Katholische und evangelische Bischöfe zu Weihnachten

Kirchen rufen zu Frieden und Gerechtigkeit auf

Die Spitzenrepräsentanten der großen christlichen Kirchen in Deutschland sorgen sich um die soziale Lage im Land. In ihren Predigten an Heiligabend und Weihnachten riefen sie zu Solidarität und einem friedvollen Miteinander auf. domradio.de dokumentiert Predigten und andere Botschaften.

 (DR)

Der Münchner Kardinal Reinhard Marx hat an Weihnachten zu einer Rückbesinnung auf das christliche Menschenbild aufgerufen. Die gegenwärtige Krise in Europa sei nicht nur eine Finanz- und Schuldenkrise, sondern auch eine der Identität, sagte Marx in der Christmette im Münchner Liebfrauendom. Um zukunftsfähig zu sein, müsse im Mittelpunkt das wahre und richtige Menschenbild stehen. Dieses hänge zusammen mit dem Bild Gottes und dem des Menschen, wie es in Jesus Christus gezeigt werde. Zugleich warnte der Erzbischof von München-Freising davor, "alles nur noch mit einem Preis, einem Geldwert zu versehen und damit materialistisch zu verkürzen". Die Identität Europas etwa sei nicht der Euro. So wichtig die Finanzen, das Geld, das Kaufen und Verkaufen, das Verbrauchen und Benutzen seien, letztlich gehe es nicht um die Zukunft des Euro, sondern um die des Menschen.



Münsters Bischof Felix Genn hat sich an Weihnachten gegen jede Form von Ausgrenzung, Nationalismus und Gewalt gewandt. Die Botschaft von der Menschwerdung Gottes sei bestimmt für die ganze Welt, alle Kontinente und jeden Menschen, sagte er in der Christmette in der Überwasserkirche in Münster. Jesus habe in seinem irdischen Leben gerade die Lahmen, Blinden, Krüppel, Aussätzigen, Prostituierten, Zöllner und "Sünder jedweder Art" eingeladen. Wegen der Renovierung des Doms fand der Gottesdienst in der Überwasserkirche statt. Gott habe sich durch die Geburt seines Sohnes mit der ganzen Menschheit und jedem einzelnen Menschen verbunden, sagte Genn im Gottesdienst am Morgen des ersten Weihnachtstages. "Erst wer glauben kann, dass Gott Mensch geworden ist, wird die unermessliche und grenzenlose Würde des Menschen entdecken." Der Bischof erinnerte an Bischof Wilhelm Emmanuel Ketteler, der an Weihnachten vor 200 Jahren in Münster geboren wurde. Was er durch sein Wirken für die kirchliche Soziallehre ausgelöst habe, sei noch heute von Bedeutung, so Genn.  



Der Mainzer Kardinal Karl Lehmann hat zum Weihnachtsfest an die Christen appelliert, sich mit der Not in der Welt zu befassen. Jesus habe sich von der ersten Stunde an beispielhaft auf die Seite der Erniedrigten und Armen, der Hoffnungslosen und Verachteten gestellt, sagte der Bischof am ersten Weihnachtstag in seiner Predigt im Mainzer Dom. Die Gläubigen sollten sich nach Jesu Vorbild aufmachen und nicht auf einen anderen Retter warten oder Wege bequemer Hilfe wählen. Christen sollten mit dem "Christsein ernst machen", sagte der langjährige Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz.  Zwischen dem Glauben und dem Eintreten für eine wahrhaft bessere Welt bestehe die innigste Verbindung. Das zentrale Geheimnis von Weihnachten liege darin, dass Jesus Christus zu den Menschen in die Welt gekommen sei: "Unsere Welt ist Gott nicht gleichgültig", sagte Lehmann.



Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck rief zu mehr Menschlichkeit im Alltag auf. "Die Menschlichkeit von Menschen und die Menschlichkeit von Lebensorten machen wesentlich die Würde des Menschen aus", sagte er in der Christmette am Heiligen Abend im Essener Dom. Jeder Mensch suche nach Anerkennung und nach Heimat wie Geborgenheit. Menschlichkeit sichere das Menschsein selbst, führe zu Sicherheit und Gerechtigkeit, Frieden und beständiger Lebensfreude.



Der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker sieht in der christlichen Botschaft eine Kraft "gegen den leiblichen und auch den seelischen Hungertod". Wenn Lebenspläne scheiterten, Beziehungen zerbrächen, der Arbeitsplatz verloren gehe oder Menschen an Leib und Seele erkrankten, könne die Botschaft von der unendlichen Liebe Gottes trösten, ohne die Härte des Lebens zu überspielen, sagte er in der Christmette am Heiligen Abend im Paderborner Dom. Das Christentum widersetze sich dem Phänomen, "dass trotz oder gerade wegen der technologischen und digitalen Vernetzung unserer Welt immer mehr Menschen aus dem Sozialnetz herausfallen". Für die Menschen komme es darauf, sich von der Liebe Gottes getragen und gehalten zu wissen und selbst anzufangen, in dieser Art zu lieben.



Aachens Bischof Heinrich Mussinghoff rief zu ortsnaher und weltweiter Solidarität auf. Als Beispiele nannte er im Aachener Dom die Beendigung von Streitigkeiten etwa mit dem Nachbarn, ein Besuch bei kranken Bekannten oder das Engagement für die Opfer der Dürrekatastrophe in Ostafrika.



Der Berliner Erzbischof Woelki schrieb in einem Gastbeitrag für die "Berliner Morgenpost" (Samstagsausgabe), Weihnachten fordere dazu auf, sich einzusetzen für einen sozialen und gerechten Frieden, "für ein friedliches Miteinander der Kulturen, Religionen und Ethnien".



In Zeiten der Euro- und Finanzmarktkrise sieht der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, indes eine große Sehnsucht nach christlichen Werten. Es gebe eine neue Offenheit für christliche Werte wie Solidarität, Gerechtigkeit und Menschenwürde, sagte Zollitsch dem in Bielefeld erscheinenden "Westfalen-Blatt" (Samstagsausgabe) in einem Interview. Deshalb sei die Botschaft des Weihnachtsfestes aktueller denn je.



Gotte schenke Vergebung und Frieden, so dass die Menschen für Recht und Gerechtigkeit eintreten könnten, sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, in Düsseldorf. Der rheinische Präses sagte in seiner Predigt zum Heiligen Abend in der evangelischen Johanneskirche in Düsseldorf, Gott lasse die Menschen nicht allein in den Dunkelheiten ihres Lebens. Doch habe die Heilige Nacht vor mehr als 2.000 Jahren das Leben und die Welt der Menschen nicht von aller Dunkelheit befreit. Damals wie heute würden Kriege geführt und Unrechtsregime herrschten, hierzulande marschierten Rechtsradikale, sagte der oberste Repräsentant von 24 Millionen Protestanten in Deutschland laut Manuskript.



Nach Ansicht des evangelischen Berliner Bischofs Markus Dröge kann die Weihnachtsbotschaft eine Inspiration für die Lösung der derzeitigen Krisen sein. Von einem gemeinsamen Geist, einer gemeinsamen Vision sei in Europa und weltweit noch viel zu wenig zu spüren, sagte Dröge in seiner Predigt zum Heiligabend im Berliner Dom. Ihm scheine es so, als könne "die Seele der Menschheit" mit den Ereignissen nicht Schritt halten. "Sie schafft es nicht, mitzudenken, mitzufühlen, mitzuleiden", sagte Dröge laut vorab veröffentlichtem Manuskript. Die Angst, beispielsweise durch die Finanzkrise selbst in den Abwärtsstrudel zu geraten, lasse "die Solidarität schwach werden".



Der Nahost-Konflikt und die unsichere Situation der Menschen in der Region bestimmen die Weihnachtsbotschaften und Predigten am Heiligen Abend in Jerusalem. Der Repräsentant der Evangelischen Kirche in Deutschland im Heiligen Land, Propst Uwe Gräbe von der lutherischen Erlöserkirche in Jerusalem, sagte, Gott sei "nicht da, wo Militärstrategien und Vernichtungspläne geschmiedet werden", sondern zum Beispiel in Solidarität mit den jungen Menschen auf dem Kairoer Tahrir-Platz. Gott sei mit denen, die den Traum von Freiheit und Demokratie noch nicht aufgegeben hätten.