Karlsruhe prüft Einsatz von Wahlcomputern - Experten skeptisch

Hat der Wahlzettel ausgedient?

Das Bundesverfassungsgericht prüft seit Dienstag, ob der Einsatz von Wahlcomputern bei der Bundestagswahl 2005 gegen das Grundgesetz verstoßen hat. Das Gericht verhandelt über die Beschwerde des Informatikers Ulrich Wiesner und seines Vaters, dem Politikwissenschaftler Joachim Wiesner. Niemand könne kontrollieren, ob tatsächlich alle abgegebenen Stimmen unverändert im Stimmenspeicher abgelegt würden, so der Vorwurf der Wiesners. Das erwartete Grundsatzurteil soll in einigen Monaten verkündet werden.

 (DR)

Das Grundgesetz schreibt in Artikel 38 ausdrücklich vor, dass die Wahl frei, gleich, geheim und vor allem öffentlich sein muss. Die Kläger bemängeln vor allem, dass der Einsatz der Wahlgeräte gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl verstoßen hat. Das Gericht prüft jetzt, ob durch den Einsatz der Wahlcomputer die in der Verfassung verankerten Grundsätze der Wahl verletzt wurden.

Bei der mündlichen Verhandlung am Dienstag in Karlsruhe beurteilten viele Experten die Geräte skeptisch. Vertreter des Bundesinnenministeriums halten dagegen «die Sicherheit für hinreichend».

Rund zwei Millionen Wähler hatten bei der Bundestagswahl 2005 nicht mit Stift und Stimmzettel gewählt, sondern ihr Votum per Wahlcomputer abgegeben. Das Gericht prüft, ob durch deren Einsatz die in der Verfassung verankerten Grundsätze der freien, gleichen, geheimen und öffentlichen Wahl verletzt wurden. Das Urteil wird in einigen Monaten erwartet.

Wahlcomputer sind manipulierbar
Wahlcomputer seien grundsätzlich manipulierbar und gefährdeten das Prinzip der freien und geheimen Wahl, sagte der Hamburger Jurist Ulrich Karpen. Zudem werde das «Prinzip der Öffentlichkeit» bei einer Wahl als «demokratischem Urakt» verletzt, argumentierte der Vertreter der Beschwerdeführer. Manipulationen seien möglich, und unklar sei auch, ob Manipulationen im Nachhinein festgestellt werden können, erklärte der Informatiker Jörn Müller-Quade vom Europäischen Institut Systemsicherheit.

Ähnlich äußerte sich Melanie Volkamer vom Institut für IT-Sicherheit und Systemsicherheit der Universität Passau. Der Bonner Jurist Wolfgang Löwer kritisierte, bei Wahlcomputern sei die Kontrollierbarkeit nicht sichergestellt. Das blinde Vertrauen in Computer sei «unerträglich».

Beschwerdeführer Ulrich Wiesner, Informatiker aus Neu-Isenburg, sieht hier «zusätzliche Risiken», die einzugehen «nicht notwendig» sei. Wiesner und sein juristischer Beistand halten zudem die angewendete Technik «für nicht ausgereift». Diese befinde sich auf dem Stand der 80er Jahre. Wiesner hat zusammen mit seinem Vater, dem Politikwissenschaftler Joachim Wiesner, die Beschwerde in Karlsruhe eingereicht.

Vertreter des Zweiten Senats beim Bundesverfassungsgericht stellten mehrfach kritische Nachfragen zur Praktikabilität von Wahlcomputern. Der Berichterstatter des Senats, Verfassungsrichter Rudolf Menninghoff, verwies auf die Niederlande und Irland. In beiden Ländern seien unabhängige Experten zu dem Ergebnis gekommen, dass das Wahlverfahren mit Papier und Stift der «elektronischen Urne» überlegen sei. Der niederländische Ministerrat habe daher im Mai 2008 beschlossen, Wahlen künftig nur noch mit Stift und Papier zuzulassen.

Auch sei von Problemen beispielsweise bei der hessischen Landtagswahl 2008 und den Kommunalwahlen in Brandenburg berichtet worden, sagte Menninghoff. Er führte ferner Probleme mit solchen Geräten in den USA an. Beobachter der Verhandlung in Karlsruhe konnten in der Sitzung aber kein eindeutiges Stimmungsbild erkennen, in welche Richtung das Gericht tendieren wird. Die Wahlbeschwerde, die Bundestagswahl 2005 wegen der Verwendung von Wahlcomputern für ungültig zu erklären, blieb in der Anhörung weitgehend unbeachtet.

Wahlcomputer waren in Deutschland bereits 1999 zur Europawahl und später bei den Bundestagswahlen 2002 und 2005 im Einsatz. Bei der Bundestagswahl wurden sie in 39 der 299 Wahlkreise eingesetzt, und zwar in den Bundesländern Brandenburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt.