderschutzkommission nehmen an der bis Mittwoch dauernden Konferenz etwa 80 Bischöfe, Ordensleute, Laien sowie Betroffene sexualisierter Gewalt teil. Die Veranstaltung mit dem Titel "Unser gemeinsamer Auftrag, Gottes Kinder zu schützen" soll dem Austausch von Erfahrungen und bewährten Praktiken zur Prävention sexuellen Missbrauchs dienen.

Teilnehmer kommen aus Polen, Albanien, Kroatien, Slowenien, Ungarn, Rumänien, der Republik Moldau, Bulgarien, Tschechien, der Slowakei, der Ukraine, Russland, Estland, Lettland, Litauen, Belarus, Serbien, Montenegro, Nordmazedonien und dem Kosovo.

Die Kirche in Polen zieht bei dem Thema Kinderschutz derweil nicht an einem Strang. Abzulesen ist das auch an den katholischen Medien im Land. Während einige ausführlich über die Warschauer Konferenz berichten, nimmt der rechtskonservative Sender Radio Maryja von ihr bislang so gut wie keine Notiz. Der Vatikan macht allerdings Druck. Das Internetportal "Vatican News" begleitet die Konferenz ausführlich - und zwar in vielen Sprachen.


Symbolbild Missbrauch / © Harald Oppitz (KNA)
Symbolbild Missbrauch / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA
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