Kirche in Not kritisiert religiöse Verfolgung in Nicaragua

"Vor Gewalt wird nicht zurückgeschreckt"

Religionsfeindliche Handlungen, Brandstiftungen sowie Angriffe auf Priester, Ordensfrauen und Bischöfe seien laut einem Bericht in Nicaragua an der Tagesordnung. Dennoch sei die Kirche dort sehr mutig, weiß Kirche in Not.

Demonstrantin mit Nicaragua-Flagge / © Carlos Herrera (dpa)
Demonstrantin mit Nicaragua-Flagge / © Carlos Herrera ( dpa )

DOMRADIO.DE: Der Untersuchungsbericht des Hilfswerks Aid to Church in Need hat für den Zeitraum 2018 bis 2022 in Nicaragua 200 gewaltsame Übergriffe gezählt. Damit ist das Land an der Spitze der religiösen Verfolgung in Lateinamerika. Wer steckt dahinter?

Kirche in Not-Geschäftsführer Florian Ripka / © Beatrice Tomasetti (DR)
Kirche in Not-Geschäftsführer Florian Ripka / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Florian Ripka (Geschäftsführer des katholischen Hilfswerks Kirche in Not): Nicaragua wird seit 2007 von Präsident Daniel Ortega regiert, ein ehemaliges Guerilla Mitglied der Frente Sandinista Liberacion Nacional, also der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront. Ende der 1970er Jahre hatte die Welt hoffnungsvoll auf Nicaragua geblickt, als ein sozialistisches System an die Macht kam, das sehr viel Potential hatte. Aber leider muss man jetzt sagen, dass es sich in eine Art Diktatur verwandelt hat.

Denn eine Juristin, die auch an dem Untersuchungsbericht des Hilfswerks Aid to Church in Need mitgeschrieben hat, sagt, die konstitutiven Elemente eines Staates - Gewaltenteilung, Regierung und Gesetze - existiere nicht mehr. Das heißt, wir haben es da mit einer Art Diktatur zu tun, in der die Kirche nicht mitspielt, und das ist das Problem.

DOMRADIO.DE: Vor zwei Jahren gab es einen Brandanschlag auf die Kathedrale in der Hauptstadt Managua. Außerdem gibt es unter Präsident Ortega viele Repressalien, auch gegen Geistliche. Warum hat das seit 2018 denn so zugenommen?

Ripka: Im April 2018 sind in verschiedenen Teilen des Landes Proteste ausgebrochen. Das hatte erst einmal gar nichts mit der Kirche zu tun, sondern die Regierung kündigte Reformen bei der Sozialversicherung an. Diese hatten zur Folge, dass die Beiträge nach oben gegangen sind und Abzüge für Rentner einbehalten wurden. Das hat zu großen Unruhen und Protesten geführt.

Florian Ripka

"Die Bischöfe haben geeint mit einer Stimme, freundlich ausgedrückt, einen Dialog angemahnt mit der Regierung."

Alte Kathedrale von Managua / © Tricia Daniel (shutterstock)
Alte Kathedrale von Managua / © Tricia Daniel ( shutterstock )

Der Staat hat gegen die eigenen Bürger ganz hart durchgegriffen und die Kirche hat sich für diese Leute eingesetzt. Sie hat Schutzräume in den Gebäuden geöffnet, um die Leute dort aufzunehmen und zu versorgen. Die Bischöfe haben geeint mit einer Stimme, freundlich ausgedrückt, einen Dialog angemahnt mit der Regierung. Offen gesagt, die Kirche hat die Regierung kritisiert und daraufhin ging es mit den ganzen Repressalien los: rund 200 gewaltsame Übergriffe, Plünderungen, Brandstiftungen und auch gegen Geistliche wurde vorgegangen. 

DOMRADIO.DE: Was bedeutet das für die karitative Arbeit der katholischen Kirche in Nicaragua?

Ripka: Die wird natürlich geschwächt, weil die Menschen, erkennbar als Priester oder Ordensleute, jetzt so etwas wie ein Feindbild darstellen können. Das heißt, eine offene Arbeit, zum Beispiel zu den Ärmsten zu gehen, aber auch einfach nur Messen anzubieten und die karitativen Einrichtungen zu erhalten, wird zunehmend schwieriger. Man muss ja irgendwo auch mit dem Staat zusammenarbeiten, wenn man Aufgaben der Gesellschaft übernimmt. Man kann ja nicht am Staat vorbei arbeiten. Da sehe ich schon große Schwierigkeiten auf die Kirche zukommen, sei es, dass juristische oder behördliche Repressalien oder Hürden aufgebaut werden.

Florian Ripka

"Das heißt, man muss als Kirchenvertreter mutig sein, um da jetzt offen weiterzuarbeiten."

Und wir haben ja gesehen, dass vor konkreter Gewalt nicht zurückgeschreckt wird. Damals, im Jahr 2018, bei den Protesten gegen das Ortega-Regime gab es ungefähr 300 Tote und viele hundert Verletzte. Das heißt, man muss als Kirchenvertreter mutig sein, um da jetzt offen weiterzuarbeiten. Gott sei Dank, sehen wir in der Arbeit von Kirche in Not, dass die Kirche sehr mutig ist. Die Arbeit wird mit Sicherheit nicht eingestellt werden, aber sie wird angegriffen und auch auf bürokratischer Ebene erschwert werden.

DOMRADIO.DE: Hat das Vorlegen eines solchen Berichts auch irgendwelche Konsequenzen für den Staat?

Ripka: Das ist zu hoffen, weil kein Staat, vielleicht mal abgesehen von Nordkorea, möchte als Schurkenstaat dastehen. Ich denke, Dokumentation ist immer wichtig. Kirche in Not erstellt ja auch im zwei Jahresrhythmus einen weltweiten Bericht, bei dem es um die Gewährung von Religionsfreiheit geht, in den dieser Bericht aus Nicaragua mit einfließen wird. Dieser Bericht wird in Deutschland an Parlamentarier und Vertreter in Politik und Gesellschaft weitergegeben. In den anderen 23 Ländern, in denen es Kirche-in-Not-Büros gibt, wird das auch gemacht.

Florian Ripka"

"Wenn man es schafft, die Religionsfreiheit in die Wirtschafts- und Entwicklungspolitik mit einzubinden, das ist das Ziel von Kirche in Not, dann bewirken diese Berichte sehr viel."

In Bezug auf andere Länder haben wir schon positive Erfahrungen gemacht. Zum Beispiel haben wir mit Parlamentariern über Indien gesprochen, die darauf aufmerksam wurden und nach Indien gereist sind. Dort haben sie festgestellt, dass eine Kirche geschlossen wurde. Ein deutscher Parlamentarier hat den lokalen Gouverneur angesprochen, was denn da los sei. Kurz darauf ist die Kirche wieder eröffnet worden.

Das heißt, der Bericht könnte sich schon auch auf Nicaragua auswirken. Nicaragua hat wie jedes Land wirtschaftliche Beziehungen zu sehr vielen anderen Ländern, auch nach Europa und Nordamerika. Wenn man es schafft, die Religionsfreiheit in die Wirtschafts- und Entwicklungspolitik mit einzubinden, das ist das Ziel von Kirche in Not, dann bewirken diese Berichte sehr viel.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Quelle:
DR