Keine Einigung über Patientenverfügungen im Bundestag in Sicht

Wer entscheidet, wann man sterben darf?

Im Bundestag zeichnet sich keine Mehrheit für ein Gesetz zur Verbindlichkeit von Patientenverfügungen ab. Bei der Debatte über einen ersten Gesetzentwurf gehen die Meinungen quer durch die Fraktionen weit auseinander. In dem Streit geht es vor allem um die Frage, ob vorab gegebene Therapie- Anordnungen eines Patienten für den Fall, dass er beispielsweise im Koma liegt, stets verbindlich sein sollen. Nach Schätzungen sollen in Deutschland bis zu 10 Millionen Menschen schon Patientenverfügungen abgegeben haben.

 (DR)

Quer durch die Fraktionen hat der Bundestag am Donnerstag über eine Regelung für Patientenverfügungen gestritten.
Der SPD-Rechtsexperte Joachim Stünker warb für den bislang einzigen Gesetzentwurf, der die Autonomie des Patienten betont und eine hohe Verbindlichkeit der Verfügungen vorsieht. Kritik daran kam aus allen Lagern.

Der Entwurf berücksichtige den Lebensschutz unzureichend, so Markus Grübel (CDU). So setze er zu sehr den vorausverfügten mit dem aktuellen Willen gleich. Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) warnte vor wachsendem Druck auf Patienten, Verfügungen auszustellen. Sie warb dafür, auf eine Vertrauensperson statt auf ein Stück Papier zu setzen, um so Automatismen zu verhindern.

In Patientenverfügungen können Menschen vorab festlegen, wie sie im Fall schwerer Krankheit medizinisch behandelt werden wollen. Derzeit gibt es nach Schätzungen gut acht Millionen solcher Willenserklärungen in Deutschland. Den bisher einzig vorliegenden Gesetzentwurf, der unter Federführung Stünkers entstand, unterstützen derzeit 209 Vertretern aus SPD, FDP, Linken und Grünen, darunter auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD). Nach ihrem Willen soll die Wirksamkeit von Verfügungen für alle Lebenssituationen und nicht nur für den Fall einer tödlichen Erkrankung gelten. Unionspolitiker sowie einige Grüne arbeiten an einem Konzept, das die Wirkung von Verfügungen begrenzt.

Redner der Union warfen Stünker und seinen Mitstreitern vor, trotz anderer Absprachen auf die Debatte gedrängt zu haben. Sie wollten nach der Sommerpause einen Gesetzentwurf vorlegen, der die Reichweite der Verfügungen begrenzt und deren Überprüfung durch ein Vormundschaftsgericht vorsieht. Stünker mahnte derweil zu zügigem Handeln. Wenn es noch in dieser Legislaturperiode eine Entscheidung geben solle, «müssen wir uns beeilen». Das Parlament überwies den sogenannten Stünker-Entwurf zur weiteren Beratung an die Ausschüsse.

Göring-Eckardt rief dazu auf, in der konkreten Situation aktiv mit Vertrauten nach dem Willen des Patienten zu fragen und nicht die Interpretation einer schriftlichen Verfügung unfehlbar zu setzen. Auch der Vorsitzende des Parlamentarischen Beirats zum Deutschen Ethikrat, Rene Röspel (SPD), warnte, das Selbstbestimmungsrecht einseitig zu betonen. Es müsse in Beziehung zur gebotenen Fürsorge gesetzt werden. Röspel sprach angesichts der jetzigen Debatte von unnötigem Zeitdruck. Gründlichkeit müsse vor Schnelligkeit gehen.

Der CDU-Abgeordnete und Arzt Hans Georg Faust meinte, die Politik bewege sich an der Grenze dessen, was rechtlich regelbar sei. Eine schriftliche Verfügung allein werde der Individualität des Sterbeprozesses nicht gerecht. Wie auch andere Unionsredner plädierte er für ein gestuftes Verfahren, bei dem das Vormundschaftsgericht beteiligt sein müsse.

Michael Kauch, einer der Mit-Initiatoren des Stünker-Entwurfs, wandte sich gegen eine Verabsolutierung der Fürsorge auf Kosten der Selbstbestimmung. Ob der Gesundheitszustand eines Patienten «eine Qual ist oder ein Geschenk, das kann niemand anders entscheiden als der einzelne selbst», meinte er. Wer seinen Willen klar festgelegt habe, dessen Verfügung müsse geachtet werden.

Lucretia Jochimsen (Linke), die sich in ihrer Rede auf die Vorsitzenden der katholischen Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland berief und damit Widerspruch aus der Union hervorrief, sprach von einer schwierigen Entscheidung und einer «Gratwanderung zwischen Leben und Tod». Es gelte aber, den Willen von Patienten zu respektieren.