Seligsprechung belebt Erinnerungen an Karol Józef Wojtyla

Ein Papst und ein besonderer Mensch

Wer in Rom nach Erinnerungen an Johannes Paul II. fragt, trifft auch sechs Jahre nach dessen Tod oft auf leuchtende Augen, in denen sich nach wenigen Sätzen mitunter noch immer Tränen der Trauer zeigen. "Er war ein großartiger Papst; einer, der nahe bei den Leuten war", sagt der Hausmeister eines großen Mietshauses in Sichtweite zum Vatikan, und fügt hinzu: "Er fehlt uns!"

Autor/in:
Ludwig Ring-Eifel
Johannes Paul II. schmückt Pilgersouvenirs (KNA)
Johannes Paul II. schmückt Pilgersouvenirs / ( KNA )

Jahrelang hatte er ein Plakat im Hausflur aufgehängt, das einen von Krankheit gezeichneten, aber freundlich lachenden Papa Giovanni Paolo II. zeigte. Darunter stand ein Satz, den der polyglotte Pontifex einmal im römischen Dialekt bei einem Treffen mit Pfarrern gesagt hatte: "Semo Romani, volemo se bene!" (Wir sind Römer, wir mögen einander). Seine Popularität verdankte der Papst aus Polen vielen Faktoren, und bei seiner bevorstehenden Seligsprechung werden sie hervorgekramt wie Souvenirgegenstände, die an einen verstorbenen Freund oder Verwandten erinnern.



Mitarbeiter der römischen Müllabfuhr (die er alljährlich zu Weihnachten besuchte), polnische Pilger, Vatikanjournalisten, Diplomaten und Millionen Katholiken auf allen Kontinenten, die ihn auf seinen mehr als 100 Reisen erlebt haben - jeder hat ganz persönlichen Erinnerungen an ihn. Dazu gehören die fast schon "kanonischen" Bilder der Zeitgeschichte von der ersten Predigt im kommunistischen Warschau, vom Attentat auf dem Petersplatz und der Begegnung mit Ali Agca im Gefängnis.



Dazu gehört auch das Treffen mit den Führern der Weltreligionen in Assisi; die Begegnung mit dem polnischen Kommunistenbezwinger Lech Walesa; das Händeschütteln mit Michail Gorbatschow; der Zettel in der Jerusalemer Tempelmauer; die mahnend erhobene Hand bei einer Ansprache gegen George Bushs Irak-Krieg - und schließlich der letzte wortlose Segen des Sterbenskranken vom Fenster seiner Wohnung im Apostolischen Palast.



Dazwischen mischen sich unzählige weitere Erinnerungen von seinen Reisen und Auftritten aus fast 27 Jahren Pontifikat (1978-2005) und aus den Jahrzehnten davor. Bei kaum einem anderen Papst in der 2.000-jährigen Kirchengeschichte gehen die Faszination für die Person und der Respekt vor dem Amt eine so enge Verbindung ein wie bei Karol Józef Wojtyla. Neben der Persönlichkeit und der Aura, die er ausstrahlte, trug dazu auch das Biographische bei.



Es ist ein Leben, das jedes Drehbuch sprengen würde

Früh verliert er Geschwister und Eltern. In den Kriegswirren flieht er vor den Nazis und der Roten Armee. Im Untergrund spielt er Theater und führt Regie; er studiert Theologie und arbeitet im Steinbruch. Eine KZ-Überlebende rettet er, indem er sie zum Bahnhof trägt. Der junge Priester lernt mehrere Fremdsprachen, engagiert sich in der Hochschulseelsorge und begeistert sich fürs Bergsteigen und Skifahren. Als Erzbischof von Krakau leistet er den Kommunisten hartnäckig und listig Widerstand. Als Papst trägt er entscheidend dazu bei, ihr Machtmonopol in Polen und dann im gesamten Ostblock zu brechen.



Die in seiner Jugend angelegte Freundschaft zu den Juden trägt ihn bis zur diplomatischen und theologischen Aussöhnung mit dem Staat Israel und den "älteren Brüdern im Glauben". Sein in persönlicher Diktaturerfahrung verwurzelter Antikommunismus ist noch viele Jahre später selbst in der Auseinandersetzung mit Befreiungstheologen in Lateinamerika zu spüren. Und die Begeisterung für die Jugend- und Studentenseelsorge schlägt sich in seiner bis heute erfolgreichen Idee der "Weltjugendtage" nieder.



Für viele ältere Menschen war er, insbesondere in den Jahren seiner schweren Krankheit, ein Vorbild ohnegleichen. Parkinson-Krankheit, schwere Gehbehinderung und schließlich die Hinfälligkeit der letzten Monate verbarg er nicht, sondern lebte sie öffentlich. Die Etikette "am Hofe" Seiner Heiligkeit durchbrach er immer wieder neu. Immer wieder floh er spontan aus dem goldenen Käfig des Apostolischen Palastes, um bei einem Ausflug in seinen geliebten Bergen Atem zu holen und neuen Überblick zu gewinnen. Legendär sind auch die Tafelrunden, zu denen er fast täglich Bischöfe und Ordensleute, aber auch Jugendfreunde und Philosophen an seinen Mittagstisch lud.



Die Anregungen aus dem persönlichen Gespräch zog er dem Aktenstudium vor - was für den Chef einer weltumspannenden geistlichen Organisation Vor- und Nachteile hatte. Auch der Regierungsstil Johannes Pauls II. war charismatisch. Die Gefahren dieser Zuspitzung auf eine Person und ihre Stärken wurde deutlich, als die Kräfte des Papstes in den letzten Jahren seiner Amtszeit dramatisch schwanden. Das Amt, das von seinen außergewöhnlichen persönlichen Stärken profitierte, nahm in dieser Phase hier und da Schaden, doch die Zuneigung der Menschen innerhalb und außerhalb der katholischen Kirche für den Papst nahm in dieser Phase eher noch zu. Nicht nur für Polen und Römer war er deshalb schon zu Lebzeiten ein Heiliger.