Kirche in Osteuropa spielt laut Theologe Missbrauch herunter

Dunkle Schatten in den eigenen Reihen sehen

Nach Einschätzung des tschechischen Theologen Tomas Halik nimmt die katholische Kirche in Osteuropa Missbrauch durch Geistliche nicht ernst genug. Er sieht eine Reihe von Gründen für die Tendenz, klerikalen Missbrauchs zu leugnen.

Symbolbild Missbrauch / © Harald Oppitz (KNA)
Symbolbild Missbrauch / © Harald Oppitz ( KNA )

"Wir müssen die teuflische Versuchung zu behaupten, die Probleme des sexuellen, psychologischen und geistlichen Missbrauchs seien Krankheiten des 'korrupten Westens', radikal zurückweisen", schreibt Halik in der aktuellen Ausgabe der in Erfurt erscheinenden Zeitschrift "Theologie der Gegenwart".

"Verführerische Selbsttäuschung über reinere Kirche des Ostens"

Kirche in Tschechien

In der Tschechischen Republik bekennt sich nur noch eine Minderheit der Bevölkerung zu einer Religionsgemeinschaft. 2018 bezeichnete sich laut Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Stem noch jeder vierte tschechische Bürger als gläubig, jeder dritte dagegen als Atheist. Zu den Gläubigen rechneten sich demnach häufiger Frauen, Personen über 45 Jahre sowie Bürger kleinerer Gemeinden.

Altstädter Ring in Prag / © dimbar76 (shutterstock)

"Es gibt eine Reihe von Gründen für die Tendenz in den postkommunistischen Ländern, das Problem des klerikalen Missbrauchs zu leugnen", so Halik. "Durch die staatliche Verfolgung der Kirche wurden der interne Zusammenhalt und die Solidarität gefördert. Die Kehrseite der Medaille war jedoch, dass man nicht bereit war, die dunklen Schatten in den eigenen Reihen zu sehen." Die Realität einer Kirche, die selbst Leid verursacht, passe nicht in das Bild einer leidenden Kirche der Märtyrer.

Die "verführerische Selbsttäuschung über eine reinere Kirche des Ostens" habe sich im postkommunistischen Europa durchgesetzt. "Nach dem Fall des Kommunismus konnten einige Christen nicht ohne den Feind leben. Der 'korrupte liberale Westen' wurde der ideale Ersatz für den alten Feind. Katholiken, die einst von den Kommunisten verfolgt wurden, begannen nun, die antiwestliche Rhetorik zu verwenden, die die Gehirnwäsche der kommunistischen Propaganda in ihrem Unterbewusstsein hinterlassen hatte", führt Halik aus. Er wurde 1978 in Erfurt heimlich zum Priester geweiht und wirkte dann in der damaligen Tschechoslowakei in der "Untergrundkirche".

"Das Konzept der 'Auserwählten' (das Bild des leidenden Messias und eines leidenden Volkes) half den Kirchen, in Zeiten der Verfolgung zu überleben; aber nach dem Fall des Kommunismus, als die traurigen Folgen von Verfolgung und Isolation deutlich wurden, wurden diese Selbstbilder zur Kompensation für den Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem Westen", analysiert Halik.

Blick auf die Kirche Polens

Mit Blick auf Polen schreibt er, die aktuelle Welle von Enthüllungen sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche habe ein "Erdbeben" ausgelöst. Der Missbrauch sei dabei nur ein Aspekt des Problems. "Wenn es der polnischen Kirche jetzt nicht gelingt, die gegenwärtige Krise als 'kairos' und als Aufruf zu tiefgreifenden Reformen zu verstehen, wenn die Kirche der polnischen Gesellschaft - und insbesondere der jungen Generation - nicht ein anderes Gesicht des Christentums zeigt, wird der Prozess der Säkularisierung in Polen noch radikaler sein als in Spanien und Irland", prophezeit Halik.

Quelle:
KNA