Kinderschutzbund befürchtet steigende Kinderarmut

Ein Drittel Sorgenkinder

Es ist eine düstere Prognose: Der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, rechnet mit einem massiven Anstieg der Kinderarmut durch die Wirtschaftskrise. Im domradio sagte Hilgers, dies gelte umso mehr, da in Deutschland die meisten Kinder in den armen Stadtteilen geboren würden. Derzeit sei es ein Drittel der Kinder, "über die wir uns große Sorgen machen müssen - also rund fünf von 15 Millionen".

 (DR)

domradio: Was sind das für Kinder um die wir uns Sorgen machen müssen?
Heinz Hilgers: Wir haben bereits 2,5 Millionen Kinder, die von Hartz IV leben, das sind 211€ für die Kleinen im Monat. 1,5 Millionen Kinder leben bei Eltern, die arbeiten, jedoch nicht mehr als Harz IV verdienen. Durch die Wirtschaftskrise wird die Arbeitslosigkeit steigen, es gibt Prognosen von vier bis fünf Millionen Arbeitslosen. Ganz besonders betroffen werden davon Familien mit Kindern sein. Auch dann, wenn sie Arbeit bekommen, sind das oft Arbeitsplätze mit Billiglöhnen. Davon kann man sich alleine ernähren, aber nicht wenn man Kinder hat.

domradio: Sie sagen, das sei eine Katastrophe, auf die eigentlich alle Ökonomen aufgebracht reagieren müssten. Wie erklären Sie sich, dass das nicht der Fall ist?
Heinz Hilgers: Das hat mit der demographischen Entwicklung zu tun. Wir haben jetzt fast 15 Millionen Menschen unter 18 Jahren. Doch in 20 Jahren wird die Zahl der Kinder auf etwa 10 Millionen sinken. Und wenn dann davon eine Zahl zwischen 3.5 und fünf Millionen Kinder arm sind und von Harz IV leben, dann ist es nicht mehr ein Sechstel, sondern die Hälfte. In dieser Generation müssen die übrigen fünf Millionen jedoch die Alten finanzieren. Die Billionen Schulden, die jetzt gerade gemacht werden, müssen ebenfalls dann abgezahlt werden. Daneben soll die Generation aber auch Kinder bekommen und noch die eigene Generation unterstützen. Wie soll das denn gehen?

domradio: Da braucht man nicht viel Phantasie, um sich dieses Szenario für die Zukunft auszumalen. Warum glauben Sie, ist es trotzdem nicht so, dass es einen Aufschrei in der Gesellschaft gibt?
Hilgers: Ich glaube man denkt nur an das Heute und Jetzt. Nachhaltiges Denken, generationengerecht, ist der Politik und auch der Publizistik vielfach fremd.  

domradio: Was wäre denn in Ihren Augen die angemessene Reaktion? Was erwarten Sie von der Bundesregierung, um einen Anstieg der Kinderarmut zu vermeiden?
Hilgers: Wir haben mehrere Handlungsmöglichkeiten. Wir hätten jetzt zum Beispiel beim Konjunkturprogramm 2, nicht nur in Steine, sondern auch in Menschen investieren müssen. Nicht nur die Instandsetzung und der Unterhalt der Kindertagestätten sind wichtig und gut. Mir fehlt daran der Ansatz, dass man gerade arme Kinder so unterstützt, dass sie später eine Chance haben, Leistungsträger, statt Leistungsempfänger zu werden. Das ist zunächst einmal eine persönliche Hilfeleistung, eine Bildungsleistung. Länder und Kommunen haben diese Pflicht. Dieses erste Anliegen ist ein persönliches Interesse, nicht eine Frage von Steinen. Das Zweite, was man hätte tun können, ist, dass man die wirtschaftliche Lage der Kinder verbessert, die Überbürokratisierung in diesem Land einschränkt.

Es gibt gerade in der Familienförderung eine Reihe von Leistungen. Förderungen, wie Bafög, Kinderzuschlag, Kinderfreibeträge, Kindergeld, Unterhaltsvorschuss und Splittingtabellen gehören in einen Topf. Erst dann ist eine Kindergrundsicherung für alle Kinder, die auskömmlich ist, vorausgesetzt. Nach unseren Berechnungen wären das etwa 330€ pro Kind, wenn Kindertagesstätten, Schulen und Universitäten kostenlos sind. Erst dann wäre gewährleistet, dass Kinder am Leben und der Bildung eine gerechte Teilhabe besitzen.