Kirche im Wendland mahnt Bevölkerung bei Endlagersuche mitzunehmen

Hinter verschlossenen Türen

Kirchenvertreter in der Region Gorleben glauben nicht, dass die Suche nach einem Atommüll-Endlager in Reichweite ist angekündigt. Im domradio.de-Interview sagt Propst Stephan Wichert-von Holten: "Die Aufgabe der Politik ist es jetzt Vertrauen zu schaffen." Schnelle Einigungen hinter verschlossenen Türen machten dagegen misstrauisch.

 (DR)

domradio.de: Glauben Sie an eine Einigung?

Propst Stephan Wichert-von Holten: Es macht uns natürlich sehr stutzig, aber das ist vielleicht auch menschlich. Nach 35 Jahren Konflikt und auch natürlich sehr vielen politischen Enttäuschungen und auch erlebtem Taktieren von Politik und Parteien, kann man wirklich ganz schwer glauben, dass nur noch ein Treffen notwendig sein soll, um  ein solch großes Thema zu lösen. Vor allen Dingen ist es wieder ein Treffen hinter verschlossenen Türen, ohne Beteiligung der Bevölkerung. Es wird Stillschweigen vereinbart und wir merken, dass der alte Stil weitergeht und dabei braucht doch ein neues Endlagersuchgesetz ganz viel Ermutigung in die ganze Bevölkerung, überhaupt alternative Standorte. Damit sie nicht von vorneherein sagen, was hier passiert, dem vertrauen wir nicht.

domradio.de: Sie vertreten als evangelische Kirche auch das Anliegen der Anwohner im Wendland und kennen deren Positionen. Bundesumweltminister Norbert Röttgen wird immer wieder vorgeworfen, er habe sich auf Gorleben eigentlich schon festgelegt. Wie ernst nehmen die Bewohner von Gorleben denn die angekündigte Suche nach Alternativen?

Propst: Wenn er sich festgelegt hätte, dann tut er das auf eine sehr komische Art und Weise. Ich glaube, man kann Herrn Röttgen schon abnehmen, dass die Weitererkundung in Gorleben nach seiner Meinung dazu führen kann, Gorleben faktisch auszuschließen und das ist schon einmal eine Teilanerkennung dessen, was mittlerweile glaube ich "common sense" ist. Gorleben ist aus vielen, vielen Gründen nicht geeignet. Wir als Kirche sagen, auch die EKD sagt ganz deutlich, das Vertrauen hier ist vor allen so zerstört, dass ein vernünftiges  Betreiben eines Endlagers in Gorleben keine Zukunft haben kann. Was nicht bedeutet, dass in Gorleben weiter eine Atomanlage stehen wird, denn die über 100 Castoren müssen ja hier erst einmal lagern, das dauert mindestens noch einmal 40 bis 180 Jahre, sie müssen umgepackt werden und dann kommen die Inhalte erst in ein Endlager, das dann wer weiß wo ist. Trotzdem, wir müssen ganz genau hinschauen, soll Gorleben Referenzstandort werden oder nicht. Ich glaube, und wir als Kirche glauben, dass das nicht gut ist. Jeder Standort bringt seine Örtlichkeiten, seine Bedingungen mit und man muss ganz genau gucken, nicht an einem gemessen, sondern insgesamt, was schwimmt in der Suppe und was sind wirklich die Kriterien, die am besten für ein Endlager den Standort bestimmen können.

domradio.de: Als Norbert Röttgen das Umweltministerium übernahm, hat er lange ein Gespräch mit dem evangelischen Bischof der Landeskirche vor Ort verweigert. Sind die beiden denn inzwischen in den Dialog getreten?

Propst Wichert-von Holten: Ich sage einmal anders herum: Im Oktober letzten Jahres waren der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Schneider, und Bischof Meister aus unserer Kirche hier. Ich sage es mal ein bisschen frech, die beiden haben vorgemacht, wie man einen Dialog mit Menschen führen kann. Sie haben sehr viel zugehört, sie sind an die unterschiedlichen Orte zu den unterschiedlichen Gestaltern oder auch Bedenkenträgern gefahren und sie haben sehr, sehr viele Fragen gestellt und sind nicht schon mit Antworten gekommen.

domradio.de: Das Ministerium unter Norbert Röttgen hat auch eine Klausel wieder aufgenommen ins Atomgesetz, dass die Enteignung von vier evangelischen Gemeinden vorsieht. Sie stehen auf dem Erkundungsgebiet in Gorleben. Ist diese Enteignung inzwischen vom Tisch?

Propst Wichert-von Holten: Sie ist nicht vom Tisch. Eine Enteignung ist nie vom Tisch. Es ist eine Gemeinwohlfrage und wir müssen in unserem Land diskutieren, was ist Gemeinwohl. Das haben wir sehr, sehr lange versäumt. Wir haben in unserer Demokratie immer mehr eine Interessenvertretung, keine Gemeinwohlvertretung mehr. Insofern ist dieses Gesetz eine sehr spannende Sache und die Gemeinde Gatow, die Wald besitzt, klagt auch vor dem Gericht genau diese Fragestellung ein, unter welchen Bedingungen würdet ihr unseren Wald enteignen, um eine Atomanlage in Betrieb zu nehmen.

domradio.de:  Wie muss es jetzt aus Ihrer Sicht weitergehen?

Propst Wichert-von Holten: Ich hoffe sehr, dass die Politik die Chance ergreift, aus der Endlagerfrage eine gesellschaftliche Frage zu machen, denn sie ist an politischen Tischen und unter politischen Parteien im Konsens nicht zu lösen. Nur weil man eine gewählte Partei oder eine Bundesregierung ist, die  immer nur für eine begrenzte Zeit Bestand hat, vertrauen die Menschen nicht ihre Heimat, ihr Stück Boden, ihren Endlagerstandort, den sie vielleicht vor der Haustür haben werden, diesen Menschen an. Wir brauchen also eine gesellschaftliche Bewegung. Da sehe ich noch einen langen Weg hin, aber ich bin sehr hoffnungsvoll. Die Aufgabe der Politik ist es jetzt Vertrauen zu schaffen, keine Schweigegebote, keine schnellen Einigungen und jetzt mittlerweile, das ganze Land und die Menschen in der Bundesrepublik mitnehmen bei dieser wichtigen Frage.

Das Interview führte Aurelia Plieschke (domradio.de)