Filmreferent der Bischofskonferenz über Kirchen bei Berlinale

"Kirche muss in einer bildbasierten Kultur mittendrin sein"

Die Präsenz der Kirchen auf der Berlinale hat eine lange Tradition. Der Filmreferent der Deutschen Bischofskonferenz, Alexander Bothe, ist in diesem Jahr Mitglied der Ökumenischen Jury. Ein Gespräch über seine Arbeit und Vorurteile.

Berlinale / © Denis Makarenko (shutterstock)

KNA: Es ist kein Jubiläum, aber eine Schnapszahl: Die katholische Kirche ist seit 66 Jahren bei der Berlinale vertreten. Woher kommt dieses Interesse, bei einem Filmfestival mitzumachen?

Alexander Bothe (Filmreferent der Deutschen Bischofskonferenz und Mitglied der Ökumenischen Jury): Ich glaube, dass Kirchen zu allen Zeiten ein großes Interesse an Bildern hatten, ja haben mussten. Das war zu Jesu Zeiten nicht anders als heute. Jesu hat seine Gleichnisse in Bilder gepackt, und auch heute werden Wirklichkeiten, Wahrheiten, die Fragen und Sehnsüchte des Lebens über Bilder erzählt. Außerdem erlebt die Gesellschaft im Moment gerade einen kulturellen Shift, von einer eher textbasierten zu einer eher bildbasierten Kultur. Da muss die Kirche mittendrin sein.

KNA: In den 1950er-Jahren waren Filmfestivals extrem wichtig. Aber welche Relevanz haben sie heute in Zeiten einer digitalen Bilderschwemme?

Bothe: Die Relevanz besteht darin, dass Menschen miteinander in einen Austausch kommen. Es ist noch immer der gleiche Erfahrungsraum, den man miteinander teilt, genau wie in den 1950er-Jahren. Man sitzt mit wildfremden Personen in einem dunklen Raum und macht Erfahrungen, die bis ins tiefste Innere reichen. Auf der anderen Seite ist es zugleich ein Resonanzraum für das, was ich durch mein Leben mitbringe. Darüber ins Gespräch zu kommen, ist bis heute tragend und substanziell.

Gerade weil wir jetzt alle streamen, weil wir mobil unterwegs sind und das Smartphone zum Begleiter in fast allen Lebenslagen geworden ist, kommen wir bei einem Filmfestival zu einem Austausch zusammen, der uns auch als Gemeinschaft spür- und erlebbar macht.

KNA: Wie gehen Sie selbst im Kino an einen Film heran? Wie finden Sie die Balance zwischen Theologie und Cinephilie?

Bothe: Als allererstes mit einer möglichst großen Offenheit. Mir ist es wichtig, dass mein Herz dafür offen ist, was ein Film erzählen möchte. Das ist die erste und wichtigste Frage. Natürlich kommt dann der reflexive Prozess hinzu, bei dem man sich fragt, ob es da eine Botschaft gibt, die über den Tellerrand hinausreicht, ob es um etwas geht, das eine Perspektive des Evangeliums aufgreift, um religiöse oder transzendente Tendenzen, um Sinnfragen, die die Gesellschaft betreffen, um grundsätzliche kritische Anfragen an unseren Lebensstil und ähnliches. Das paart sich aber immer mit dem Formalen. Es kann nicht sein, dass ein Film eine tolle Aussage hat und man gleichzeitig merkt, dass das formell überhaupt nicht passt. Das erste ist das offene Herz, und dann kommt natürlich beides zum Tragen: das Formale, das Ästhetische und das Reflexiv-Theologische.

KNA: Seit 1992 sind evangelische und katholische Kirche gemeinsam in einer Ökumenischen Jury bei der Berlinale vertreten. Werden hier in Zukunft auch noch Vertreter anderer Konfessionen oder Religionsgemeinschaften hinzukommen?

Bothe: Es ist ein großer Gewinn, sich darüber auszutauschen, was Menschen in religiösen Fragen bewegt. Die sind in unserer Zeit genauso virulent wie in allen Zeiten davor. In einer pluralen Gesellschaft müssen die Religionen und die Weltanschauungen miteinander im Gespräch sein, gerade wenn es um Filme, um Wahrheit und um Bilder geht, die von mehr erzählen, als von dem, was unser eigenes Leben gerade ausmacht. Das heißt konkret, dass wir uns sehr über die Ökumenische Jury freuen, aber auch sehr offen dafür sind, ob es Möglichkeiten gibt, das zu erweitern.

KNA: In einer Jury treffen Vertreter unterschiedlicher Gesellschaften, Kulturen und auch Filmkulturen zusammen. Wie sind Ihre Erfahrungen in der Zusammenarbeit?

Bothe: Das Schöne daran ist, dass man eine Erfahrung macht, die uns in unserer Botschaft zutiefst mitgegeben ist, dass nämlich diese Welt groß ist und dass die Fragen nach Wahrheit, nach Transzendenz oder einfach danach, dass Gott uns liebt, über alle Grenzen hinwegreichen.

Das bringt kulturelle Grenzen mit sich, nationale Grenzen und natürlich auch Sprachgrenzen. Sich darüber auszutauschen und zu verständigen, ist auch ein Urkern des Glaubens.

KNA: Inwieweit ist Ihre Arbeit auf Filmfestivals oder generell Ihre Medienarbeit auch eine Art Korrektiv zu einer immer stärker kommerziell ausgerichteten Branche?

Bothe: Wir haben über unsere Jury tatsächlich die Möglichkeit, Menschen zu erreichen, die vielleicht nicht ohne weiteres hören würden, was die christlichen Kirchen dazu sagen oder was es für religiöse oder christliche Reflexionsebenen gibt.

KNA: Sind Sie als Ökumenische Jury mit Vorurteilen konfrontiert? Nach dem Motto: Je heller das Kreuz beleuchtet ist, um so besser ist auch der Film?

Bothe: Ehrlich gesagt, ja. Das kommt schon vor, wenn auch nur vereinzelt. Manchmal gönne ich mir in Gesprächen den Scherz, und antworte auf Fragen, worauf wir in der Jury achten: "Na ja, das ist eigentlich ganz einfach, wir spielen so eine Art Dreifaltigkeitsbingo. Wenn also wirklich Gottvater erwähnt wird, dann sind das drei Punkte, wenn es der Heilige Geist ist, sogar - weil eine höhere Ebene - vier Punkte, und die Beziehung zu Jesus Christus gibt fünf Punkte. Wenn auch noch der Papst erwähnt wird, gebe ich als Katholik gleich zehn Punkte mehr!" Es erschüttert mich dann aber doch, wenn mir die Menschen das annehmen. In den allermeisten Fällen ist es aber so, dass wir ins Gespräch darüber kommen, worum es uns wirklich geht, etwa um anthropologische Fragen, die alle miteinander verbinden, aber auch um transzendente und religiöse Aspekte und den Blick auf die Gesellschaft. Da merkt man dann sehr schnell eine Wertschätzung.

Das Interview führte Wolfgang Hamdorf.


Quelle:
KNA