KNA: Herr Weihbischof, drei Monate sind seit dem Referendum über die Unabhängigkeit des Südens vergangen. Wie ist derzeit die Stimmung im Sudan?
Adwok: Die Menschen im Sudan warten auf den 9. Juli: den Tag, an dem der Südsudan seine Unabhängigkeit erklären wird. Sie waren überrascht über den Ausgang des Referendums, die ruhige Art und Weise, mit der die Bevölkerung abgestimmt hat. Das war unter anderem das Ergebnis zahlreicher Aufrufe der Bischöfe, den Menschen aus dem Süden die Chance zu geben, selbst darüber zu bestimmen, wie sie regiert werden wollen. Der Weg hin zu einem unabhängigen Staat ist jedoch nicht frei von Konflikten, Spannungen und Gewalt. Bereits jetzt gibt es die ersten Stammesfehden im Grenzgebiet zwischen dem Norden und dem Süden, und es sind noch drei Monate bis zur Unabhängigkeit.
KNA: Was hat sich für die Menschen seit dem Referendum konkret verändert?
Adwok: Im Südsudan entspricht die Situation vielerorts nicht den Erwartungen der Menschen, die auf ein Land der Freiheit, der Menschenwürde und der Menschenrechte gehofft haben. Viele sind besorgt, dass die Regierung nicht genug tut. Sie müsste sich öffnen, die Zivilgesellschaft stärker einbeziehen und mit Organisationen zusammenarbeiten, die bei der Versöhnung, der Konfliktlösung und dem Aufbau des Friedens helfen. Das wäre extrem wichtig für den Süden.
KNA: Wie geht es den Christen, die im muslimisch geprägten Norden leben?
Adwok: Es gab in der Vergangenheit große Angst unter den Christen, unter anderem wegen der Pläne der Regierung, einen islamischen Staat zu errichten. Es gab Drohungen, dass Christen künftig keine Hilfen mehr erwarten könnten, zum Beispiel im Krankenhaus nicht behandelt würden. Einige sind sofort in den Süden zurückgekehrt - auch weil es hier im Norden wenig Arbeit gibt. Einige werden noch vier oder fünf Jahre warten, bis ihre Kinder die Schule beendet haben und dann in den Süden gehen. Einige werden bleiben.
KNA: Wie viele Christen sind bereits in den Süden gegangen?
Adwok: Von den insgesamt rund 900.000 Katholiken, die noch vor einigen Jahren in der Gegend von Khartum gelebt haben, ist knapp die Hälfte gegangen. Es wird mit Sicherheit immer Christen im Norden geben; vielleicht nur noch wenige - aber sie werden da sein. Mancherorts kommen bereits auch wieder Menschen zurück. Sie flüchten vor den ethnischen Konflikten an der Grenze und suchen nach einem sicheren Ort für ihre Kinder. Wenn die Regierung im Süden keine Sicherheit garantieren kann, werden die Menschen immer auf dem Sprung sein.
KNA: Wie beurteilen Sie die Pläne von Präsident Omar El Baschir zur Errichtung eines islamischen Staates?
Adwok: Eine Islamisierung des Staates ist das einzige und das wichtigste Programm der Regierung. Wenn dem Präsidenten die umstrittenen Gebiete im Grenzgebiet, in denen hauptsächlich Christen leben, egal sind, kann er die Islamisierung vorantreiben. Aber wenn ihm an den Gebieten liegt, muss er akzeptieren, dass dort Christen leben und dass sie ein Teil des Sudan sind.
KNA: Wie ist die Stimmung unter der muslimischen Bevölkerung?
Adwok: Auch die Muslime wollen Demokratie. Sie teilen die Einstellung der Menschen in Ägypten und Libyen. Sie wollen sich nicht dem islamischen Recht, der Scharia, unterwerfen. Sie wollen demokratische Strukturen, eine moderne Gesellschaft. Doch die Regierung kann das Ziel der Islamisierung nicht einfach über Bord werfen - weil sie nur damit an die Macht gekommen ist.
KNA: Wie leben Christen und Muslime im Alltag zusammen?
Adwok: Während des Referendums gab es einige Momente der Spannung. Aber die Menschen leben als Sudanesen zusammen - als Sudanesen mit unterschiedlichem Glauben. Besonders in den Grenzgebieten muss diese Beziehung zwischen den Menschen weiter ausgebaut werden. Dabei könnten vielleicht die Vereinten Nationen helfen. Sie könnten beispielsweise für einige Jahre eine entmilitarisierte Zone zwischen dem Norden und dem Süden einrichten und dabei helfen, Beziehungen zwischen den Menschen in beiden Staaten aufzubauen. Es wird Zeit brauchen, im Südsudan eine Gesellschaft aufzubauen. Dabei sollte die internationale Gemeinschaft die südsudanesische Regierung unterstützen.
KNA: Was kann die Kirche zur Sicherung des Friedens tun?
Adwok: Sie kann ein Instrument des Wandels sein. Die Konflikte müssen an der Wurzel gepackt werden. Das heißt auch für die Politiker, dass sie erst mal verstehen müssen, warum die Menschen überhaupt gegeneinander kämpfen. Nur dann kann Versöhnung möglich werden. Vor allem die Kirche muss auf Versöhnung und Frieden hinarbeiten; das ist ihre Mission.
Das Gespräch führte Inga Kilian.
Khartumer Bischof zur Zukunft des Sudan
"Es wird immer Christen im Norden geben"
Wenige Monate vor der staatlichen Unabhängigkeit des Südsudan sind die Menschen voller Erwartungen. Zugleich blicken jedoch viele auch mit Sorge in die Zukunft. Daniel Adwok Kur, katholischer Weihbischof in Khartum über Christen, die vor den Plänen von Staatspräsident Omar El Baschir, einen islamischen Staat zu errichten, vom Norden in den Süden fliehen.
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