Kardinal Meisner zur Auseinandersetzung um Papst-Vortrag

"Ausgestreckte Hände ergreifen"

Kölns Erzbischof Kardinal Joachim Meisner hat die Kritik an der Regensburger Vorlesung von Papst Benedikt XVI. zurückgewiesen. "Wer meint, der Papst habe den Islam verunglimpfen wollen, hat seine Worte überhaupt nicht verstanden. Es geht nicht um Gewalt und Islam, sondern ganz grundsätzlich um Gewalt und Religion", erklärte Meisner am Montag in Köln.

 (DR)

Kölns Erzbischof Kardinal Joachim Meisner hat die Kritik an der Regensburger Vorlesung von Papst Benedikt XVI. zurückgewiesen. "Wer meint, der Papst habe den Islam verunglimpfen wollen, hat seine Worte überhaupt nicht verstanden. Es geht nicht um Gewalt und Islam, sondern ganz grundsätzlich um Gewalt und Religion", erklärte Meisner am Montag in Köln. Der Versuch, die Frage nach dem Verhältnis von Religion und Gewalt mit angemessener Gründlichkeit zu behandeln, werde einmal zu den großen Taten von Papst Benedikt XVI. gezählt werden.

Meisner verweist auf Nähe zur muslimischen Skepsis gegenüber der westlichen Gesellschaft
Sowohl in türkischen Zeitungen als auch bei muslimischen Verbänden war Unmut über den Vortrag des Papstes vom vergangenen Dienstag in der Regensburger Universität laut geworden. Darin hatte Benedikt XVI. den byzantinischen Kaiser Manuel II. Palaeologus (1350-1425) zum Thema "heiliger Krieg" unter anderem mit dem Satz zitiert: "Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat - und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten." Am Sonntag hatte das katholische Kirchenoberhaupt sein Bedauern über die entstandenen Missverständnisse erklärt.

Die einzige wirkliche Kritik, die Benedikt geäußert habe, richte sich gerade nicht gegen den Islam, sondern gegen "den verkürzten, einseitig naturwissenschaftlich orientierten Wissenschaftsbegriff der Postmoderne", hob Meisner am Montag hervor. Diese Mahnung Benedikts weise sogar eine gewisse Nähe zur muslimischen Skepsis gegenüber der westlichen Gesellschaft auf.

"Führende Vertreter des Islam sollen Originaltext lesen"
Wenn solchen negativen Entwicklungen der Gegenwart weltweit Einhalt geboten werden soll, dann bedürfe es einer Verständigung unter den Religionen bezüglich ihres Verhältnisses zur Gewalt. Vernunft und Glaube müssten zu einem neuen, tragfähigen Miteinander finden. Diese Aufgabe stelle sich mehr oder weniger allen Religionen, betonte der Kölner Erzbischof.

"Die führenden Vertreter des Islam ermutige ich nachdrücklich dazu, den Gedankengang Benedikts XVI. im Originaltext zu lesen und sein Anliegen besonnen zu bedenken", fügte Meisner hinzu. Gemeinsam mit dem Papst hoffe er darauf, "dass sie seine Einladung zum Gespräch annehmen und die ausgestreckten Hände ergreifen werden, statt diese als geballte Fäuste zu missverstehen".
(ddp,dr)

Lesen Sie hier die vollständige Stellungnahme des Kölner Erzbischofs Joachim Kardinal Meisner:
Eines der bedrückendsten Probleme, mit denen sich die Menschheit in den letzten Jahren konfrontiert sieht,
ist die Frage nach dem Verhältnis von Religion und Gewalt. Keiner hatte bisher den Mut oder auch die Kompetenz, diese Frage von ihrer Mitte her zu beantworten. Der Versuch, dieses Thema um Gottes und der Menschen willen mit angemessener Gründlichkeit zu behandeln, wird einmal zu den großen Taten Papst Benedikts XVI. gezählt werden.

Wer meint, der Papst habe den Islam verunglimpfen wollen, hat seine Worte überhaupt nicht verstanden. Es geht nicht um Gewalt und Islam, sondern ganz grundsätzlich um Gewalt und Religion. Zwar wird das Thema an einem Zitat des Kaisers Manuel II. Palaeologos aufgehängt: Schroff kritisierte dieser am Ende des 14. Jahrhunderts die Gewalt, die seiner Meinung nach durch Mohammed in die Welt gekommen war. Papst Benedikt XVI. jedoch beruft sich im Folgenden nicht auf die Kritik des Kaisers, sondern auf dessen Überzeugung, es sei dem Wesen Gottes zuwider, nicht vernunftgemäß zu handeln. „Wer also jemanden zum Glauben führen will, braucht die Fähigkeit zur guten Rede und ein rechtes Denken, nicht aber Gewalt und Drohung."

Gut 500 Jahre später hat das Zweite Vatikanische Konzil etwas Ähnliches gelehrt: dass nämlich „die Wahrheit nicht anders Anspruch erhebt als kraft der Wahrheit selbst, die sanft und zugleich stark den Geist durchdringt" (Erklärung über die Religionsfreiheit, n. 1).

Der Papst ruft nun zum Gespräch über Religion und Gewalt im Spannungsfeld von Glaube und Vernunft auf. Wörtlich sagt er am Ende seiner Vorlesung: „In diese Weite der Vernunft laden wir beim Dialog der Kulturen unsere Gesprächspartner ein." Die einzige wirkliche Kritik, die Benedikt äußert, richtet sich gerade nicht gegen den Islam, sondern gegen den verkürzten, einseitig naturwissenschaftlich orientierten Wissenschaftsbegriff der Postmoderne; in letzter Konsequenz lässt dieser die menschliche Sinn- und Wertegemeinschaft in eine Vielzahl individueller, subjektiver Überzeugungen zerfallen. Diese Mahnung Benedikts weist sogar eine gewisse Nähe zur muslimischen Skepsis gegenüber der westlichen Gesellschaft auf. Wenn solchen negativen Entwicklungen der Gegenwart weltweit Einhalt geboten werden soll, dann bedarf es einer Verständigung unter den Religionen bezüglich ihres Verhältnisses zur Gewalt; Vernunft und Glaube müssen zu einem neuen, tragfähigen Miteinander finden. Als gastgebender Bischof des vergangenen Weltjugendtages mache ich darauf aufmerksam, dass der Papst schon vor einem Jahr in Köln Muslime und Christen zum gemeinsamen Einsatz im Dienst an den moralischen Grundwerten aufgerufen hat. Damals fügte er hinzu: „Der interreligiöse und interkulturelle Dialog zwischen Christen und Muslimen darf nicht auf eine Saisonentscheidung reduziert werden. Tatsächlich ist er eine vitale Notwendigkeit, von der zum großen Teil unsere Zukunft abhängt."

Ein solcher Dialog setzt voraus, dass sich der Islam als Religion und eminent kulturbildender Faktor zugleich
mit seinem Verhältnis zur Gewalt auseinandersetzt. Diese Aufgabe stellt sich mehr oder weniger allen Religionen: Auch die katholische Kirche entzieht sich ihr nicht, wie das große Schuldbekenntnis Johannes Pauls II. im Jubiläumsjahr 2000 eindrucksvoll demonstriert hat. Die führenden Vertreter des Islam ermutige ich nachdrücklich dazu, den Gedankengang Benedikts XVI. im Originaltext zu lesen und sein Anliegen besonnen zu bedenken. Gemeinsam mit unserem Heiligen Vater hoffe ich darauf, dass sie seine Einladung zum Gespräch annehmen und die ausgestreckten Hände ergreifen werden, statt diese als geballte Fäuste zu missverstehen.

Joachim Kardinal Meisner
Erzbischof von Köln