DOMRADIO.DE: Was nehmen Sie von dem Kongress "KI und Medizin. Die Herausforderung der Menschenwürde" mit?
Otmar Kloiber (Generalsekretär des Weltärztebundes): Ich bin relativ hoffnungsvoll. Das, was ich hier gehört habe, zeugt von einem sehr tiefen Verständnis dafür, was auf uns zukommt. Es zeugt auch von dem Willen, gestaltend einzugreifen, statt die künstliche Intelligenz einfach über uns hinwegrollen zu lassen.
Es geht nicht darum, KI als reine Rationalisierungstechnik zu sehen, um alles billiger oder schneller zu machen, sondern darum, ihren Einsatz so zu gestalten, dass sie zu einer besseren Medizin führt – zu einer Medizin, die nicht nur technisch besser ist, sondern auch ihr menschliches Gesicht behält. Vielleicht wird sie sogar humaner, weil wir durch KI mehr Zeit für die menschliche Interaktion gewinnen können.
DOMRADIO.DE: KI ist im öffentlichen Diskurs allgegenwärtig, aber oft kommen gerade die ethischen Fragen zu kurz. Was wünschen Sie sich vom Papst und von der katholischen Kirche in dieser Debatte?
Kloiber: Zunächst einmal muss ich sagen, dass die katholische Kirche hier eine Vorreiterrolle eingenommen hat. Papst Franziskus hat bereits 2020 den Rome Call for AI Ethics initiiert, um sich mit ethischen Fragen der künstlichen Intelligenz auseinanderzusetzen.
Wir stehen bei der KI-Entwicklung noch ganz am Anfang. Oft verstehen wir gar nicht genau, was da passiert. Deshalb müssen wir begreifen, welche Wirkungen KI haben kann. Außerdem müssen wir definieren, welche Wirkungen wir wollen und welche nicht.
Der Vatikan sollte an diesem Thema unbedingt dranbleiben. Ich freue mich, dass die Päpstliche Akademie für das Leben das auch so plant. Ich würde mir außerdem wünschen, dass auch andere Religionsgemeinschaften diese Rolle übernehmen und das Thema aus ihrer Perspektive aktiv aufgreifen.
Ich bin überzeugt, dass die großen Religionen in diesen ethischen Fragen gar nicht so weit auseinanderliegen.
DOMRADIO.DE: Es gibt Befürchtungen, dass der Einsatz von KI in der Medizin Ungleichheiten schafft. Es wird befürchtet, dass es zur Geldfrage wird, ob Menschen sich in Zukunft Arztbesuche leisten können, während andere nur noch digitale Systeme nutzen. Wie schätzen Sie das ein?
Kloiber: In den USA gibt es aktuell sogenannte Self-Care-Boxen, in die man hineingehen und sich von einer künstlichen Intelligenz untersuchen lassen kann. Im Moment sind das eher Angebote im Luxussegment.
Aber wenn man die Entwicklung der KI-gestützten Medizin betrachtet, könnte es sein, dass solche Angebote künftig zum "Low-End" der medizinischen Versorgung werden. Dann heißt es vielleicht: "Wer kein Geld für einen Arztbesuch hat, soll sich eben von einer Box untersuchen lassen."
Das darf nicht passieren. Der Einsatz von KI darf nicht dazu führen, dass kranke Menschen benachteiligt werden. Natürlich ist das ein zweischneidiges Schwert. Denn in vielen Regionen der Welt gibt es nur sehr wenige Ärztinnen und Ärzte. Dort können solche Tools eine große Hilfe sein.
Trotzdem müssen wir das Ziel beibehalten, dass alle Menschen gleichwertig medizinisch versorgt werden können.
DOMRADIO.DE: In Zukunft wird KI-gestützte Medizin wohl in allen Bereichen zunehmen – auch in Krankenhäusern, etwa durch intelligente Assistenzsysteme. Welche Rolle sehen Sie da für die Krankenhausseelsorge, die oft von den Kirchen gestellt wird?
Kloiber: Ich halte es für völlig inakzeptabel, Seelsorge durch KI zu ersetzen. Das wäre mit dem Sinn von Spiritualität schlicht unvereinbar. Unsere Hoffnung – und auch unser Ziel – ist, dass KI uns mehr Zeit verschafft für persönliche Begegnungen.
Das gilt nicht nur für die Seelsorge, sondern auch für die Beziehung zwischen Arzt und Patient oder zwischen Pflegepersonal und Patient. Wenn KI dazu beiträgt, mehr Freiraum für menschliche Interaktion zu schaffen, wäre das ein großer Gewinn. Genau das müssen wir auch politisch ermöglichen.