Heimatkirche: Was bedeutet das?

"Kirche ist manchmal eine elitäre Gemeinschaft"

Sophie Westhoff-Düppmann ist der Kirche tief verbunden. Sie lebt einen praktischen Glauben: In der Ökumene, mit einem starken Bewusstsein für Frauenrechte und kritisch gegenüber dem Klerikalismus. Sie findet: Die Kirche muss sich noch mehr verändern.

St. Vitus, Lette (DR)
St. Vitus, Lette / ( DR )

DOMRADIO.DE: Ich bin heute verabredet mit Sophie Westhoff-Düppmann. Die wartet in ihrer Heimatkirche, der Sankt-Vitus-Kirche in Lette auf mich. Lette ist ein kleines Örtchen am Rand des Münsterlandes bei Oelde. Frau Düppmann, schön, dass Sie Zeit für uns haben. Die Sankt-Vitus-Kirche ist auch ein Stück Ihre Heimatkirche?

Sophie Westhoff-Düppmann: Ja, ich bin seit 50 Jahren hier. Ich habe hier vor 50 Jahren meinen Mann geheiratet. Mit der Familie Düppmann verbindet mich sehr vieles, denn sie war hier auch prägend in dieser Kirche. Seit dem 17. Jahrhundert war diese Familie immer auch Küster und Organist. Und somit waren sie der Kirche eng verbunden. Mein Mann hat viele Jahre hier im Chor gesungen. Das war für uns wunderschön. Ein Stück Heimat. 

DOMRADIO.DE: Der Kirchenbesuch ist für Sie wichtig? 

Westhoff-Düppmann: Ganz wichtig. Das Band zur Kiche habe ich nie durchschneiden können. Es gehörte für mich immer zu meinem Leben - zu meinem sonntäglichen Leben. 

DOMRADIO.DE: Was freut Sie denn? Was macht sie stark? Was beheimatet Sie in der Kirche? 

Westhoff-Düppmann: Dass ich geborgen bin. Dass ich, wenn ich Sorgen habe, sie vor Gott tragen kann. Und dass ich auch mit Menschen darüber reden kann, was mich bedrückt. Das ist Kirche für mich. 

DOMRADIO.DE: Wenn Sie so zurückschauen auf Ihr langes Leben - wie hat Kirche sich verändert? 

Westhoff-Düppmann: Sie hat sich verändert, aber sie sollte sich noch anders verändern. Aus den alten Traditionen heraus Kirche zu leben, das ist heute zu wenig. Sie muss viel mehr auf die Fragen der Jetztzeit viel bessere Antworten finden: Die Fragen, die uns heute bewegen, die Fragen der Unwelt, die Fragen der Arbeitsplätze. 

DOMRADIO.DE: Haben Sie das Gefühl, dass die Kirche ein bisschen weit weg ist von den Menschen? 

Westhoff-Düppmann: Ja, das habe ich ganz sicher. Sie ist für mich manchmal eine sehr große, elitäre Gemeinschaft. Da hat der Einfache, zu denen ich mich auch zähle, zu wenig Zugang. Sie ist eigentlich eine Gesellschaft, die von oben herab, also wie eine undemokratische Gemeinschaft, sagt, was wir zu tun und zu lassen haben. Wir haben sehr wenig Mitspracherechte. 

DOMRADIO.DE: Das war früher so - da hat man das noch befolgt. Heute halten sich die Leute nicht mehr dran. 

Westhoff-Düppmann: Ganz sicher nicht. Heute sind wir eigentlich aufgeklärtere Menschen. Wir wissen heute selber, was uns gut tut, was wir zu tun haben und was wir zu leisten haben - auch in unserem Berufsumfeld und in unserem Leben. Da haben wir etwas zu leisten und zu tun. Und da haben wir selber Rückfragen zu stellen. Die müssen wir uns auch stellen. Und da kann die Kirche uns nicht von oben herab diktieren, was wirklich das Wichtigste ist.

DOMRADIO.DE: Was ist denn Ihrer Ansicht nach wichtig für die Kirche, um sich auf dem Weg durch die Zeit zu bewegen? 

Westhoff-Düppmann: Die Kirche müsste viel näher an den Problemen der Menschen sein. Sie müsste eigentlich begreifen, dass sie auch in ihrer Art und Weise, wie sie glaubt, selber auch wirklich sehr, sehr schlimme Missstände verursacht hat, die wir heute zu beklagen haben. Zu dem steht die Kirche heute nicht. Und das erwartet der Mensch, der ein bisschen nachdenkt. Welcher Bischof fühlt sich verantwortlich, wenn Priester Missbrauch betrieben haben? Welcher Bischof sagt dann: "Ich trete zurück, weil ich verantwortlich bin." Jeder Minister muss heute zurücktreten, wenn das in seinem Bereich passiert. Mit einer lapidaren Entschuldigung der Bischöfe ist das nicht getan. Und die Opfer, sie bleiben immer Opfer. Ein Leben lang werden sie geschlagene Leute sein. Das ist schlimm. Das ist eine großen Wunde, die die Kirche den Menschen antut. 

DOMRADIO.DE: Sie sind Mutter, Großmutter: Sie haben versucht, Ihren Kindern den Glauben beizubringen. Wie haben Sie das in den Jahren gemacht? 

Westhoff-Düppmann: Einfach. Ganz einfach, indem ich versucht habe, ganz ehrlich mit ihnen in das Leben zu gehen: Sie auf Wahrheit und auf Ehrlichkeit hin zu erziehen. Das begann schon mit dem morgendlichen Aufstehen. Wenn ich sie zur Schule geschickt habe, habe ich für sie ein Kreuzzeichen gemacht. In Gottes Namen habe ich sie in die Welt geschickt. Aber auch Tischgebet und all diese Dinge, die ich von Kindesbeinen an gelernt habe, gehörten zu unserem alltäglichen Leben. Die Kinder wuchsen da ganz normal drin auf. 

DOMRADIO.DE: Die Frau als Seelsorgerin zu Hause. In der Kirche funktioniert das nicht. Müsste sich Kirche da vielleicht auch bewegen? Viele fordern das ja. 

Westhoff-Düppmann: Ich auch. Ich fordere das auch. Ich finde, die Kirche muss begreifen, dass wir Frauen es sind, die die Kirche füllen, nicht die Männer. Wenn ich mir vorstelle, wer die Kinder zum Glauben erzieht: Das sind die Mütter. Mein Mann hat nicht mit den Kindern das Gegrüßet-Seist-Du-Maria oder das das Vaterunser gebetet. Mein Mann war ein frommer Mann, aber das überließ er mir: Kinder zum Beichtunterricht und zum Kommunionunterricht hinzuführen, das war Aufgabe der Frauen, Aufgabe der Mütter. 

DOMRADIO.DE: Jetzt weiß ich, dass Sie einen evangelischen Schwiegersohn haben. Das haben Sie mir vorher erzählt. Wie ist denn das in der Ökumene? Funktioniert das in der Kirche gut? Sie erleben das ja ganz praktisch. 

Westhoff-Düppmann: In der Kirche nicht - aber in meiner Familie ja. Meine Enkelkinder wachsen also in beiden auf. Wenn sie bei der Großmutter sind, dann können sie das Gegrüßet-Seist-Du-Maria besser beten als viele katholisch getaufte Kinder. Meine Kinder können das. Das jüngste Enkelkind wird in diesem Jahr konfirmiert. Ich freue mich auch und wir nehmen auch alle an diesem Festtag teil. Wenn unsere Kinder aber hier bei mir zu Hause sind, dann gehen wird in den Sonntagsgottesdienst. Dann empfangen alle drei Enkelkinder - auch mein Schwiegersohn - das Sakrament der Kommunion. Und ich gehe zum Abendmahl in der evangelischen Kirche. 

DOMRADIO.DE: Da wird die Mahlgemeinschaft schon ganz normal praktiziert. 

Westhoff-Düppmann: Das ist ganz normal. Wir unterscheiden nicht: Das ist evangelisches Brot, das ist das katholisches Brot. Das haben wir nicht. 

DOMRADIO.DE: Wenn Sie jetzt am Ende Ihres Lebens zurückblicken und Ihren Enkelkindern noch etwas mit auf den Weg geben müssten: Was denken Sie, was ist ganz wichtig für einen Christenmenschen? 

Westhoff-Düppmann: Das Wichtigste für einen Christenmenschen ist: Sei an der Seite der Armen, sei an der Seite der Schwachen, sei an der Seite derer, die dein Dasein brauchen, sei an der Seite derer, die dein Gespräch brauchen, die vielleicht auch mal etwas von dir brauchen, was du mehr hast als sie. Und sorge dich um sie. Das wünsche ich mir, dass meine Enkelkinder eine solche Neigung haben, dass sie keine Egoisten sind, sondern dass sie wirklich alles miteinander teilen, was sie besitzen. 

DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich für sich ganz persönlich noch? 

Westhoff-Düppmann: Das ich noch ein bisschen bei meinen Kindern bleiben kann und dass der liebe Gott mich noch nicht so ganz schnell von dieser schönen Welt abruft. 

DOMRADIO.DE: Aber am Ende des Lebens glauben Sie an ein ewiges Leben? 

Westhoff-Düppmann: Das glaube ich ganz sicher. Ich habe das erfahren. Vor sechs Jahren ist mein Mann verstorben. Ich habe sehr viel Tröstung erfahren, in der katholischen, wie auch in der evangelischen Kirche. Was ich an Zuspruch bekommen habe! Ich hätte den Schmerz über den Verlust meines Mannes nicht so gut verkraftet, hätte ich diesen Zuspruch nicht gehabt. Ich glaube auch, dass wir uns im Himmel wiedersehen.

Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen.


Sophie Westhoff-Düppmann (DR)
Sophie Westhoff-Düppmann / ( DR )
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