Kardinal Meisner zur Seligsprechung seines Weggefährten Papst Johannes Paul II.

"Großer Mensch, großer Christ"

Er hat ihn 1983 in den Kardinalsstand erhoben und sechs Jahre später ins Erzbistum Köln geschickt. Sie haben beide im Kommunismus den Katholizismus am Leben erhalten: Doch Karol Józef Wojtyla und Joachim Meisner, Papst Johannes Paul II. und den Kölner Kardinal verbindet noch viel mehr. Im sehr persönlichen domradio.de-Videointerview blickt Kardinal Meisner zurück auf die gemeinsame Wegstrecke bis hin zum Weltjugendtag 2005.

 (DR)

domradio.de: Sie sind Zeitzeuge, Herr Kardinal. Sie kannten Papst Johannes Paul II. nicht nur durch die Medienwelt. Ein Kölner Erzbischof hat wie jeder katholische Bischof keine Kinder. Aber wenn Sie Kinder hätten, oder gar Enkelkinder, wie würden Sie denen von diesem großen Papst erzählen?

Joachim Kardinal Meisner: Also ich würde ihnen erst einmal erzählen, dass er zweimal Gast hier in diesem Haus war. Und dass er gut gegessen hat, dass er gut singen und noch besser beten und predigen konnte. Die Kinder stellen dann ja Fragen. Und bei Kindern kommt man nie in die Gefahr, auf Fragen zu antworten, die die gar nicht haben. Darum stellen die immer Zwischenfragen. Und das sollte sich ein Journalist auch angewöhnen.



domradio.de: Dann frage ich einfach mal dazwischen: Was war das denn für ein Mensch?

Kardinal Meisner: Das war ein großer Mensch als Sportler, als Kollege; er war ein großer Christ, muss man sagen. Und zwar in allen Variationen. Und der Echtheitstest war dann in seiner Passion, in seiner Krankheit. Ich bin ihm das letzte Mal begegnet Ende Januar 2005, das war der letzte Tag in der Gemelli-Klinik, als er mich rufen ließ und mich im Hinblick auf den bevorstehenden Weltjugendtag fragte, ob wir in Köln noch damit rechnen würden, dass er kommt. Da habe ich natürlich gesagt: Und wie wir damit rechnen, dass Sie kommen. Und habe mich zu ihm ans Bett gebeugt, und man sah dass er schwer leidend war. Er hatte auch schon den Luftröhrenschnitt, da habe ich ihn an den Knöcheln angefasst und merkte schon, wie dünn er geworden war. Da sagte ich: Heiliger Vater, ich lasse Sie jetzt nicht los, bevor Sie mir nicht versprechen zu kommen. Und da hat er trotz seiner Schmerzen ein bisschen gelächelt und gesagt: ich komme, aber wie, das bestimmt ja der da oben. Und dann kam er ja auch. Ich habe immer gesagt: Das war der erste Weltjugendtag mit zwei Päpsten, einer von oben und einer von unten. Deswegen ist er so gut gelungen.



domradio.de: Herr Kardinal, Sie haben uns gerade von der letzten Begegnung erzählt, die sich sicher einprägt. Wir haben auch viele Bilder des kranken Papstes. Aber als Sie ihn kennenlernten, bei der ersten Begegnung, da war er sicher ein ganz vitaler Christenmensch, oder?

Kardinal Meisner: Also ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich bin ihm das erste Mal 1975 begegnet in Erfurt. Da machte er mir einen älteren Eindruck als dann als Papst. Das war eigentümlich. Ich habe das schon öfters gesagt, und das ging manch einem so: Der Kardinal Wojtyla hat sich ganz zurückgenommen und stand ganz im Schatten von Kardinal Wyszynski, das war im Kommunismus wichtig, dass man eine Spitze hatte und dass man sich nicht gegeneinander ausspielen ließ. Als General de Gaulle auf Staatsbesuch in Polen war, da war als Gesprächspartner Kardinal Wyszynski vorgesehen. Und das hat die Regierung hintertrieben, und sie sind einfach unangemeldet bei Wojtyla erschienen, um zu sagen: Es gibt hier zwei Spitzen. Und Wojtyla hat das noch rechtzeitig gehört und ist in die Tatra gefahren und hat gefirmt. Und als der General mit der ganzen Delegation ankam, sagte man ihnen: Tut uns leid, der Kardinal ist in der Tatra in einem Dorf und hält die Firmung ab. Das war typisch für ihn, er hat sich zurückgenommen und trat gar nicht so sehr in Erscheinung, und der Primas war in Polen die prägende Figur. Und erst als er Papst wurde, ist Wojtyla hinter dem Rücken Wyszynskis hervorgetreten und da sah man, was das für ein dynamischer, ja jugendlicher Typ war.



domradio.de: Ich bleibe noch einmal bei diesem dynamischen, jugendlichen Typ. Kinder würden ja da sicher auch nachfragen. Es sind ja Sportbilder von ihm bekannt: beim Bergsteigen, beim Skifahren. Quellen sprechen davon, dass er über einhundert Mal den Vatikan verlassen hat, alleine um Ski zu fahren. Haben Sie ihn sportlich erlebt?

Kardinal Meisner: Also nie! Und ich glaube auch nicht, dass er über hundert Mal den Vatikan heimlich verlassen hat. Das ist meines Erachtens gar nicht möglich gewesen. Aber ab und an, das ist ja durch Fotos belegt, und das wird ja auch von seinem Sekretär, dem jetzigen Kardinal von Krakau bestätigt.



domradio.de: Sie haben eben schon den Primas Wyszynski angesprochen. Der hat gesagt, als es dann so weit war, das Johannes Paul II Papst war: Wir werden Löcher für Dich in die Steine beten, um Dich zu unterstützen. Was war das für ein Verhältnis zum polnischen Volk? Wie haben Sie das erlebt?

Kardinal Meisner: Wyszynski hat es anders gesagt. Bei der Abschlussaudienz, als die polnische Delegation, die zu seiner Inauguration gekommen war, sich von ihm in der Audienzhalle verabschiedete, da hat er gesagt: Heiliger Vater, wir werden heute noch niederknien und Löcher in die Steine beten für Dich. Ich werde es nicht vergessen: Ich konnte ja bei der Inauguration nicht dabei sein, ich habe es im Fernsehen gesehen. Und da wurde ein Hotel in Krakau gezeigt, wo die Leute ganz gebannt vor dem Fernseher saßen. Und als er das Pallium übereicht oder umgelegt bekommen hat, da zündete sich unter den Zuschauern ein junger Mann eine Zigarette an, und da sagte die benachbart Stehende: Mein Gott, bei so einem Ewigkeitsaugenblick eine Zigarette anzünden. Worauf eine andere sagte: Der ist so nervös, der kann die Spannung nur mit einer Zigarette ertragen. Also, das war für die Polen natürlich das Ereignis schlechthin - bis heute noch. Man muss immer bedenken: Das war der erste slawische Papst. Und sie konnten sich mit diesem Papst auch sehen lassen und sie standen wie ein Mann hinter dem Papst. Und bis heute kann man alles kritisieren, auch Bischöfe werden kritisch in die Mangel genommen, aber keiner darf etwas gegen den Papst sagen, gegen Johannes Paul sagen. Das hat mir auch immer der damalige Staatssekretär für Kirchenfragen gesagt.



domradio.de: Wie bewerten Sie die Rolle Johannes Pauls gerade beim Zusammenbruch des Sozialismus’ und Kommunismus’? Sie sind ja selbst auch jemand, der durch seine eigene Vita den Kommunismus kennengelernt hat.

Kardinal Meisner: Er war natürlich einer der wesentlichen Faktoren, dass der Kommunismus zerfallen ist. Das will man heute gar nicht mehr wahrhaben, aber es ist de facto so. Polen war immer ein Stachel im Corpus socialisticum. Das hat mir auch immer der damalige Staatssekretär für Kirchenfragen Klaus Gysi gesagt. Zum Beispiel gab es im Sozialismus nirgendwo karitative Einrichtungen wie Kindergärten. Nur in der DDR, und zwar aus dem einen Grund: 1945 hatte die Kirche die Einrichtungen wiederbekommen, die die Nazis ihr weggenommen hatten. Die DDR selbst war 1949 Staat geworden, und da wollten sie uns das nicht wieder wegnehmen, damit es nicht heißt: Sie sind ja wie die Nazis. Und da uns Gysi immer gesagt: Versuchen Sie, das zu verschweigen. Bringen Sie das nicht dauernd in die Öffentlichkeit mit ihren Statistiken, wie viel karitative Einrichtungen, Altenheime, Krankenhäuser usw. Sie haben, denn wenn wir Kirchensekretäre des Sozialismus zusammen sitzen, dann werden die Polen immer aufmüpfig und sagen: Was die Deutschen haben, wollen wir auch haben, und wir sind noch stärker als die. Und da sagte Gysi immer: Die Polen machen uns schon Ärger genug in unserem sozialistischen System. Und die wussten sehr genau, dass in Polen - da komme ich noch einmal auf Wyszynski  zurück - der Chef der äußeren Führung Kardinal Wyszynski war, aber der viel gefährlichere Chef der inneren Führung war Wojtyla. Und als der Papst wurde, ging ein großes Erschrecken um, denn da hatte sich die Kraft potenziert, das hat man sehr richtig erkannt. Und sofort traten die ersten Risse im Haus des Sozialismus’ auf - das ging ja sofort mit Solidarnosc los. Und der Papst hatte die Solidarnosc immer gestärkt in seiner sehr klugen, zurückhaltenden Art. Und seine Besuche - der erste Besuch schon 1979 und auch bei den folgenden Besuchen - haben dem System einfach den Boden unter den Füßen weggezogen. Der Papst hat nie politische Aktionen initiiert, aber seine Verkündigung, nämlich dass der Mensch Geschöpf Gottes ist und dass er Gott entsprechend leben muss, damit er sich nicht selbst verfremdet, hat einfach dem Kommunismus den Boden unter den Füßen weggezogen.



domradio.de: Das war ja der Aspekt, dass sich Johannes Paul schon während des Zweiten Vatikanischen Konzils gerade für die Religionsfreiheit eingesetzt hat. Das lag ihm sehr am Herzen. Das war sozusagen der Hebel, mit dem er ...

Kardinal Meisner: Nein, nein, die Religionsfreiheit ist nur die Konsequenz des christlichen Menschenbildes gewesen. Wir haben das Wort Religionsfreiheit gar nicht benutzt, weil es so ein politischer Begriff war. Wir haben immer nur gesagt: Wir sind Christen und zu Christen gehört der Gottesglaube und der Gottesglaube will praktiziert werden. Und da lassen wir uns nicht beeinflussen. Das ist ein Menschenrecht, das uns genommen wird. Und natürlich hat das einen Namen, nämlich Religionsfreiheit. Und das stand ja in allen Verfassungen des Sozialismus drin, dass die Religionsfreiheit garantiert ist. Das steht ja auch in den Verfassungen heutiger Systeme, die noch dem Kommunismus anhängen. Aber es ist immer so interpretiert worden: Ihr könnt doch ein paar Bücher drucken, im Benno-Verlag meinetwegen, wenn ich an die DDR denke, und Ihr könnt ja auch Gottesdienste feiern, aber ein Christ kann nichts werden. Der konnte kein Journalist werden, der konnte in der Politik nichts werden. Der Christ, der wirklich auf seinem Bekenntnis bestanden hat, nicht einer, der sich so gewunden hat, dass vom Christentum nicht mehr viel übrig blieb. Diese Typen gab es ja auch.



domradio.de: Umso wichtiger, dass gerade so ein Mann Papst werden konnte. Das hat entsprechende Stärkungen und Veränderungen bewirkt, wie Sie es gerade geschildert haben. Lassen Sie uns vielleicht noch ein bisschen auf die Beziehung zu sprechen kommen, die Karl Wojtyla, der spätere Papst Johannes Paul II, zum deutschen Volk hatte. Er hat sich 1965, so kann man lesen, stark eingesetzt, er war bei dem Brief mit dabei, den die polnischen Bischöfe an ihre Amtsbrüder in Deutschland geschrieben haben, und erhat sich für Versöhnung eingesetzt. Kann man das als einen roten Faden betrachten, der sich da durch zog? Gab es ein sehr enges Verhältnis zwischen dem polnischen Papst und den Deutschen? Er sprach ja auch Deutsch.

Kardinal Meisner: Der Papst war natürlich, sagen wir mal so, rein menschlich gesehen, ein Genie. Er hat in der Nazi-Zeit, als er im Steinbruch gearbeitet hat, aber im Geheimen im Rhapsodie Theater mitgewirkt hat, Deutsch gelernt, um Max Scheler und andere deutsche Philosophen zu lesen. Er ist diesbezüglich ein Autodidakt. Er hat nirgendwo Deutschunterricht gehabt. Insofern war er der deutschen Geistlichkeit sehr verbunden. Und Sie dürfen auch nicht vergessen: Er stammt ja aus Wadowice, das gehört zu Galizien, das gehörte ja bis zum Ersten Weltkrieg zu Österreich. Also Johannes Paul war dem Deutschtum gar nicht fremd. Und dann, als er Bischof war, da gab es natürlich viele Kontakte zum Deutschtum. Ich will mal so sagen: Die polnischen Bischöfe in der DDR-Zeit, also zur Zeit des Kommunismus, haben viele Deutschlandbesuche gemacht, sind immer durch die DDR gefahren, haben uns aber nie besucht. Wahrscheinlich, weil wir genauso arm waren wie sie, bei uns war auch nichts zu holen. Der einzige, der uns besucht hat, war der Erzbischof von Krakau, der sagte: Das ist so eine kleine Kirche, der statte ich einen Besuch ab. Und insofern war er immer schon außergewöhnlich, und das fiel uns allen auf. Er hat damals bei uns in Erfurt gewohnt, er hat in Görlitz für eine Nacht in einem kleinen Bischofshaus und in Berlin gewohnt. Und die Schwestern sagen in allen drei Häuern: Mein Gott, wir haben noch erlebt, dass jemand so früh runter in die Kapelle geht, um zu beten, früh um fünf. Und dann hat er da zwei Stunden gebetet, bis dann um sieben Uhr die Heilige Messe gefeiert wurde. Er hat die deutsche Literatur wirklich beherrscht, er hat mir manchmal große Passage von Goethe und Schiller zitiert. Und ich habe mir immer gedacht: Wenn er mich bloß nicht fragt, aus welchen Werken das ist. Oder, was mir unvergesslich ist, 1991, am 10. Jahrestag des Attentates, ist er in Fatima gewesen, und wir haben ihn begrüßt, am 13. Mai, und da sagte ich: Heiliger Vater, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Da sieht er mich an, ging weg und kam sofort zurück und sagte: Ja, Sie haben recht, das erste Leben wurde mir gegeben, das zweite wurde mir geschenkt. Welcher Deutsche kann so mit unserer Sprache umgehen? Das erste wurde mir gegeben, das zweite wurde mir geschenkt.



domradio.de: Wir haben jetzt viel über den Menschen Johannes Paul gesprochen, wir haben auch über seine politische Bedeutung gesprochen. Welches Vermächtnis hat er der Kirche hinterlassen?

Kardinal Meisner: Das hat er, meine ich, ausgesprochen in seinem berühmten Schreiben zur Jahrtausendwende: Wie wird der Weg der Kirche ins neue Jahrtausend sein? Die Heiligkeit! Und das war er! Es gibt so Aufnahmen, was er bei den großen Gottesdiensten im Ausland manchmal gepredigt hat. Da stand er dann da mit seinem Kreuz, und das Kreuz war so ganz an ihm, das war praktisch eine Figur, Kreuz und Johannes Paul. Das war der Papst. Das war er. Das Kreuz war so eingewachsen in seine Person, dass es eine Figur war.



domradio.de: Er hat selber selig gesprochen, er hat wie nie zuvor ein Papst eigentlich Menschen seliggesprochen. Das war ihm ganz wichtig. Über 1.300. Über 400 Leute hat er heiliggesprochen. Warum war ihm das so wichtig?

Kardinal Meisner: Das hängt mit meiner Aussage zusammen, dass er gesagt hat, dass sei der Weg der Kirche ins neue Jahrtausend, die Heiligkeit, dass das möglich ist. Das sind nicht irgendwelche Übergeister, die heilig oder selig werden, das sind ganz normale Menschen wie wir. Und darum hat er so viele selig- und heiliggesprochen. Hier in diesem Raum bin ich ja verhört worden im Seligsprechungsprozess. Das ging mindestens fünf Stunden lang, über alle Nuancen seines Lebens und dann fragt mich doch zum Schluss einer, ob ich denn glaube und überzeugt sei, dass der Papst an das geglaubt hat, was er gesagt hat. Da habe ich auf den Tisch gehauen und gesagt: Hören Sie mal, der Papst war ein anständiger katholischer Christ, der hat doch kein Theater gespielt! Da meinten die anderen: Eminenz, beruhigen Sie sich. Das ist der Advocatus diaboli, der muss solche Fragen stellen.



domradio.de: Ich stelle noch einmal die Frage nach Ihrem ganz persönlichen Verhältnis. Er ist ja auf Sie aufmerksam geworden, und es erscheint uns als außenstehende Beobachter immer so, als habe es eine sehr gute Beziehung gegeben.

Kardinal Meisner: Ja, ich will mal so sagen: Es hat sich so ergeben. Da gab es keine große Erklärung: Du bist mir lieb und teuer oder so. Sondern ich habe mich von ihm sofort angenommen und verstanden gewusst. Wir hatten theologisch die gleiche Wellenlänge. Und wir mochten uns auch menschlich, und ich war immer sehr froh, wenn er mich wieder kommen ließ. Immer wenn ich in Rom war, musste ich seinen Sekretär anrufen und sagen: Ich bin von dann bis dann in Rom. Und dann musste man sich bereithalten, am Mittag oder Abend zum Essen eingeladen zu werden. Und ich muss sagen: Ich denke, dass ist fast immer passiert. Aber ich meine, das war keine Pflichtübung für ihn, sondern er hat sich gefreut, wenn ich kam. Beim Mittagessen, wenn wir fertig waren, dann lümmelte er sich so richtig auf den Tisch. Und ich sagte: Heiliger Vater, Sie müssen dann gleich wieder anfangen, Sie haben den ganzen Tag unten Audienzen gehabt. Legen Sie sich jetzt hin. Ach, sagte er, bleib noch etwas da. Und er hat nicht vielgeredet, aber stellte ganz gescheite Fragen. Ich habe dann auch manchmal gefragt. Ich wird nie vergessen, wie ich fragte: Heiliger Vater, ich bin auf dem Gebiet, in das ich die meiste Kraft und geistliche Energie investiere, am erfolglosesten, nämlich in dem Anliegen um geistliche Berufung. Da sagte er: Du brauchst keine Angst zu haben, dass das umsonst war. Die Bemühungen werden dann in anderen Regionen zum Zuge gekommen sein. Wir müssen das dem Schöpfer, dem Erlöser, in die Hände geben. Bitte den Herrn um Ernte und Arbeit. Man muss sich ja manchmal schon wundern, aus welchen Regionen geistliche Berufung kommt, wo man es gar nicht vermutet. Und wo man es vermutet, kommt keine. Das heißt, wir setzen unsere Kraft der Nachfolge Christi ein, und verteilen tut das der Herr der Kirche. Also mach ja weiter und lass Dich nicht entmutigen.



domradio.de: Wenn wir zurückblicken, hat es ja dann viele Begegnungen gegeben, auch privater Natur. Welches Bild hat sich bei Ihnen in die Erinnerung eingegraben? Woran denken Sie gern zurück?

Kardinal Meisner: Es gibt gar keine Einzelbegegnung, bei der ich sagen würde, die war so besonders markant. Ich kann nur sagen: Es war immer schön, man fühlte sich bei ihm wie zuhause. Sie müssen immer daran denken: Ich habe ja 1945 meinen Vater verloren, da war ich 11 Jahre alt, aber der Vater war vorher ja schon im Krieg - ich habe eigentlich schon im siebten Lebensjahr den Vater verloren, als er dann nicht mehr zuhause war. Er kam einmal im Jahr acht Tage auf Urlaub und so weiter. Und ich habe in Johannes Paul so eine Vaterfigur gefunden, in dessen Gegenwart ich mich, schlicht gesagt, wohl fühlte, mich angenommen wusste. Da habe ich mir immer gesagt: So muss es sein, wenn man als älterer Mensch noch den Vater hat. Also ich bewundere oder ich beneide auch manchmal, wenn ich so Jugendliche sehe, 18- oder 20-jährige, mit ihrem Vater, wo der Vater vielleicht wie ein Bruder ist. Also nicht mehr so, wie ich das erlebt habe. Sieben Jahre und dann der Vater 30 Jahre, diese große Differenz. Und so ging es mir dann bei Papst Johannes Paul, ich habe immer, wenn er kam, den Kniefall gemacht und seine Hand geküsst. Das hat er manchmal so komisch nachgemacht Er hat mal gesagt: Lass das sein. Und da habe ich gesagt: Heiliger Vater, damit Du nicht vergisst und ich nicht vergesse, dass Du der Papst bist, deshalb mache ich das. Aber das hat unserer Vertrautheit überhaupt keinen Abbruch getan.  



domradio.de: Der Heilige Vater war für Sie, wie wir gerade gehört haben, auch noch mehr. Jetzt steht die Seligsprechung an. Verraten Sie uns zum Abschluss vielleicht noch, wie Sie an dieser Seligsprechung teilnehmen werden?

Kardinal Meisner: Ja, ich werde natürlich dort sein. Ich bin mit den Bischöfen und der Liturgiekommission die ganze Woche auf einer Studienreise in Polen. Wir werden am Freitag, also einen Tag früher, Schluss machen und nach Hause kommen und am Samstag sofort nach Rom fahren. Ich habe mich noch gar nicht erkundigt, ich hoffe, dass wir Kardinäle bei dem Gottesdienst wenigstens konzelebrieren können, zumindest wir Kardinäle, die wir von ihm kreiert worden sind. Und da ich ja zu den ganz alten Kardinälen gehöre, ich bin ja im 29. Kardinalsjahr, hoffe ich, dass ich dabei sein kann. Ich freue mich wirklich auf diesen großen Tag. Ich habe ja schon, das kann ich hier verraten, was man eigentlich gar nicht darf, ich habe mir einmal von einer Künstlerin so ein kleines Medaillon, vielleicht so fünf Zentimeter groß, vom Papst mit einem Heiligenschein machen lassen. Das habe ich immer im Schrank verwahrt und gesagt: Das ist, damit Du siehst, ich rechne wirklich damit, dass ich zu meinen Lebzeiten noch die Seligsprechung erleben werde. Dieses Medaillon kann ich nun ab ersten Mai offen zeigen. Bisher hab ich nur privat reingeguckt.



domradio.de: Herzlichen Dank Herr Kardinal, dass Sie uns so ausführlich und auch so privat von Johannes Paul berichtet haben. Wir kennen ihn vielfach nur durch die Medien oder waren ganz hinten im Gottesdienst. Sie haben weite Strecken Ihres Lebens mit ihm gemeinsam erlebt. Viel Spaß, viel Glück, viel Segen in Rom bei der Seligsprechung!

Kardinal Meisner: Ich hätte ja noch etwas zum jetzigen Papst sagen sollen: Der jetzige Papst ist ein Zwillingsbruder, dem Geiste nach, von Johannes Paul II, denn er hat mir immer gesagt: Das theologische Niveau meines Pontifikates habe ich Ratzinger zu verdanken. Und Johannes Paul II hat eben das Glück gehabt, dass er sehr, sehr gute Mitarbeiter hatte.



Interview: Ingo Brüggenjürgen