Kirche, Union und der Wahlkampf

Neue Spannungen um Migrationspolitik

Nach kirchlicher Kritik am Kurs der Union verschärft sich das Verhältnis zwischen CDU/CSU, dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken und der Deutschen Bischofskonferenz. Welche Rolle spielen christliche Werte im Wahlkampf?

Autor/in:
Moritz Dege
Ein Aufkleber, der den Kanzlerkandidaten der Union, Friedrich Merz, in einem Kampfjet zeigt / © Christoph Soeder (dpa)
Ein Aufkleber, der den Kanzlerkandidaten der Union, Friedrich Merz, in einem Kampfjet zeigt / © Christoph Soeder ( dpa )

Die Bundestagswahl 2025 rückt näher und Migration wird zum bestimmenden Thema. Doch nicht nur zwischen den Parteien, sondern auch zwischen der CDU und den Kirchen eskaliert der Konflikt. Nachdem die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) den verschärften Migrationskurs der Union kritisiert hatten, hagelte es Widerspruch aus den Reihen der CDU. Ein besonders deutliches Zeichen setzte Ex-Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer: Sie verließ aus Protest gegen die Kritik der katholischen Laienorganisation das ZdK.

"Die Union überschreitet Grenzen der politischen Kultur", hatte ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp zuvor in einer Stellungnahme erklärt. Die Kirchen warnten zudem vor einer Zusammenarbeit der Union mit der AfD im Bundestag – ein indirekter Seitenhieb gegen CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, dessen Asylgesetz nur mit Stimmen der AfD eine Mehrheit erhielt.

Irme Stetter-Karp / © Peter Kneffel (dpa)
Irme Stetter-Karp / © Peter Kneffel ( dpa )

CDU-Politikerin Annette Schavan, frühere Bundesbildungsministerin und langjährige ZdK-Mitglied, mahnte jedoch zur Besonnenheit. "Die Kirchen und die Union haben sich schon des Öfteren aneinander gerieben", sagte sie gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur. Unterschiedliche Perspektiven seien in einem demokratischen Diskurs normal, doch beide Seiten sollten das Interesse aneinander nicht verlieren.

Christliche Werte im Wahlkampf – ein Spannungsfeld

Die Auseinandersetzung wirft eine grundlegende Frage auf: Welche Rolle spielen christliche Werte in diesem Wahlkampf? Matthias Drobinski, Journalist und Chefredakteur des "Publik-Forum", sieht hier einen Wandel: "Die klassische Verbindung zwischen CDU und Kirche, die einst ein Markenkern der Union war, verliert an Bedeutung", sagte Drobinski im DOMRADIO.DE-Gespräch. "Während früher ethische Themen wie Lebensschutz oder Familienpolitik für Konflikte zwischen Kirche und Politik sorgten, steht heute vor allem die Migrationspolitik im Zentrum der Debatte."

Dabei seien christliche Werte aber keineswegs irrelevant geworden – ganz im Gegenteil: "Christliche Werte werden nicht überflüssig, nur weil sich die politischen Themen ändern. Gerade in Zeiten gesellschaftlicher Spaltung könnten sie Orientierung bieten – wenn sie nicht nur als Feigenblatt benutzt werden", betonte Drobinski weiter.

Ursula Nothelle-Wildfeuer / © Flo Huber (privat)
Ursula Nothelle-Wildfeuer / © Flo Huber ( privat )

Für die Theologin Prof. Dr. Ursula Nothelle-Wildfeuer, Lehrstuhlinhaberin für Christliche Gesellschaftslehre an der Universität Freiburg, ist klar: "Nächstenliebe und Menschenwürde sind keine politischen Kampfbegriffe, sondern moralische Grundpfeiler, die ernstgenommen werden müssen." Gleichzeitig warnte sie davor, sie in der politischen Debatte zu instrumentalisieren. "Ethische Werte erfordern in ihrer Anwendung oft Differenzierung und eine sorgfältige Abwägung", sagte sie gegenüber DOMRADIO.DE.

Migration: Ein Prüfstein für Kirche und Politik

Die Union steht unter Druck. Ihr harter Kurs in der Migrationspolitik soll Wähler von der AfD zurückholen – doch das birgt Risiken, nicht nur innerhalb der Partei, sondern auch im Verhältnis zu kirchlichen Akteuren. Besonders umstritten ist das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz, das den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten aussetzen und die Grenzkontrollen massiv verschärfen will.

Für das ZdK ist das Gesetz eine "Anti-Integrationskampagne". Es widerspreche nicht nur christlichen Grundsätzen, sondern auch der europäischen Rechtslage. "Die Union will eine harte Begrenzung des Zuzugs, bleibt aber menschenwürdige Kriterien schuldig", kritisierte ZdK-Präsidentin Stetter-Karp.

Drobinski wies im DOMRADIO.DE-Gespräch darauf hin, dass sich die Kirchen oft in konkreter Flüchtlingshilfe engagieren und daher eine andere Perspektive auf das Thema haben als manche politischen Akteure. "Es ist bemerkenswert, dass kirchliche Organisationen vor Ort Migranten unterstützen, während gleichzeitig in Berlin von einem Notstand gesprochen wird."

Andreas Püttmann (privat)
Andreas Püttmann / ( privat )

Auch Dr. Andreas Püttmann, Politologe und Publizist, sieht einen klaren Widerspruch: "Es befremdet, wie die Union in ihrer Rhetorik zunehmend auf populistische Töne setzt, wohl im Blick auf die AfD", sagte er gegenüber DOMRADIO.DE. Gleichzeitig sieht er die Notwendigkeit, Migration zu regulieren, jedoch in einem menschenwürdigen Rahmen. "Wir sind auf Zuwanderung angewiesen, um den Arbeitskräftemangel zu bewältigen. Begrenzung und Zurückweisungen sind nötig, müssen aber auf eine Weise geschehen, die unseren christlichen Werten entspricht", so Püttmann.

Parteipolitische Neutralität vs. moralische Verantwortung

Während die Kirchen immer wieder betonen, parteipolitisch neutral zu sein, setzen sie klare inhaltliche Positionen. Die Deutsche Bischofskonferenz hatte sich bereits 2024 mit ihrer Erklärung "Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar" gegen rechtsextreme Tendenzen ausgesprochen.

Matthias Drobinski  (KNA)
Matthias Drobinski / ( KNA )

Für Nothelle-Wildfeuer ist das eine logische Konsequenz: "Kirchen müssen ethische Orientierung bieten und können nicht schweigen, wenn Grundwerte in Gefahr sind", sagte sie. Gleichzeitig fordert sie eine differenzierte Debatte, die nicht in ein einfaches "gut gegen böse"-Schema verfällt.

Auch Drobinski warnte davor, dass eine allzu einseitige Positionierung die gesellschaftliche Spaltung vertiefen könnte. "Die Kirche sollte sich nicht als politische Akteurin verstehen, sondern als moralische Instanz, die Brücken baut."

Quelle:
DR

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