Kirchenhistoriker blickt auf 250 Jahre Jesuitenverbot

Geistlicher Absolutismus?

Am 21. Juli 1773 hat der Papst den Jesuitenorden verboten. Heute ist der Papst selbst ein Jesuit. Wie wurde aus einer geächteten Gemeinschaft der mächtigste Männerorden der katholischen Kirche? Klaus Unterburger erklärt.

Grabkapelle der Jesuiten in Rom / © Severina Bartonitschek (KNA)
Grabkapelle der Jesuiten in Rom / © Severina Bartonitschek ( KNA )

DOMRADIO.DE: Das Verbot vor 250 Jahren hatte viel mit den Kolonien in Südamerika zu tun, wo die Jesuiten viel Macht besaßen. Man hatte den Eindruck, es ist eine undurchsichtige Organisation, geprägt von Intrigen und Klüngelei. Was ist da dran?

Prof. Dr. Klaus Unterburger (privat)
Prof. Dr. Klaus Unterburger / ( privat )

Prof. Klaus Unterburger (Lehrstuhl für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Kirchenhistoriker und Kirchenhistorikerinnen im deutschen Sprachraum): Ja, es gab eine lange Propaganda gegen den Jesuitenorden und eine lange Tradition des innerkatholischen Anti-Jesuitismus, der in der Aufklärung noch mal verstärkt wurde. Und man hat da schon bestimmte Aspekte kritisch gesehen, die sich ein Stück weit wiederholen. Trotzdem neigte die Öffentlichkeit damals dazu, Jesuiten auch hinter Dingen zu sehen, hinter denen sie gar nicht standen – letztlich also zu Verschwörungstheorien.

Es gab viele unberechtigte und erdachte Vorurteile im Zuge dieses Anti-Jesuitismus. Im Kern ging es darum, dass die meisten Jesuiten Anhänger des päpstlichen Kirchenrechts gewesen sind, dass die Kirche ihre Gerichtsbarkeit und Steuern selbstständig verwaltet. Das widersprach völlig der aufgeklärten Denkweise und den  aufgeklärten Staaten, die ein Gewaltmonopol in ihrem Territorium wollten und keinen “Staat im Staat”. 

Die Jesuiten galten mit ihrem Einfluss im Bildungswesen als rückständig und als feindlich den aufgeklärten Staaten gegenüber und standen dann auch kritisch zu deren Maßnahmen. Das hat so eine Stimmung erzeugt, dass in Portugal, in Frankreich, in Spanien und anderen Ländern nach und nach die anti-jesuitische Meinung in der Öffentlichkeit die Oberhand gewann und der Orden dort verboten wurde.

Generalversammlung der Jesuiten in der Kirche Il Gesu im Jahr 2016 in Rom / © Paolo Galosi/Romano Siciliani (KNA)
Generalversammlung der Jesuiten in der Kirche Il Gesu im Jahr 2016 in Rom / © Paolo Galosi/Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Das genau entgegengesetzt zu dem, was wir heute über die Jesuiten denken. Sie engagieren sich stark in der Bildungsarbeit, gelten als eher liberaler Orden. Wieso hat sich dieser Eindruck der politischen Ausrichtung um 180 Grad gedreht?

Unterburger: Es gibt natürlich auch Konstanten in dieser Entwicklung, etwa hatten die Jesuiten damals eine unheimlich starke Stellung im katholischen Bildungswesen, im gymnasialen und universitären Bereich. Aber dieser Orden war von Beginn an sehr stark auf Effektivität ausgerichtet, damit der Ordensgeneral strategisch planen kann und die bestmögliche Information und Beratung bekommt, und entscheiden kann. Das ist eine sehr moderne Form von Orden, auch für die damalige Zeit, genauso wie deren modernes Bildungssystem, das sehr systematisch aufgebaut war. Aber das ist gleichzeitig stark an eine beinahe militärische Effektivität angelehnt gewesen.

Der Bildungskanon, den die Jesuiten vermittelt haben, ist im Laufe des 16. Jahrhunderts festgelegt worden, und war damals schon sehr modern. Er geriet in der Frühaufklärung und der Aufklärung aber immer mehr in die Kritik, weil er moderne Wissenschaften zu wenig berücksichtigte, es zu viel um Auswendiglernen und Latein ging und so weiter. Da gab es viele Kritikpunkte, und das, was anfangs auf der Höhe der Zeit war, galt mit der Zeit als rückständig.

Die Jesuiten galten dadurch als Anwälte des Papstes oder Legionen des Papstes. Dann gab es da noch einen Streit in den französischen Kolonien, in Martinique. Da ging ein Jesuit als Zucker-Unternehmer pleite. Es stand die Frage im Raum, ob der gesamte Orden in Frankreich dafür haften soll. Die Gegner der Jesuiten argumentierten jetzt: Wenn die dem Oberen gehorsam sind, dann ist nicht der Einzelne verantwortlich, sondern dann kann ich die ganzen Jesuiten dafür zahlen lassen.

Das ist eine Denkweise, die heute in gewisser Weise – natürlich in einem anderen Kontext - in der Missbrauchskrise ähnlich vorkommt: Muss vielleicht ein Bischof oder die Kirche jetzt bezahlen, wenn der Missbrauchstäter, der Priester, stirbt, weil er der Arbeitgeber gewesen ist?

Gerade weil dieser Orden in der Sichtweise der Aufklärer so hierarchisch durchorganisiert gewesen ist, sollte der gesamte Orden haften. Das galt sozusagen als geistlicher Absolutismus. Dem Individuum und der Freiheit des Einzelnen wurde damit wenig Platz einräumt. Daran hat man später Anstoß genommen.

Auch als der Orden im 19. Jahrhundert wieder errichtet wurde, waren die Jesuiten zunächst mal eine Speerspitze der Restauration und des Papsttums gewesen. Es gab natürlich Ausnahmen, einzelne Jesuiten, die davon abgewichen sind.

Das hat sich dann erst im 20. Jahrhundert etwa im Kreis um die "Stimmen der Zeit" in München, vor allem aber in der Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils gewandelt. Die Jesuiten waren sehr gebildet, kannten sich mit Strömungen der Zeit aus. Und dann gab es auch so bedeutende Menschen wie Karl Rahner, die berechtigte Reformenanliegen gesehen haben. Da hat sich die Mehrheitsmeinung des Ordens vom konservativen ins liberale Lager ein Stück weit verschoben - ohne dass das immer für alle Jesuiten und für alle Gegenden der Welt zutrifft.

DOMRADIO.DE: Zu den Regeln der Jesuiten gehört auch, dass man keine Ämter anstreben soll. Ein Jesuit als Bischof ist eigentlich nicht gedacht. Trotzdem gibt es sie. Gerade im Vatikan sehen wir auch, dass die Jesuiten inzwischen eine starke Macht vertreten. Seit 2013 haben wir sogar einen Jesuiten als Papst. Ist das im Rahmen dieser politischen Neuausrichtung eine Regel, die nicht mehr so ernst genommen wurde?

Papst Franziskus winkt bei seiner Ankunft zum Angelus-Mittagsgebet am 2. Juli 2023 aus dem Fenster mit Blick auf den Petersplatz im Vatikan. / © Alessandra Tarantino/AP (dpa)
Papst Franziskus winkt bei seiner Ankunft zum Angelus-Mittagsgebet am 2. Juli 2023 aus dem Fenster mit Blick auf den Petersplatz im Vatikan. / © Alessandra Tarantino/AP ( dpa )

Unterburger: Ja, das wandelt sich natürlich. Es ist schon immer ein spirituelles Ideal  gewesen – auch vorheriger Ordensgemeinschaften - der Bettelorden im Mittelalter, der Franziskaner, der Dominikaner, dass die Ordensmänner kein Bischofsamt anstreben sollten. Sie haben das zum Teil auch nur widerstrebend getan, Albertus Magnus kurzzeitig in Regensburg etwa. Das ist ein Ideal, das immer wieder gebrochen wurde. Trotzdem besteht es als Ideal weiterhin, würde ich sagen.

Auch unter dem Papst Pius XII., waren zwar die Jesuiten nicht Papst, aber wir wissen heute durch verschiedene archivgestützte neuere Forschungsarbeiten, wie abhängig der Papst von jesuitischen Ratgebern gewesen ist, was seine Meinungsbildung in Fragen der Bibelexegese, der Moraltheologie, der Dogmatik und so weiter betrifft. Man kann sagen, der Papst hat mithilfe der Jesuiten in den 1940er und 50er Jahren regiert. Manche würden sogar noch weiter gehen und sagen, die Jesuiten haben mithilfe des Papstes die Kirche regiert.

Das nahm dann allmählich ab, vor allem später unter Johannes Paul II., der einen neokonservativen Kurs eingeschlagen hat. Für ihn ist der Jesuitenorden zu liberal oder zu progressiv, fortschrittsorientiert gewesen.  Er hat dann andere Gemeinschaften gefördert, die ein Stück weit in die Fußstapfen der alten Jesuiten treten sollten, zum Beispiel das Opus Dei oder die Legionäre Christi. Und jetzt haben wir eben einen Papst, wo die Jesuiten wieder mehr zum Zuge kommen.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Jesuiten - Eine Chronologie

1521: Bei einer Belagerung von Pamplona wird der junge baskische Landadlige Inigo Lopez de Onaz de Loyola (Ignatius, 1491-1556) schwer verletzt; seine Militärkarriere ist dahin. Fortan will er Heiliger statt Ritter werden.

1534: Ignatius legt mit Francisco de Xavier (Franz Xaver, 1506-1552) und weiteren Gefährten auf dem Pariser Montmartre geistliche Gelübde ab - die Geburtsstunde der Jesuiten. Die Ziele: geistliche Erneuerung durch Christus-Beziehung und Gehorsam gegenüber dem Papst.

Ignatius von Loyola / © Maria Irl (KNA)
Ignatius von Loyola / © Maria Irl ( KNA )
Quelle:
DR