In seiner Silvesterpredigt im Kölner Dom blickt der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki auf ein bewegtes Jahr 2025 zurück. Dabei erinnert er an zentrale kirchliche Ereignisse wie das zu Ende gegangene Heilige Jahr der Weltkirche und den Tod von Papst Franziskus an Ostern. Zugleich würdigt er die Wahl von Papst Leo XIV. und die Erfahrung weltkirchlicher Verbundenheit.
Woelki benennt gesellschaftliche und kirchliche Herausforderungen: Die anhaltende Entchristlichung, die Krisen unserer Zeit sowie eine zunehmende Gottvergessenheit. Dabei greift er eine provokante These von Bischof Erik Varden auf: Die Säkularisierung sei an ihrem Ende angekommen – nicht etwa durch religiöse Erneuerung, sondern weil es schlicht nichts mehr zu säkularisieren gebe.
Differenzierte Sicht auf die Säkularisierung
Der Kardinal beschreibt eine Gesellschaft, in der Religion nicht mehr zur Deutung der Welt herangezogen wird – selbst von vielen Kirchenmitgliedern. Die verbreitete Krise werde nicht mehr wie früher durch Rückbesinnung auf Religion beantwortet, sondern durch Verdrängung. Glaube finde in Kunst, Kultur, Politik und Medien kaum noch Resonanz, während der individuelle Gottesbezug vieler Menschen erodiert sei.
Gleichzeitig plädiert Woelki für eine differenzierte Sicht auf die Säkularisierung: In maßvoller Form sei sie Teil der Aufklärung und könne positive Entwicklungen wie wissenschaftlichen Fortschritt und moralische Selbstreflexion ermöglichen. Doch ohne Gott drohe eine "unmenschliche Vernunft", wie sie totalitäre Systeme vorgemacht hätten – oder eine Leere, die Sinn nicht mehr zu füllen vermag.
"Schlüssel für das Verständnis des Daseins"
Der Kardinal betont, dass echter Sinn dem Menschen nicht aus sich selbst erwachse, sondern nur von außen – durch Gottes Wirklichkeit – geschenkt werde. Jesus Christus sei der "Schlüssel für das Verständnis des Daseins". Ohne die Bezugnahme auf Gott bleibe das tiefste Bedürfnis des Menschen unbeantwortet. Kardinal Woelki zitiert den britischen Schriftsteller Julian Barnes mit den Worten: "Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn." Dieser Satz fasse den existenziellen Zwiespalt der säkularen Moderne eindrücklich zusammen.
Gleichzeitig sieht Woelki Hoffnung in einer neuen geistlichen Sehnsucht, insbesondere bei jungen Menschen. Er zitiert erneut Bischof Varden, der eine neue Suche nach Wahrheit, Gemeinschaft und Substanz beobachte. Diese Entwicklung wertet Woelki als Anknüpfungspunkt für Evangelisierung und christliches Zeugnis. Zum Abschluss erinnert er an den Auftrag der Kirche zur Verkündigung. Das Evangelium sei die Antwort Gottes auf die bleibende Sinnsuche des Menschen. Mit dieser Wahrheit gelte es in das neue Jahr 2026 zu gehen – fragend, suchend, aber nicht allein, denn: "Der Herr geht mit."