DOMRADIO.DE: Warum ist ein Gedenkgottesdienst für verstorbene Drogengebrauchende so wichtig?
Andrea Schneider (Sozialdienst katholischer Frauen und Männer, SKFM e. V., Düsseldorf): Dieser Gottesdienst bietet einen wertvollen Rahmen, um Abschied zu nehmen - gerade von Menschen, die im vergangenen Jahr verstorben sind. Für manche ist dieser Gottesdienst sogar die einzige Gelegenheit, um Abschied nehmen zu können. Denn wenn es zum Beispiel keine Angehörigen gibt, übernimmt oft das Ordnungsamt die Beerdigung. Diese verläuft dann sehr schlicht. Meist ohne Trauerrede, ohne gemeinsames Gedenken, so wie wir es sonst kennen.
Unser Gottesdienst ist dann eine Art Ersatz – ein Ort des Erinnerns. Auch wenn es Angehörige gibt, erleben wir oft, dass unsere Klientinnen und Klienten Hemmungen haben, zu diesen Beerdigungen zu gehen. Sie fragen sich, ob sie dort überhaupt willkommen sind. Außerdem möchten Angehörige die Trauerfeier manchmal bewusst im kleinen Kreis halten.
In unserem ökumenischen Gottesdienst können alle gemeinsam kommen – Freunde, Angehörige, Fachkräfte. Alle dürfen sich verabschieden. Das ist der christliche Gedanke dahinter: Niemand ist ausgeschlossen.
DOMRADIO.DE: Wie erleben Sie die Trauer von Freundinnen und Freunden aus der Szene? Was ist besonders herausfordernd in der Begleitung?
Schneider: Menschen aus der Szene, die selbst Drogen konsumieren, vergleichen sich oft mit den Verstorbenen. Da ist auch Angst im Spiel. Es schwingt die Frage mit, was wäre, wenn ich der Nächste bin? Gleichzeitig haben Sie das Gefühl, dass sie keine Schwäche zeigen dürfen. Gefühle haben auf der Straße keinen Platz.
Deshalb ermutigen wir unsere Klientinnen und Klienten, ihre Emotionen zuzulassen. Bei uns gibt es zum Beispiel ein Kondolenzbuch. Dort kann man seine Gedanken und Gefühle niederschreiben, wenn man sie nicht aussprechen kann. Das wird gut angenommen.
DOMRADIO.DE: Wie erleben Sie Angehörige bei Trauerfeiern?
Schneider: Bei Angehörigen hängt viel davon ab, wie der Kontakt vor dem Tod war. Manche hatten lange keinen Kontakt mehr. Dann kommen oft Schuldgefühle oder Vorwürfe auf. Sie fragen sich, ob sie genug getan haben; ob sie den Tod hätten verhindern können. In solchen Fällen helfen Gespräche und manchmal auch der Hinweis, dass selbst wir als Fachkräfte niemanden "retten" können. Das kann für die Angehörigen entlastend sein. Das Wissen, dass man nicht allein verantwortlich ist.
DOMRADIO.DE: Sucht ist oft mit Ausgrenzung verbunden. Wie begegnen Sie dieser Stigmatisierung in Ihrer Arbeit?
Schneider: Indem wir unseren Klientinnen und Klienten mit Akzeptanz und Respekt begegnen und auch mit einem Stück Normalität. Ihr Lebensweg entspricht vielleicht nicht der gesellschaftlichen Norm, aber es ist ihre Realität. Wenn man das anerkennt, entsteht ein geschützter Raum, in dem auch schwierige Themen angesprochen werden können.
Nach außen ist es vor allem Aufklärung. Sucht ist eine Krankheit, keine Charakterschwäche. Wir treten für unsere Klientinnen und Klienten ein, machen ein Stück weit Lobbyarbeit. Denn es geht darum, Vorurteile abzubauen und Verständnis zu schaffen.
DOMRADIO.DE: Welche Unterstützung brauchen drogengebrauchende Menschen heute über klassische Suchtberatung hinaus?
Schneider: Sie brauchen Menschen, die sich für sie einsetzen, die Gemeinschaft statt Ausgrenzung fördern und offen mit dem Thema umgehen. Die ständige Ablehnung, die viele erleben – auf der Straße, in der Gesellschaft – prägt auch das eigene Selbstbild. Wir versuchen, dem etwas entgegenzusetzen, Räume zu schaffen, in denen sie sich gesehen und gestärkt fühlen.
Das Interview führte Annika Weiler.