Karlsruhe löst mit gekippter Notfall-Regel neue Triage-Debatte aus

Vorsitzender des Ethikrats überrascht

Das ging schnell: Nur drei Jahre nach Verabschiedung neuer Regeln zu medizinischen Notfällen kommt das Aus durch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Denn zuständig seien die Länder. Damit hat Deutschland eine neue Debatte.

Hand einer Pflegerin liegt auf dem Handrücken eines Patienten auf einer Intensivstation / © Harald Oppitz (KNA)
Hand einer Pflegerin liegt auf dem Handrücken eines Patienten auf einer Intensivstation / © Harald Oppitz ( KNA )

Das Nein des Bundesverfassungsgerichts zur Triage-Gesetzgebung über lebensrettende medizinische Maßnahmen sorgt für Debatten in Deutschland. So fordert die Deutsche Stiftung Patientenschutz eine Änderung des Grundgesetzes. "Wenn der Gesetzgeber das klarstellen muss, dann muss es eine Verfassungsänderung geben", sagte Vorstand Eugen Brysch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Dienstag. "Ich halte eine Lösung in 16 Bundesländern einzeln für absurd."

Das Karlsruher Gericht hatte in einem am Dienstag veröffentlichten Beschluss die derzeitige Gesetzgebung zur sogenannten Triage gekippt. "Es besteht keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die angegriffenen Regelungen", hieß es in der Mitteilung. Laut Beschluss des Ersten Senats ist zudem der Eingriff des Bundes in die Berufsfreiheit von Ärztinnen und Ärzten "verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt".

Bundesverfassungsgericht / © Uli Deck (dpa)
Bundesverfassungsgericht / © Uli Deck ( dpa )

Das Bundesverfassungsgericht habe zugleich klargestellt, dass Triage-Entscheidungen keine Gewissensentscheidungen seien, so Brysch. Das sei zu begrüßen: "Auch nach der Entscheidung muss festgestellt werden, dass der Berufsfreiheit der Ärzte Grenzen gesetzt werden."

Überraschung beim Ethikratsvorsitzenden

Überrascht vom Gericht zeigte sich der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Helmut Frister, auf Anfrage der KNA. Denn der Bundestag habe 2022 gesetzliche Regelungen beschlossen, weil das Verfassungsgericht angemahnt habe, dass der Gesetzgeber eine Regelung treffen müsse, erinnerte er. So sollte verhindert werden, dass etwa Menschen mit Behinderung bei einer Triage diskriminiert würden.

Experten sprechen von der Triage, wenn eine strikte Reihenfolge dringend zu behandelnder Patienten festgelegt wird. Dabei geht es etwa um die Frage, wer überlebenswichtige Geräte wie ein Atemgerät oder ein Intensivbett erhält, wenn nicht genügend Ressourcen für alle Patienten vorhanden sind. In der Konsequenz könnten ärztliche Entscheidungen für das Überleben Betroffener maßgeblich sein. Insbesondere während der Corona-Pandemie wurde aufgrund befürchteter Überlastungen von Kliniken über eine mögliche Triage diskutiert.

Zweifel am schnellen Handeln der Politik

Jurist Frister zeigte sich skeptisch, ob die Länderparlamente anstelle des Bundestags zügig eine neue Regelung beschließen können. "Das Bundesverfassungsgericht empfiehlt da ein koordiniertes Vorgehen. Das heißt, es müsste vielleicht über die Gesundheitsministerkonferenz koordiniert werden. Aber ob wir überhaupt jetzt eine solche Regelung kriegen, das halte ich für sehr ungewiss."

Nina Warken (CDU), Bundesministerin für Gesundheit / © Bernd Weißbrod (dpa)
Nina Warken (CDU), Bundesministerin für Gesundheit / © Bernd Weißbrod ( dpa )

Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) will zusammen mit den Ländern notwendige Schlüsse ziehen. "Wir brauchen rechtssichere Regelungen in solchen Ausnahmesituationen für Betroffene und für Ärztinnen und Ärzte, die sich in ihrer Handlungsentscheidung auf rechtssichere Vorgaben verlassen müssen", betonte sie. Der Staat habe eine Schutzpflicht gegenüber seiner Bevölkerung.

Klage von Ärztinnen und Ärzten

In Karlsruhe hatten mehrere Ärztinnen und Ärzte aus Notfall- und Intensivmedizin gegen Teile des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten geklagt. Darin regelt der Bund Kriterien für eine Entscheidung über überlebenswichtige Behandlungen.

Die Triage als ethisches Problem

Triage bezeichnet eine Methode in der Medizin, um in
Notfällen oder bei Katastrophen die Patienten zu bestimmen, die
zuerst medizinisch versorgt werden. Das Wort Triage kommt aus dem
Französischen und bedeutet übersetzt "Auswahl" oder "sortieren". Der
Begriff stammt aus der Militärmedizin und bezieht sich ursprünglich
auf die Versorgung von verletzten Soldaten auf dem Schlachtfeld. Er
wird aber auch in der Notfallmedizin oder im Zivilschutz verwendet,
etwa bei Katastrophen, Terroranschlägen oder Pandemien.

Zimmer auf der Intensivstation / © Harald Oppitz (KNA)
Zimmer auf der Intensivstation / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA