Kardinal Tagle bezeichnet Chinas Katholiken als Geschwister

Es braucht den direkten Dialog

Konferenzen zu historischen Ereignissen versprechen nicht immer Hochspannung. Anders, wenn es um die Beziehungen zwischen Rom und Peking geht und wenn mehr als chinesisch-vatikanische Symbolpolitik gefragt ist.

Autor/in:
Sabine Kleyboldt
Kardinal Luis Antonio Tagle, Präsident der Hilfsorganisation Caritas Internationalis, während einer Zusammenkunft von Caritas-Vertretern am 22. November 2022 in Rom. / © Paolo Galosi/Romano Siciliani (KNA)
Kardinal Luis Antonio Tagle, Präsident der Hilfsorganisation Caritas Internationalis, während einer Zusammenkunft von Caritas-Vertretern am 22. November 2022 in Rom. / © Paolo Galosi/Romano Siciliani ( KNA )

Kurienkardinal Luis Antonio Tagle hat ein deutliches Bekenntnis zu den Katholiken in China abgelegt. Sie lägen ihm immer am Herzen, sagte der philippinische Kardinal, dessen Großvater mütterlicherseits aus China stammt, am Dienstag in Rom beim Kongress "100 Jahre Konzil von Shanghai".

Die Kirchenversammlung hatte 1924 Schritte für eine stärker in China verankerte Kirche in Abkehr von einer kolonialen Prägung gebracht. Mit Blick auf Shanghais Bischof Shen Bin, der vor einem Jahr von Peking ohne Abstimmung mit dem Vatikan ernannt und von Rom im Juli 2023 bestätigt wurde, erklärte der Kardinal: "Bischof Shen Bin sagte mir heute Morgen, er sehe mich als älteren Bruder. Ich sage Ihnen allen: Sie sind Brüder und Schwestern für mich!" 

Shen Bin ist auch Vorsitzender der - von Rom bislang nicht anerkannten - offiziellen Chinesischen Bischofskonferenz. Beobachter werten seine Einladung und freundliche Aufnahme beim Kongress als Zeichen für eine De-Facto-Anerkennung der Chinesischen Bischofskonferenz.

Einheit mit Rom sei entscheidend

Tagle betonte, das Konzil von 1924 habe das Ende des Okzidentalismus markiert, also der Vorherrschaft des Westens. Die Fragen und Ergebnisse von damals seien von höchster Aktualität, so der Zweite Mann der vatikanischen Evangelisierungsbehörde. Dabei gelte bis heute: Die Einheit der jeweiligen lokalen Kirche mit Rom wie auch mit den anderen lokalen Kirchen sei entscheidend.

An dem Kongress in der Päpstlichen Universität Urbaniana nahmen auch Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus China und Italien teil. Papst Franziskus äußerte sich in einer Videobotschaft. Auch Parolin betonte, die Anwesenheit von Shanghais Bischof verleihe der Konferenz besondere Bedeutung.

Pietro Parolin / © Cristian Gennari (KNA)
Pietro Parolin / © Cristian Gennari ( KNA )

Weiter sagte der Kardinalstaatssekretär, es brauche einen direkten Dialog zwischen dem Heiligen Stuhl und den chinesischen Behörden. Heute sei bei aller Inkulturation der Kirche in China - also der Einbettung des Christentums in die örtliche Kultur - eine enge Bindung an den Papst und der Gehorsam ihm gegenüber ein zentrales Anliegen, so Parolin. Der Kardinal hatte einen bedeutenden Anteil am vorläufigen 2018 geschlossenen Abkommen zwischen Peking und dem Vatikan über Bischofsernennungen.

Stabile Präsenz des Vatikans in China

Über die Aussichten auf eine erneute Verlängerung der Vereinbarung äußerte er sich zunächst nicht. Am Rande der Konferenz erklärte er: "Wir alle sind daran interessiert, es zu erneuern und auch einige Punkte weiterzuentwickeln." Parolin äußerte die Hoffnung auf eine "stabile Präsenz" des Vatikans in China. "Auch wenn dies zunächst nicht die Form einer päpstlichen Vertretung oder einer Nuntiatur annimmt, könnte es unsere Kontakte dennoch erweitern und vertiefen. Das ist unser Ziel", sagte Parolin zu Journalisten.

Die Präsidentin des Instituts für Weltreligionen der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, Zheng Xiaoyun, warb für eine lebendige katholische Kirche in China in ihrer eigenen Tradition. Heute müsse man China seinen eigenen Bürgern überlassen, forderte sie. Staatspräsident Xi Jinping sei ein leuchtendes Beispiel für Dialog und das Streben nach Frieden und Harmonie, betonte die Präsidentin eines der maßgeblichen staatlichen Think Tanks für Religionsfragen in China.

Zahlen der katholischen Kirche Chinas

Heute gebe es in China 98 Diözesen, 9 religiöse Institute, 6.000 Kirchen, 6 Millionen Gläubige und mehr als 8.000 Ordensleute, betonte sie. Für sie alle gelte "volle Garantie der Religionsfreiheit". Auch Zheng Xiaoyun äußerte die Hoffnung auf eine Erneuerung des Abkommens zwischen China und dem Vatikan.

Die Mailänder Professorin für chinesische Geschichte, Elisa Giunipero, sagte, von der Kirche in China gehe ein Anstoß zum Wandel aus, mit dem Kirche "nicht länger nur Trägerin der europäischen Kultur", sondern universell sei. Der Heilige Stuhl habe beharrlich sein Vertrauen in den chinesischen Klerus zum Ausdruck gebracht. Das habe der Kirche sehr geholfen, den Schwierigkeiten in den Jahrzehnten nach 1924 standzuhalten, so die Wissenschaftlerin.

Katholische Kirche in China

Nach Schätzungen von Experten sind rund 10 Millionen der knapp 1,4 Milliarden Einwohner der Volksrepublik China Katholiken; die Behörden verzeichnen jedoch offiziell lediglich gut 6 Millionen. Das US-Forschungsinstitut Pew geht von 9 Millionen aus. Als kleine Minderheit haben die Katholiken mit rund 100 Diözesen dennoch landesweit funktionierende Kirchenstrukturen.

Gottesdienst in Peking
 / © Gilles Sabrie (KNA)
Gottesdienst in Peking / © Gilles Sabrie ( KNA )
Quelle:
KNA