Kardinal Ramazzini über die Corona-Krise in Guatemala

"Die Situation im Land ist sehr ernst"

Auch in Guatemala grassiert die Corona-Pandemie. Die Krise trifft die Ärmsten des Landes hart. Sie können nicht einfach zu Hause bleiben, weil sie sonst kein Geld verdienen. Kardinal Àlvaro Ramazzini berichtet über die prekäre Lage in seinem Land.

Guatemala: Frauen stehen für Lebensmittelpakete Schlange / © Moises Castillo (dpa)
Guatemala: Frauen stehen für Lebensmittelpakete Schlange / © Moises Castillo ( dpa )

DOMRADIO.DE: Zunächst einmal: wie geht es Ihnen? Wie ist Ihre persönliche Situation? Können Sie arbeiten?

Kardinal Àlvaro Ramazzini (Bischof von Huehuetenango in Guatemala): Gott sei Dank geht es mir gut, aber ich bin sehr besorgt über die Situation im Land. Wir wissen natürlich nicht, was jetzt nach dieser Pandemie kommt. Direkte seelsorgerische Arbeit ist im Moment nicht möglich. Wir nutzen Radio, Telefon und E-Mail, um Nachrichten zu senden, aber es gibt derzeit auf Anweisung der Regierung keine direkte seelsorgerische Tätigkeit, um Ansteckungen zu vermeiden. Wir warten auf entsprechende Bestimmungen der Regierung, die es uns ermöglichen, unsere seelsorgerische Arbeit mit angemessenen Vorsichtsmaßnahmen wieder aufzunehmen.

DOMRADIO.DE: Für uns in Deutschland ist es fast unmöglich, selbst ein ungefähres Bild von der derzeitigen Situation zu bekommen.

Ramazzini: Die Situation im Land ist sehr ernst. Corona ist ein neues Problem, das zu den normalen Armutsproblemen noch hinzukommt. Armut ist in Guatemala ein großes Problem. Ein Zeichen der Armut ist die Migration in den Norden beispielsweise nach Mexiko und vor allem in die Vereinigten Staaten. Unser Gesundheitswesen ist ziemlich prekär. Viele Menschen haben ihre Arbeit verloren, oft Arbeit im informellen Sektor, die ihnen das Überleben von Tag zu Tag sicherte, wie der Verkauf von Obst oder Süßigkeiten auf der Straße. Aufgrund der aktuellen Ausgangsbeschränkungen und der Ausgangssperre können sich diese Menschen nun ihren Lebensunterhalt nicht verdienen.

Insgesamt hat die Pandemie bisher nicht viele Opfer gefordert: Es sind 18 Menschen gestorben, und bei rund 578 Menschen wurde die Infektion mit dem Coronavirus bestätigt. Einige von ihnen sind bereits wieder genesen, aber es wird noch lange dauern, bis alle wieder gesund sind. Im Allgemeinen versuchen die Menschen, die staatlichen Bestimmungen einzuhalten, aber vielerorts sieht man dennoch, dass die Vorschriften der Regierung missachtet werden.

Auf den Märkten treffen viele Menschen zusammen, und sie halten keinen Abstand untereinander. Masken werden verwendet, das ist positiv. Aber an vielen Orten gehen die Menschen trotz der geltenden Vorschriften aus dem Haus, obwohl sämtliche Aktivitäten ausgesetzt sind. Die Grenzen sind geschlossen, es gibt keine Flüge, mit Ausnahme einiger Flüge mit aus den USA deportierten guatemaltekischen Einwanderern. Es gibt auch keinen öffentlichen Busverkehr, weder innerhalb der Städte noch zwischen den Städten. Es gibt Kontrollen in den Gemeinden, in den Dörfern.

Die Menschen in den Dörfern organisieren sich, um zu überprüfen, wer ins Dort kommt und wer es verlässt. In vielen Gemeinden gibt es sehr strenge Kontrollen, und Menschen ohne Gesundheitszeugnis wird der Zutritt nicht erlaubt. Wir hatten Probleme mit Deportierten, denen der Zutritt zu ihren Dörfern verwehrt wurde. Aber diese Situation verbessert sich. Die Haltung der Menschen verändert sich, besonders wenn sie feststellen, dass jemand nicht mit dem Coronavirus infiziert ist.

Im Allgemeinen verfolgt die Bevölkerung aufmerksam die offiziellen Verlautbarungen.  Wir haben Hoffnung, dass diese Krise vorübergeht, müssen uns aber jetzt erst einmal der Tatsache stellen, dass das Coronavirus in unserer Gesellschaft präsent ist.

DOMRADIO.DE: Wie geht es Ihrem Land und den Menschen in der Corona-Krise? Gibt es ausreichende medizinische Versorgung in den Krankenhäusern in Huehuetenango und Umgebung? Gibt es Schutzkleidung für das medizinische Personal in ausreichender Menge und Qualität?

Ramazzini: In Huehuetenango gibt es nur ein Krankenhaus für die gesamte Region. Und die Krankenhäuser nehmen derzeit keine Notfälle an. Es gibt aber durchaus Bemühungen im Gesundheitswesen: In jeder Gemeinde gibt es Ärzte, die Tests durchführen sollen, auch wenn noch nicht ausreichend Material zur Durchführung der Tests zur Verfügung steht. Das Gesundheitswesen im Land ist ziemlich prekär. Die Regierung hat bereits zwei Krankenhäuser gebaut und plant den Bau von zwei weiteren, um die Menschen behandeln zu können.

Diese Pandemie macht die Mängel unseres Gesundheitssystems deutlich. Ich denke, es wird eine gute Gelegenheit sein, die notwendigen Reformen durchzuführen, um das Gesundheitswesen zu verbessern. Die Regierung ist daran sehr interessiert und ist sehr darum bemüht, das auch zu schaffen. Vor Ort bemängeln die Ärzte, dass sie nicht ausreichend für die aktuelle Situation ausgestattet sind. Aber, soweit ich weiß, versucht der Staat, Schutzkleidung in ausreichender Menge und Qualität zur Verfügung zu stellen.

Ich glaube jedoch, dass in diesem Bereich noch viel zu tun ist, und wir brauchen viel mehr Unterstützung von anderen Ländern, die uns helfen können. Sowohl Ärzte als auch Krankenschwestern sind bereit, sehr hart zu arbeiten. Aber, wie gesagt, gibt es weiterhin große Probleme, überall genügend Tests und Nachsorgeuntersuchungen anzubieten, um überprüfen und feststellen zu können, wer infiziert ist und wer nicht.

DOMRADIO.DE: Wir lesen von Menschen, die mit weißen Fahnen an den Straßen um Lebensmittel bitten oder die Fahnen an ihren Häusern befestigt haben, weil sie hungern. Kann der guatemaltekische Staat diese Notsituation abfedern? Gibt es Hilfsprogramme der Regierung? Sind diese Programme sinnvoll und erreichen die Menschen in Not?

Ramazzini: Eines unserer großen Probleme ist, dass viele Menschen nicht genug zu essen haben, vor allem diejenigen, die im informellen Sektor arbeiten, keinen festen Lohn verdienen oder die entlassen wurden. Eine wichtige Aufgabe ist es jetzt also, den Menschen zu helfen, damit sie genug zu essen haben. Ich glaube, das ist momentan die größte Herausforderung, vor der wir stehen - außer der Herausforderung einer Eindämmung der Pandemie.

Hier in Guatemala ist das Problem der chronischen Unterernährung, vor allem bei Kindern, auch ohne Corona sehr ernst. Es fehlt eine gesunde und reichhaltige Ernährung, das ist ohnehin eine große Herausforderung für viele Menschen im Land, und jetzt, wo es keine Arbeit gibt, verschärft sich dieses Problem natürlich noch. Die Regierung hat es geschafft, den Kongress zur Bewilligung von Millionenkrediten zu bewegen, aber die entsprechenden Bestimmungen zur Verwendung dieser Kredite für die Bereitstellung von Lebensmitteln wurden noch nicht umgesetzt.

Ein Problem ist immer, festzustellen, welche Personen wirklich bedürftig sind und wer sich vielleicht noch in einer besseren Situation befindet als andere. Von Seiten des guatemaltekischen Staates gibt es eben diese vom Kongress bewilligten Millionenkredite. Hier brauchen wir jetzt eine Sozialstatistik, damit das Geld dafür ausgegeben werden kann, das Problem des Hungers zu lösen und Lebensmittel bereitzustellen.

Es gibt Initiativen von Seiten der Pfarreien und Bistümer und der Regierung. Sie arbeiten daran, die Hilfe auf der Grundlage der vom Kongress genehmigten Kredite zu organisieren. Ich habe gerade in diesen Tagen mit dem Landwirtschaftsminister gesprochen, der sich darum kümmern wird, Lebensmittel in die am stärksten vom Hunger betroffenen ländlichen Gebiete zu bringen, aber es gab hier einige bürokratische Probleme, aufgrund derer nicht alle vom Welternährungsprogramm zur Verfügung gestellten Mittel auch wirklich eingesetzt werden konnten.

Wir haben auch versucht, mit Vertretern internationaler Organisationen in Kontakt zu treten, um zu sehen, wir sie uns helfen können, den Menschen die so dringend benötigten Lebensmittel zukommen zu lassen. Es gab auch große Bereitschaft von Seiten von Unternehmen, vor allem Unternehmen, die Lebensmittel produzieren wie beispielsweise Incaparina, ein Getränk auf Basis von Mais und anderen Getreidesorten, das sehr nahrhaft ist, und auch von Seiten anderer Unternehmen, die ihren Beitrag leisten wollen.

Jetzt prüfen wir gerade, ob die Lebensmittelprogramme der Regierung wirklich bei den Menschen ankommen, und als Katholische Kirche sind wir bereit, unsere logistischen Strukturen zur Verfügung zu stellen, um hier Hilfe zu leisten.

DOMRADIO.DE: Wir gehen davon aus, dass die katholische Kirche versuchen wird, den Menschen zu helfen. Wie weit ist das möglich?

Ramazzini: Von Seiten der Kirche hat die Bischofskonferenz eine Initiative mit dem Titel "Gebt ihr ihnen zu essen" gestartet. Dieser Titel bezieht sich auf einen Text aus dem Lukasevangelium, auf die wundersame Brotvermehrung. Und wir wollen den christlichen Gemeinden, sowohl katholisch als auch nicht-katholisch, die Botschaft vermitteln, dass wir uns gegenseitig helfen können. Jeder, der eine Familie in Not kennt, kann mit dieser Familie teilen, vor allem Lebensmittel.

Die Idee dahinter ist, sich von Familie zu Familie zu helfen. Wir treiben diese Initiative in den Kantonen, in den ländlichen und städtischen Gegenden, im ganzen Land, voran. Es geht darum, dass Familien anderen Familien helfen können.

Andererseits sind wir dabei zu prüfen, wie wir Geldmittel aufbringen können, um bedürftigen Familien die nötige Unterstützung zu gewähren. Das sind die Maßnahmen, die wir ergreifen. Außerdem versuchen wir, über Radio und Kabelfernsehen ein Bewusstsein für die Situation zu schaffen.

DOMRADIO.DE: Was können wir von Deutschland aus tun?

Ramazzini: Wie können Sie uns von Deutschland aus unterstützen? Zunächst einmal dadurch, dass wir uns im Gebet vereinen, uns gegenseitig spirituell unterstützen. Es handelt sich um eine globale Krise, die auch globale Antworten erfordert. Und in diesem Sinne kann unsere christliche Spiritualität aus unserem Glauben heraus, unsere Gemeinschaft im Glauben, nun eine Gemeinschaft im Gebet zur gegenseitigen Unterstützung sein.

Zweitens dürfen wir uns nicht aus den Augen verlieren. Auch wenn sich die Situation bessert oder sie bei uns nicht so extrem ist wie in Italien oder Spanien, kann Solidarität aus Deutschland auch darin bestehen, dass Sie an uns denken. Helfen können Sie uns nun durch wirtschaftliche Unterstützung. Wenn wir als Katholische Kirche Geld zur Verfügung haben, können wir Lebensmittel kaufen und diese den Menschen bereitstellen, die sie am dringendsten brauchen. Leider können unsere Bistümer und Vikariate immer nur sehr kurzfristig wirtschaften. Wir haben keine großen finanziellen Rücklagen, und ich glaube, was wir jetzt benötigen, ist wirtschaftliche Hilfe.

Ich bin überzeugt, dass wir diese Krise gemeinsam überstehen können. Wenn Sie uns von Deutschland aus durch die Spende von Beatmungsgeräten helfen könnten, die uns als Reserve dienen können, wäre das sehr hilfreich. Tests oder medizinisches Material zur Durchführung der Tests würden ebenfalls sehr helfen, um feststellen zu können, ob Menschen wirklich mit dem Coronavirus infiziert sind. Ich glaube, das wäre uns eine große Hilfe: medizinisches Material für die Diagnose und Beatmungsgeräte.

Das Interview führte Oliver Kelch.

Information: Spenden für Guatemala sind unter folgender Angabe möglich, Solidarisches Handeln Gasthaus e.V., IBAN: DE72 4265 0150 0000 0292 15, Stichwort "Guatemala".


Kardinal Alvaro leonel Ramazzini Imeri / © Paolo Galosi (KNA)
Kardinal Alvaro leonel Ramazzini Imeri / © Paolo Galosi ( KNA )

Corona-Krise: Auf einem Markt in Guatemala / © Moises Castillo (dpa)
Corona-Krise: Auf einem Markt in Guatemala / © Moises Castillo ( dpa )
Quelle:
DR