Kinderärzte fordern neue Grenzwerte für Atomkraftwerke

Schutz für die Schwächsten

Im Streit um die weltweit größte Studie zu Leukämiefällen bei Kindern im Umkreis von deutschen Atomkraftwerken haben Ärzte- und Umweltorganisationen der Bundesregierung "Täuschung und Manipulation" vorgeworfen. Die Studie zeige eindeutig, dass Atomkraftwerke auch im Normalbetrieb krank machten, sagte die Vorsitzende der atomkritischen Ärztevereinigung IPPNW und Bielefelder Ärztin, Angelika Claußen, am Dienstag in Berlin.

Um so schwerer wiege, dass Monate nach ihrer Veröffentlichung noch nichts geschehen sei und eine eigens vom Bundesamt für Strahlenschutz in Auftrag gegebene Qualitätsprüfung der Ergebnisse unter Verschluss gehalten werde.

 (DR)

Umwelt- und Ärzteverbände verlangen von der Bundesregierung Sofortmaßnahmen zur Verhinderung von Kinderkrebserkrankungen im Umfeld von Kernkraftwerken. Der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Hubert Weiger, forderte am Dienstag in Berlin den "Sofortausstieg aus der Atomenergie". Auch müssten die Stromkonzerne die Familien entschädigen, die nicht mehr in der Nähe von Atomkraftwerken (AKW) wohnen wollen.

Hintergrund ist eine Ende 2007 veröffentlichte Studie über gehäufte Krebserkrankungen von Kindern in AKW-Nähe. Nach der Untersuchung des Mainzer Kinderkrebsregisters wächst das Risiko einer Krebserkrankung für Kinder unter fünf Jahren, je näher ihr Wohnort an einem AKW liegt. So wurde im Untersuchungszeitraum von 1980 bis 2003 an 16 AKW-Standorten in einem Umkreis von fünf Kilometern um die Reaktoren 77 solcher Erkrankungen festgestellt. Im statistischen Durchschnitt wären 48 Fälle zu erwarten gewesen, womit 29 Fälle allein auf das Wohnen in diesem Umkreis zurückzuführen seien.

Nachfolgestudie
Weiger verwies auf eine noch unveröffentlichte Nachfolgestudie, wonach von 121 bis 275 zusätzlichen Neuerkrankungen im Umkreis von 50 Kilometern um die westdeutschen AKW-Standorte in der Zeit von 1980 bis 2003 auszugehen sei. Einer Plausibilitätsprüfung zufolge könnten "eigentlich nur die radioaktiven Emissionen" dafür verantwortlich sein, argumentierte er.

Der Herforder Kinderarzt Winfried Eisenberg als Vertreter einer Initiative von mehr 100 Kinderärzten forderte eine Überprüfung und Anpassung der Emissionsgrenzwerte für radioaktive Abgaben. Dabei müsse der Gesundheitsschutz für diejenigen ausschlaggebend sein, die am strahlenempfindlichsten seien, also Embryos, Feten, Säuglinge und Kleinkinder. Der Arzt spricht von einer "bösen Täuschung der Öffentlichkeit aus politischen Gründen".