Katholischer Publizist kommentiert Merz’ Scheitern im ersten Wahlgang

"Autorität ist durchaus angekratzt"

Friedrich Merz verpasste im ersten Wahlgang die Kanzlerwahl, setzte sich jedoch im zweiten Durchgang durch. Für den katholischen Publizisten Andreas Püttmann ist das Ergebnis vor allem Ausdruck politischer Staatsräson.

Friedrich Merz / © Michael Kappeler (dpa)
Friedrich Merz / © Michael Kappeler ( dpa )

DOMRADIO.DE: Manche sagen, das muss für Merz wie ein Schlag ins Gesicht gewesen sein. Was war Ihre erste Reaktion, als Sie gehört haben, dass Merz es im ersten Wahlgang nicht geschafft hat? 

Dr. Andreas Püttmann (Politologe und katholischer Publizist): Ich war nicht überrascht, da Friedrich Merz drei Jahre lang eifrig Enttäuschte und Verärgerte gesammelt hat. Etwa liberale und soziale Christdemokraten, vor allem die CDA. Der Vorsitzende der Christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft, Dennis Radtke, hat ja sogar öffentlich protestiert über die Vernachlässigung seiner Parteiströmung bei den Kabinettsbesetzungen. 

Die Sozialdemokraten und die Grünen als sogenannter Hauptgegner wurden insbesondere durch die Initiative im Bundestag zum Zustrombegrenzungsgesetz mit Inkaufnahme von Stimmen der AfD aufgebracht. Oder auch durch Beschimpfungen wie: Jetzt ist Schluss mit den linken "Spinnern" und denen, die nicht "alle Tassen im Schrank" haben. 

Der Bundestag spiegelt natürlich auch die Bevölkerung wieder, und die sah Merz schon immer eher negativ. Er kam bei den Vertrauenswerten kaum über die eigene Anhängerschaft hinaus. Und nicht von ungefähr hat auch seine Partei ihn zweimal als Vorsitzenden abgelehnt. Er hat ein notorisches Problem mit Sympathie und Zuspruch. 

Hinzu kam noch seine Wählertäuschung in der Frage der Schuldenbremse, die vor allem den rechten Parteiflügel frustrierte, und dass er die SPD beim Mindestlohn brüskierte, als er nach den Koalitionsverhandlungen meinte das sei noch nicht fix. So konnte man schon davon ausgehen, dass er bei der Wahl einen Denkzettel bekommt.

Andreas Püttmann

"Das zweite Ergebnis war eines aus Staatsräson und nicht etwa, weil nun plötzlich alle Merz für einen guten Kanzler halten".

Dr. Andreas Püttmann (privat)
Dr. Andreas Püttmann / ( privat )

DOMRADIO.DE: Im zweiten Anlauf mussten sich alle noch einmal zusammentun und auch zustimmen, dass dieser Wahlgang noch am selben Tag stattfinden würde. Da hat es dann geklappt und Merz hat neun Stimmen mehr als benötigt bekommen. Finden Sie, diese Mehrheit hat diese Niederlage ausgeglichen? 

Püttmann: Persönlich nicht wirklich, weil alle wissen, dass das erste Ergebnis das Ehrliche war. Das zweite Ergebnis war eines aus Staatsräson und nicht etwa, weil nun plötzlich alle Merz für einen guten Kanzler halten. 

Auch im zweiten Wahlgang fehlten einige Stimmen aus der Koalition. Vielleicht sogar mehr als die drei, die es rechnerisch sind. Etwa durch Hilfsstimmen von Abgeordneten der Opposition, die um ihr Mandat fürchteten, falls es Neuwahlen gibt. Aber er ist mit einem blauen Auge davon gekommen. 

DOMRADIO.DE: Egal wie man es nennt, diese Niederlage im ersten Wahlgang war historisch. Wird das Merz noch länger nachhängen?

Püttmann: Ja, seine Autorität ist durchaus angekratzt. Auch international stellt es eine Blamage dar nach der vorangegangenen Aufbruchsrhetorik. Ich würde aber sagen, dass die länger bestehenden Bedenken gegen seine Person schwerer wiegen als dieser erste missglückte Wahlgang, auch wenn der historisch einmalig ist. Da der politische Alltag momentan so aufregend ist, wird er dieses Wahldrama jedoch wohl bald überlagern, und die Öffentlichkeit hat auch ein recht kurzes Gedächtnis.

Andreas Püttmann

"Vielleicht gibt es ja auch beim Kanzler eine Art Amtsgnade? Man kann es ihm nur wünschen".

 

DOMRADIO.DE: Es hat ja keiner so erwartet, teilweise auch nicht Politiker und Politikerinnen. Irgendjemand muss sich da nicht so ganz sicher gefühlt haben. Geplant war, dass er auf jeden Fall die Stimmen von CDU, CSU und SPD bekommt. Der Koalitionsvertrag stand schon. Wie kann er dieses Vertrauen wieder zurückgewinnen? 

Püttmann: Durch gute und ausgewogene Politik. Durch eine kluge Kommunikation, die die Bevölkerung mitnimmt. Durch geschmeidige Führung, die konsensueller sein muss als die bisherige des gelernten Oppositionspolitikers und Debattenredners. Das ist eine ganz andere Rolle als die Rolle des Kanzlers. Es braucht sozusagen im neuen Amt einen neuen Merz. Und das mit fast 70 Jahren. Das muss er erstmal schaffen. Vielleicht gibt es ja auch beim Kanzler eine Art Amtsgnade? Man kann es ihm nur wünschen. 

DOMRADIO.DE: Nimmt auch die Demokratie durch diese Niederlage Schaden? Die AfD zum Beispiel hat sich fast gefreut über dieses kleine Debakel. Alice Weidel hat auf Social Media noch gefordert, dass Merz zurücktritt und es sofort Neuwahlen geben soll. 

Püttmann: Dieses kindische Feixen der AfD bei jedweder Niederlage von Demokraten sollte man jetzt auch nicht so hoch bewerten, es spricht für sich. Entscheidend ist: Das Grundgesetz sieht nicht von ungefähr mehrere Wahlgänge vor. Es rechnet also mit einer solchen Situation. Auch der Bundespräsident Wulff fiel zum Beispiel erst durch, bevor er zum Bundespräsidenten gewählt wurde, allerdings in der Bundesversammlung. 

Das heißt, wir haben hier einen Fall, der verfassungsmäßig quasi eingepreist ist. Wenn man den Schaden ermessen will, dann ist er nicht so groß wie der, der Ende Januar im Bundestag entstand bei dem populistischen Schmierentheater über das Zustrombegrenzungsgesetz, wo man auf Stimmen der AfD setzte, anschließend aber erklärte, das täte einem doch irgendwie leid. Das fand ich gravierender als den jetzigen Eklat.

Andreas Püttmann

"Es ist aber schon auffällig, dass in einer säkularen Gesellschaft nun doch wieder 13 von 17 der neuen Ministerinnen und Minister sich auf Gott bezogen in ihren Amtseid".

DOMRADIO.DE: Nichtsdestotrotz ist das neue Kabinett katholischer als das alte. Hat das noch Auswirkungen auf die politischen Entscheidungen? 

Püttmann: Generell kann man schon sagen, dass christliche Gesinnung oder auch katholische Prägung im Durchschnitt laut Umfrageanalysen mit etwas anderen Überzeugungen verbunden ist, etwa in ethischen Fragen wie beim Lebensschutz. Da gibt es religionssoziologisch Zusammenhänge. 

Andererseits finden sich mittlerweile auch in den Kirchen viele Menschen in einer Glaubenskrise. Eigentlich sind sie gar nicht mehr wirklich mit der Kirche verbunden und trotzdem noch formal Mitglieder, sodass man nicht bloß die Konfessionszugehörigkeit zum Maßstab nehmen kann dafür, wie viel christlich orientierte oder kompatible Politik zu erwarten ist von einem Politiker. Es haben auch einige Kabinettsmitglieder, die keine Angaben zur Religion machen oder sich ausdrücklich als nicht religiös bezeichnen, bei der Vereidigung die Gottesformel benutzt. Umgekehrt haben andere, die eine Konfessionszugehörigkeit angeben, Gott nicht angerufen. 

Glaube und Nichtglaube und auch ethische Positionierungen fließen bei den Gruppen Kirchenmitglieder und Nichtmitglieder so wohl etwas stärker ineinander als früher. Deswegen würde ich die Konfession nicht zu stark gewichten. 

Es ist aber schon auffällig, dass in einer säkularen Gesellschaft nun doch wieder 13 von 17 der neuen Ministerinnen und Minister sich auf Gott bezogen in ihren Amtseid. Das zeigt, dass irgendwie noch eine Ahnung davon da ist, dass es einen Unterschied machen könnte, ob der Mensch sich nur selbst vertraut oder im Horizont eines Höheren demütig sein Amt annimmt. 

Das Interview führte Lara Burghardt.

Das Amt des Bundeskanzlers

Es ist das wichtigste politische Amt in Deutschland: "Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung", heißt es im Artikel 65 des Grundgesetzes.

Gewählt wird der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin (das Grundgesetz kennt nur die männliche Form) auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder.

Plenarsaal des Deutschen Bundestags / © shirmanov aleksey (shutterstock)
Plenarsaal des Deutschen Bundestags / © shirmanov aleksey ( shutterstock )
Quelle:
DR

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