Über den Umgang der Kirchen mit Rechtsextremismus

"Katholisches Positionspapier ist ein großer Wurf"

Nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke diskutiert Deutschland darüber, ob rechte Gewalt unterschätzt wird. Wie wichtig bei diesem Thema die klare Positionierung der Kirchen ist, erklärt Experte Christian Staffa.

Hakenkreuz-Schmierereien an einer Schule / © Jochen Lübke (dpa)
Hakenkreuz-Schmierereien an einer Schule / © Jochen Lübke ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wir haben jetzt den Fall Lübcke, vorher den der NSU. Das Problem rechter Gewalt ist nicht neu. Die vielen kleinen alltäglichen Angriffe noch gar nicht erwähnt. Warum scheint das im Großen und Ganzen keinen zu interessieren?

Christian Staffa (Studienleiter für Demokratische Kultur und Kirche an der Evangelischen Akademie zu Berlin): Das Problem geht noch viel weiter zurück. Wenn wir an den Oktoberfest-Anschlag von 1980 denken, der größte terroristischer Anschlag der bundesrepublikanischen Geschichte, der ist sozusagen untergegangen. Beim NSU taten alle so, als wäre es ganz neu. Und jetzt wird wieder so getan, als gäbe es diese Kontinuität nicht. Aber es gibt sie.

Die These, dass es keinen zu interessieren scheint, stimmt allerdings nicht ganz. Der Bundestag hat zum Beispiel ein Untersuchungsausschuss zum NSU eingesetzt. Es gibt nur unglaublich viel Kontinuität, die nicht befragt wird. Die Gründe dafür liegen unter anderem auf der Ebene der Geschichte der Bundesrepublik. Da geht es um die Frage von Vergangenheitsbearbeitung. Die ist tatsächlich in einer Weise sehr gelungen und in einer anderen Weise offensichtlich gar nicht. Man sagt immer: Die Verfassungsorgane sind auf dem rechten Auge blind. Ich finde den Ausdruck nicht ganz richtig. Vielmehr ist es so, dass sie dieses Problem ignorieren.

Mordfall Walter Lübcke

Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke war in der Nacht zum 2. Juni mit einer Schussverletzung am Kopf auf der Terrasse seines Wohnhauses im hessischen Wolfhagen-Istha entdeckt worden und wenig später gestorben. Am Wochenende wurde der mutmaßliche Rechtsextremist Stephan E. in Untersuchungshaft genommen. Die ermittelnde Bundesanwaltschaft stuft den Mord als politisches Attentat mit rechtsextremem Hintergrund ein.

Das Konterfei von Walter Lübcke (CDU) bei einem Trauergottesdienst in der Martinskirche / © Swen Pförtner (dpa)
Das Konterfei von Walter Lübcke (CDU) bei einem Trauergottesdienst in der Martinskirche / © Swen Pförtner ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die Katholiken haben gerade erst diese Woche ein Positionspapier zum Thema veröffentlicht. Eigentlich müsste klar sein, welche Position zu rechter Gewalt man als Christ haben sollte. Wofür braucht man denn ein solches Papier?

Staffa: Ich war übrigens Mitglied dieser Arbeitsgruppe, was ich eine sehr schöne ökumenische Geste fand. Aber die Position ist eben nicht so klar. Es ist auch eine Illusion, dass wir als Kirche denken, wir waren schon immer anti-rechts. Das Gegenteil ist ein bisschen der Fall: Wenn wir auf die Geschichte des Nationalsozialismus gucken oder auch auf das 19. Jahrhundert: Die Kirche ist damals kein Hort der Demokratieförderung gewesen. Insofern ist es auch kein Wunder, dass etwa Rassismus, Antisemitismus oder auch Frauenfeindlichkeit in bestimmten Regionen unserer Kirche nicht nur überwintern, sondern auch gepflegt werden.

DOMRADIO.DE: Anscheinend gibt es im christlich-konservativen Bereich eine Überschneidung mit rechtem Gedankengut. Das sieht man zum Beispiel auch daran, dass die AfD gerne im christlichen Milieu fischt. Woher kommt denn das und was genau sind das für Überschneidungen?

Staffa: Nehmen wir mal die Stichwörter Homophobie und Frauenfeindlichkeit. Es ist zwar nicht zwangsläufig so, dass sich die kirchlichen traditionellen Rollenbilder mit den Rollenbildern aus dem rechten Milieu mischen. Man darf also nicht alle Menschen, die konservative Geschlechterbilder haben, als Rechtsextreme denunzieren. Aber natürlich hat es eine Brückenfunktion. Es ist attraktiv, wenn jemand sagt: Die Kleinfamilie wird zerstört von den Linksgrünen. Dann antwortet ein Christ: Ja, das stimmt. Da gibt es Überschneidungsmöglichkeiten und Attraktivität von rechtspopulistischen Positionen.

Aber wenn wir zum Beispiel das Stichwort "christliches Abendland" nehmen, mit dem Pegida und die AfD hausieren gehen, dann kann man feststellen, dass auch in unserer Kirche ein selbstkritisches Verhältnis zu dieser Tradition nicht sehr gepflegt wurde. Was ist denn das christliche Abendland? Ist das Frieden und Demokratie oder ist das auch Gewalt, Kolonialismus und Antisemitismus? Wenn dieser Begriff auch bei uns nicht kritisch und selbstkritisch befragt wird, dann ist das Potenzial für eine Brückenfunktion auch in diesem Begriff, der an sich so harmlos daherkommt, angelegt.

DOMRADIO.DE: Von den Kirchen hört man auch regelmäßig Aufrufe zur Offenheit und gegen Menschenhass. Gibt es denn eigentlich einen Unterschied im Umgang mit Rechts zwischen evangelischer und katholischer Kirche?

Staffa: Ich würde sagen, in den letzten 20 Jahren waren die Protestanten etwas weiter vorne. Aber gleichzeitig muss man sagen, dass diese Schrift der Bischofskonferenz wirklich ein großer Wurf ist. Die evangelische Kirche hat sich - angeregt durch die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus - sehr früh zum NSU positioniert und gesagt: Es ist nicht nur eine Dreiergruppe. Wir müssen das als gesellschaftliches Problem verstehen. Da ist die katholische Kirche jetzt gleichgezogen. 

Das Interview führte Julia Reck.

Quelle:
DR
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