Katholischer Philosoph Robert Spaemann mit 91 Jahren gestorben

"Ohne Gott bricht das Denken zusammen"

​Als Geisteswissenschaftler vielfach geehrt, als bekennender Katholik Papstfreund und Kritiker der Liturgiereform. Robert Spaemann führte ein Leben aus dem Geist von Widerspruch und Gottvertrauen.

Autor/in:
Christoph Scholz
Philosoph Robert Spaemann / © Hans Knapp (KNA)
Philosoph Robert Spaemann / © Hans Knapp ( KNA )

Seinen ersten philosophischen Aufsatz schrieb er im Gefängnis der französischen Besatzungszone nach dem Zweiten Weltkrieg: "Über das Verhältnis von Ewigkeit und Augenblick" - auf Toilettenpapier, wie sich Robert Spaemann in seiner Autobiografie erinnert. Der in Berlin geborene Philosoph zählte neben Jürgen Habermas und Peter Sloterdijk zu den bekanntesten deutschen Denkern der Gegenwart. Seine Werke sind in 14 Sprachen übersetzt. Am Montag starb der vielfach ausgezeichnete Gelehrte mit 91 Jahren in seinem Haus in Stuttgart.

Mit Joseph Ratzinger verband den bekennenden Katholiken nicht nur das Geburtsjahr 1927, sondern auch gegenseitige Wertschätzung. Die Bezeichnung katholischer Philosoph wies Spaemann allerdings zurück - aus Prinzip. In der Philosophie zählt die Kraft des Arguments. Allerdings hielt er an der Grundintuition fest: "Wenn wir Gott wegnehmen (...), dann bricht das Denken zusammen". Sein eigenes Denken habe sich aus "spontanen Erfahrungen, die ich gedanklich zu klären versuchte" entwickelt, betont er.

Märtyrertum oder Leichtsinn?

In seiner Jugend während der NS-Zeit gehörte dazu das Erleben, "wie man die Juden behandelte. Das war so widerlich, dass es keiner besonderen Leistung, keiner Anstrengung bedurfte, um sich davon abzuwenden". Diese Aversion kostete ihn fast das Leben. Denn der Gymnasiast zeichnete eine Hitler-Karikatur an die Tafel und schrieb darunter: "Achtung! Totengräber Deutschlands!"; später entzog er sich dem Fahneneid auf Hitler. Zum Märtyrer sah er sich jedoch nicht berufen und sprach rückblickend auch von "Leichtsinn". Dennoch zeigte sich schon damals jener "Widerspruchsgeist", der ihn zeitlebens kennzeichnete.

Tief geprägt haben ihn das Elternhaus und der Glaube seiner Eltern, die zum Katholizismus konvertierten: Die Mutter eine Tänzerin, der Vater Heinrich ein Kunsthistoriker und Kulturredakteur der "Sozialistischen Monatshefte". Als die Mutter früh an Tuberkulose starb, ließ sich der Vater 1942 zum Priester weihen. "Wenn man tief überzeugt ist, dass die Gottesbeziehung im Leben das Wichtigste ist, dann erzeugt das eine gewisse Standfestigkeit", erinnerte sich Spaemann an die Zeit.

Streitbarer "Skeptiker"

Als Philosoph verstand er sich eher als "Skeptiker". Mit Nietzsche sah er das Projekt der Moderne als "radikal-emanzipatorischen Selbstaufhebung", die Loslösung des Menschen von jeder inneren oder äußeren Bestimmung: Die Kehrseite bestand für ihn darin, dass der Mensch nur noch funktional verstanden werde, als Mittel zum Zweck: politisch, sozial, psychologisch oder biologisch. Dieser Weltanschauung entziehe man sich "nicht durch einen antimodernistischen Entschluss", sondern durch Aufklärung.

Dazu diente ihm vor allem der philosophische Essay. Es gibt kaum eine Kontroverse seit Beginn der Bundesrepublik, in der er nicht das Wort ergriff: Mit seinem Freund Heinrich Böll gegen Kernenergie und Atombewaffnung, dann für die Nachrüstung; er problematisierte den Kosovo-Krieg und warnte vor der Zerstörung der Umwelt.

Lebenswirklichkeit vor Ideologie

Dauerthemen waren für ihn das Recht des ungeborenen Lebens, die Euthanasie und die Gentechnik. Hier zeigte er sich kompromisslos, weil für ihn der Menschen selbst auf dem Spiel stand. Dabei vertrat er keine rigoristische Pflichtethik, sondern ein Naturrechtsdenken. Dieses fußt auf Grundeinsichten von Gut und Böse, einer inneren Ausrichtung des Menschen auf Erfüllung und dem Vorrang der Lebenswirklichkeit vor jeder Ideologie.

Weniger schien sich Spaemann um Etikettierungen zu scheren. Sie reichten vom Freigeist über den Linkskatholiken und Ökophilosophen bis zum Reaktionär. Spätestens mit seinem Eintreten für den alten Messritus galt er innerkirchlich als konservativ oder erzkonservativ - je nach eigenem Standpunkt. Im Kern ging es ihm um die Überzeugung, dass in der Messe genau das geschieht, was im Ritus gefeiert und in den Worten ausgedrückt wird: "Eine solche Vergegenwärtigung im wörtlichen Sinn kann nur durch eine symbolische rituelle Handlung geschehen, durch die das zeitlos Inkommensurable in unserer Weltzeit eintritt."

In der Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) sah er hingegen den Einbruch des "Scheins", der "virtuellen Welt". So kam auch hier sein Lebensthema zum Tragen: Die Frage nach "Unmittelbarkeit und Authentizität". Ein Bemühen für das sein Denken und Leben steht.


Quelle:
KNA
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