Katholische Laien gegen AKW-Laufzeitverlängerung

"Es geht um ethische Fragen"

Ende September will das Bundeskabinett die Eckpunkte seines Energiekonzeptes vorlegen. Im Mittelpunkt steht die Frage nach einer möglichen Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke. Der Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, Alois Glück, plädiert im domradio.de-Interview entschieden dafür, die Laufzeit nicht zu verlängern.

 (DR)

domradio.de: Herr Glück, die schwarz-gelbe Bundesregierung bezeichnet die Atomenergie als "Brückentechnologie". Als Brücke ins regenerative Zeitalter brauche man eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten. Wie stehen Sie zur Laufzeitenverlängerung?
Alois Glück: Auf jeden Fall muss ernst gemacht werden mit der Brückentechnologie Und wenn man das ernst nimmt, dann muss die Frage einer Laufzeitverlängerung gemessen werden an ihrer Auswirkung in Hinblick auf die Durchsetzung und Durchsetzbarkeit regenerativer Energien. Die Vollversammlung des Zentralkomitees hat im letzten Jahr eine sehr umfangreiche umweltpolitische Erklärung verabschiedet, in der ganz entschieden dafür plädiert wird, die Laufzeit nicht zu verlängern. Das Wichtigste ist m.E., dass ein Gesamtkonzept vorgelegt wird. Positiv ist zunächst, dass entgegen vieler Bestrebungen jetzt nicht vorab eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke beschlossen wurde. Ein wirkliches Urteil ist nur in einer Gesamtschau der möglichen Energieträger und der notwendigen Vernetzung möglich. Deswegen darf die Kernenergie keinesfalls isoliert mit einer Laufzeitverlängerung behandelt werden. Das wäre eine schwere Verfehlung gegenüber dem Prinzip der Nachhaltigkeit.

domradio.de: Inzwischen ist von einer Verlängerung der im Atomkompromiss vereinbarten Laufzeiten um bis zu 28 Jahre die Rede. In der Diskussion ist jetzt auch, ob das Ziel, die Laufzeiten zu verlängern, der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Denn laut Gesetz sind die Bundesländer für die Aufsicht der Atomkraftwerke zuständig. Wie sehen Sie das?
Glück: Die rechtliche Frage kann ich nicht beurteilen. Von der Sache her ist es so, dass für eine solche Verlängerung sicher eine breite Akzeptanz notwendig ist. Politisch wird es wahrscheinlich darauf hinauslaufen, die Länder mit zu beteiligen. Aber im Zweifelsfall wird das vor Gericht entschieden. Wichtig ist mir, dass wir v.a. die Voraussetzungen schaffen, damit wir die risikoärmeren und dauerhaft umweltverträglicheren Energietechnologien tatsächlich durchsetzen können. Das setzt nicht nur den entsprechenden Willen voraus, sondern auch die technischen Voraussetzungen. Beispielsweise ist es dringend notwendig, eine entsprechende Netzstruktur auch über Deutschland hinaus aufzubauen, damit durch die heutigen technischen Möglichkeiten die unterschiedlichen Lauf- und Ausfallzeiten z.B. von Windkraftwerken ausgeglichen werden können. Denn wir haben bei der Wind- und Sonnenenergie natürlich eine Witterungsabhängigkeit. Kleinräumig kann man das nicht ausbalancieren, das geht nur großräumig. Deswegen muss man diese Konsequenzen sofort mit berücksichtigen und dann auch der Bevölkerung deutlich sagen, dass es selbstverständlich bedeuten wird, mehrere größere Stromverteilungsnetze in Deutschland zu etablieren, damit wir wirklich in einem Verbundsystem regenerativer Energien eine stabile Stromversorgung erreichen. Wir hatten in Deutschland seit Jahrzehnten keine wirkliche energiepolitische Strategie. Jetzt ist das dringendste Gebot, eine in sich nach den Kriterien von Risikominimierung, tatsächlicher Verfügbarkeit, Umweltnutzen etc. tragfähige Gesamtenergiekonzeption vorzustellen und nicht isolierte Entscheidungen zu treffen.

domradio.de: 1986 haben Sie nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl eine entscheidende Rede gehalten. Damals mahnten Sie die CSU im Landtag, nicht ausschließlich auf Atomkraft zu setzen. Das ist über 20 Jahre her. Wie viel weiter sind wir denn gekommen in dieser Frage?  
Glück: Ja, selbstverständlich ganz entscheidend. Heute ist ja die Verwirklichung regenerativer Energien in der Tat ein politisches Thema mit Priorität geworden. Es geschieht regional und lokal sehr viel. Niemand setzt in der Stromversorgung noch ausschließlich auf Kernenergie. Klar ist auch, dass sich Energiepolitik nicht ausschließlich in Stromversorgung erschöpft. Wir haben ja mit Blick auf die Umwelt auch den gesamten Sektor der Mobilität. Wir haben eine dramatische Ölabhängigkeit, die dazu führt, dass man Meerestiefenbohrungen durchführt, um möglichst günstig - scheinbar günstig - wieder zu Öl zu kommen und etliche Dinge mehr. In ein Gesamtenergiekonzept gehört mehr als nur Strom. Und wer immer nur darauf schaut, wie können wir momentan Strom, u.U. durch Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken, am günstigsten beziehen, und alles andere ausblendet, der handelt unverantwortlich.

domradio.de: Sie galten schon in der Politik als Visionär. Und Sie sind tief verwurzelt in der CSU und auch in der katholischen Kirche - und für beide immer wieder unbequem. 2009 wurden Sie Präsident beim Zentralkomitee deutscher Katholiken. Was bewegt Sie bei diesem Thema der Atomenergie ganz besonders als Christ?
Glück: Unsere Langzeitverantwortung. Das heißt eine Verantwortung gegenüber den nachkommenden Generationen in Hinblick auf Risiken, die wir hinterlassen. Die Verantwortung gegenüber der Schöpfung, die Frage der Umweltverträglichkeit. Es geht um mehr als Ökonomie und möglichst billige Energie für Wachstum. Es geht zentral um ethische Fragen.

Interview: Monika Weiß