Kirchen uneinig über politische Krise in der Ukraine

Getrennte Friedensappelle

Keine Gewalt - das fordern alle Kirchenvertreter in der Ukraine. Allerdings beziehen sie sehr unterschiedliche Positionen in der Frage, ob sich die Ukraine Europa annähern sollte oder lieber auf engem Kurs mit Russland bleiben sollte.

Die Brüder Klitschko in der Opposition / © Anatoly Maltsev (dpa)
Die Brüder Klitschko in der Opposition / © Anatoly Maltsev ( dpa )

Mit Friedensgebeten und Aufrufen zum Gewaltverzicht reagieren die Kirchen in der Ukraine auf die politische Krise im Land. Allerdings sind die Kirchen nicht mehr so einig wie bis zum überraschenden Nein der Regierung zu einem lang vorbereiteten Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit der EU. Noch Ende September hatten Spitzenvertreter von zehn großen Glaubensgemeinschaften in einer gemeinsamen Erklärung für eine "europäische Integration" der Ex-Sowjetrepublik geworben und sich indirekt für das weitreichende Abkommen mit der EU ausgesprochen.

Die Ukraine, so damals die Botschaft der Religionsvertreter, solle "ein unabhängiger Staat im Kreise der freien europäischen Völker" werden. Durch diese Wahl wende sich die Ukraine nicht von ihrem "historischen Nachbarn Russland" ab. "Wir hoffen, dass das russische Volk und der russische Staat das Recht der Ukraine als eines unabhängigen Staates anerkennen und respektieren werden, ihren eigenen Weg in die Zukunft zu wählen - genauso wie die Ukraine die Unabhängigkeit und die Souveränität der Russischen Föderation anerkennt und respektiert."

Protest von Ordensmänner

In der dem Moskauer Patriarchat unterstehenden ukrainisch-orthodoxen Kirche war die Unterschrift des Kiewer Metropoliten Volodymyr umgehend auf Kritik gestoßen. Rund 200 Ordensmänner aus dem östliche Bezirk Donezk protestierten, das Abkommen werde zu einer "militanten Interessenvertretung der sexuellen Perversion und des Missbrauchs von Kindern" führen. Volodymyr vertrete in dieser Frage nicht die Position der Kirche, sondern seine private.

Nun gehen die Kirchen nur noch mit getrennten Friedensappellen an die Öffentlichkeit. Inzwischen tritt die regierungsnahe Kirche des Moskauer Patriarchats nicht mehr für einer EU-Integration ein. Sie kritisierte nicht einmal den brutalen Polizeieinsatz gegen friedliche Demonstranten in der Nacht von Freitag auf Samstag in Kiew. Die katholische und die mit Rom verbundene griechisch-katholische Kirche verurteilten hingegen das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte.

Zuflucht in der Michaelskirche

Die vom Kiewer Patriarchen Filaret geführte zweite große orthodoxe Kirche des Landes, zu der sich rund 15 Millionen Ukrainer bekennen, bot den Demonstranten Zuflucht in der Michaelskirche unweit des Kundgebungsplatzes Maidan Nesaleschnosti. Auch die griechisch-katholische Kirche (rund 5 Millionen Mitglieder) und die römisch-katholische Kirche (mehr als eine Million Gläubige) öffneten in der Hauptstadt rund um die Uhr ihre Türen für die Regierungsgegner.

 Kardinal Lubomyr Husar warf Staatspräsident Viktor Janukowitsch, der am Dienstag ein Misstrauensvotum im Parlament überstand, vor, die Bürger "an der Nase herumgeführt" zu haben. Zugleich stellte er sich hinter die proeuropäischen Demonstrationen und nannte sie die "wahre Ukraine". Anders als bei der "Orangenen Revolution" 2004 traten allerdings dieses Mal bislang keine Kirchenführer bei den Kundgebungen der Regierungsgegner auf. Die Religionsführer fordern bisher auch nicht den Rücktritt des Präsidenten.

(Oliver Hinz, kna)